Was bringt die EU-Verfassung dem öffentlichen Sektor?

Offener Brief des LCGB an alle Kollegen des öffentlichen Sektors

Affiche_LCGB__EU1_1.jpgLiebe Kollegin, Lieber Kollege,

Wie wird sich der EU-Verfassungsvertrag auf den öffentlichen Sektor in Luxemburg auswirken?

Der Verfassungstext spricht lediglich in Artikel III 238 vom “öffentlichen Sektor”, indem die Möglichkeit staatlicher Beihilfen zur Finanzierung des öffentlichen Transportes ausdrücklich vorgesehen wird.

Jedes EU-Mitgliedland hat seinen öffentlichen Sektor jeweils etwas anders gestaltet als die restlichen Staaten der Union. Deshalb spricht der Verfassungsvertrag lieber von “Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse” und meint damit eigentlich den öffentlichen Dienst.

Diese Dienstleistungen können in einen Wettbewerb zum Privatsektor treten, wie beispielsweise verschiedene Postdienste, die Telekom oder die Bahn, und somit teilweise privatisiert werden. Das ist ja auch bisher bereits geschehen und zwar auf der Grundlage der existierenden Verträge, also völlig unabhängig von der EU-Verfassung. Man kann sagen: Die Briten brauchten keine Verfassung um die Bahn zu privatisieren und unrentable Strecken verkommen zu lassen. Gleichermassen sieht auch die Luxemburger Post ihre traditionellen Dienste einem immer größeren Wettbewerb ausgesetzt – wie gesagt auf der Grundlage der bisherigen Verträge, jener Verträge die weiterhin zur Anwendung kommen, wenn wir Nein zur EU-Verfassung sagen würden.

Wir alle brauchen die EU-Verfassung um sicherzustellen, dass der Universaldienst, der Dienst im Interesse jedes Bürgers sich gegen den reinen Markt behaupten kann, denn:

Eines der großen Ziele der Verfassung ist die soziale und territoriale Kohäsion. Um diese soziale und territoriale Angleichung der Lebensbedingungen der Bürger herzustellen und zu gewährleisten (Artikel II/96) sieht die EU-Verfassung zum Beispiel vor, dass in den Fragen der Bildung (Artikel II/74), der Sozialdienste (Artikel II/94) und des Gesundheitswesens (Artikel II/95) das Prinzip der öffentlichen Dienstleistungen vorherrschen muss.

Weitere Auswirkungen der EU-Verfassung auf den öffentlichen Dienst sind indirekter Art. Der Verfassungsvertrag lässt mehr Subsidiarität und weniger Zentralismus zu, das heißt: dort, wo es für den Bürger von Vorteil ist, werden die Dinge auf nationaler und kommunaler Ebene geregelt und nicht auf der europäischen Ebene! Folglich wird sich Brüssel künftig aus vielen Bereichen heraushalten, in die bisher hinein reglementiert wurde.

Ein weiterer interessanter Punkt der EU-Verfassung: mit einer Million Stimmen können die EU-Bürger die Kommission dazu bringen, einen Richtlinienvorschlag zu machen. Über 60 Millionen Arbeitnehmer sind allein im Europäischen Gewerkschafts-Bund vereinigt, so dass wir eine Million Stimmen leicht organisieren können! Hier bekommen Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften ein wichtiges Instrument zur Verteidigung ihrer ureigenen Interessen in die Hand.

Im gleichen Sinne muss man die Einbindung der nationalen Parlamente in die Arbeit der EU-Kommission wahrnehmen, die die EU-Verfassung vorschlägt. Wenn künftig die Kommission einen Richtlinienvorschlag macht (und ALLE bisherigen Privatisierungen im öffentlichen Bereich sind aufgrund solcher Richtlinienvorschläge entstanden), dann müssen künftig zuerst die nationalen Parlamente davon in Kenntnis gesetzt werden. Diese haben dann sechs Wochen Zeit um sich hierzu zu äussern und gegebenenfalls unsoziale Vorschläge zu kippen! Dieses Mittel, diese zusätzliche Hürde, die sich einer zentralen Brüsseler Politik entgegenstellen kann, darf nicht unterschätzt werden. Wenn wir Ja zur EU-Verfassung sagen, dann werden wir auch dieses Instrument nutzen können!

Das Spannungsverhältnis zwischen lokalen, nationalen und europäischen Aufgaben wird wohl nicht vollständig durch die neue EU-Verfassung aufgehoben werden. Aber der Verfassungsvertrag regelt vieles klarer als bisher, er erkennt auch die Notwendigkeit öffentlicher Dienstleistungen an und vor allem gibt er uns neue Instrumente und Spielregeln, die es uns erlauben werden viel besser als bisher auf Entwicklungen zu reagieren, die nicht in unserem Interesse wären.

Darum unser Vorschlag: beim Referendum vom 10. Juli 2005 sag auch Du JA zum EU-Verfassungsvertrag damit unser Einfluß in Europa und auf die europäische Politik endlich größer wird!

Marc SPAUTZ
Generalsekretär des LCGB

Robert WEBER
Nationalpräsident des LCGB