Kooperationsminister Jean-Louis Schiltz: Die Doha-Runde muss endlich zu einer richtigen Entwicklungsrunde werden
D’Wort: Im Vorfeld des G8-Gipfels kam es zu einem Schuldenerlass für einige der ärmsten Entwicklungsländer in Höhe von 40 Milliarden Dollar. Kritiker meinen, das Geld wäre eh verloren gewesen. Sind Sie auch dieser Meinung?
Der Schuldenerlass ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Aber es stimmt, dass die Chancen, dass das Geld je zurückbezahlt worden wäre, relativ gering waren. In meinen Augen ist allerdings die auf dem Gipfel von Gleneagles beschlossene Erhöhung der Direkthilfe um 50 Milliarden Dollar, umgerechnet also 42 Milliarden Euro, wesentlich wichtiger. Ohne den Schuldenerlass hätte allerdings die Gefahr bestanden, dass die zusätzlichen Gelder auf die Schuldentilgung verwendet worden wären. Schuldenerlass und zusätzliche Hilfe bilden also ein Ganzes.
Allerdings muss man wissen, dass die versprochenen 50 Milliarden Dollar nicht ausschließlich von den G8-Staaten kommen. Man muss in diesem Kontext bedenken, dass das Abkommen, das wir am 23. und 24. Mai dieses Jahres getroffen haben, vorsieht, dass EU-weit die Entwicklungshilfe bis 2010 auf durchschnittlich 0,56 Prozent des Bruttoinlandprodukts angehoben wird und ab 2015 0,7 Prozent pro Land betragen wird. Dies allein macht ab 2010 20 Milliarden Euro aus. Diese sind aber in den besagten 42 Milliarden bereits enthalten, also steuern die G8-Staaten lediglich 22 Milliarden bei. Für mich ist der Gipfel von Gleneagles denn auch nur ein halber Erfolg. Es hätte mehr drin sein können. Es bleibt also noch Spielraum, vor allem für die Amerikaner und die Japaner.
D’Wort: Fehlt es nicht an Logik, wenn man zunächst die Schulden erlässt, dann aber neue Kredite billigt?
Es stimmt schon, und ich würde mir wünschen, dass in Zukunft immer mehr Länder auf den Weg der Spenden gehen würden, so wie Luxemburg dies bereits seit langem tut. Allerdings müssen Kontrollmechanismen eingebaut werden. Große “Spender” können aber auch ganze Haushaltsbereiche in den Entwicklungsländern übernehmen, eine Lösung, die übrigens von dem EU-Kommissar für Entwicklungshilfe Louis Michel favorisiert wird. Dies hat den Vorteil, dass man eine bessere Kontrolle auf die Staatsführung ausüben kann. Dies kommt allerdings nur für die “Großen”, wie etwa die EU-Kommission, in Frage. Für Luxemburg ist dies sicherlich kein gangbarer Weg.
D’Wort: Der Schuldenerlass benachteiligt aber auch die Länder, die ihren Verpflichtungen nachgekommen sind …
In der Tat, wir müssen aufpassen, dass das Ganze nicht auf eine Entwicklungshilfe “à deux vitesses” hinausläuft. Länder wie die Kapverdischen Inseln haben ihre Schulden fast immer pünktlich bezahlt. Hätten sie dies nicht getan, hätten sie mit den Geldern die Armut im Land bekämpfen können. Man darf es den säumigen Schuldnern nicht zu einfach machen, sonst werden die, die sich an die Spielregeln halten, bestraft.
D’Wort: Zur Doha-Runde. Wäre eine Öffnung der Märkte nicht die beste Entwicklungshilfe überhaupt?
Ich glaube, man muss das Ganze sehr nuanciert sehen. Die Entwicklungsländer brauchen sicherlich einen besseren Zugang zu unseren, sprich den europäischen, den amerikanischen und den japanischen Märkten. Allerdings müssen diese Märkte einer Regulierung unterliegen, da es sonst zu einem Ungleichgewicht zu Lasten der Entwicklungsländer kommt.
Hier kommt dann die Landwirtschaft ins Spiel, wobei ich überzeugt bin, dass jeder Kontinent ein Recht auf seine Landwirtschaft hat. Genau hier brauchen wir Regulierungsmechanismen, und das ist eines der Hauptanliegen der Doha-Runde. Die EU will ihre Exportbeihilfen herunterfahren, wenn die anderen Industrieländer dies ebenfalls tun. Dies würde beispielsweise verhindern, dass im Senegal die importierten EU-Hähnchen weit billiger sind als die einheimischen.
Um das Gleichgewicht zu erhalten, müssten die entwickelten Länder ihre Märkte allerdings weiter öffnen als etwa die afrikanischen Länder. Denkbar sind auch bestimmte Schutzmechanismen, von denen die betroffenen Länder profitieren könnten. Ein Beispiel: Wenn wir die Sache mit den importierten Hähnchen nicht in den Griff bekommen, könnte ich mir vorstellen, dass die senegalesische Regierung sagen würde, wir importieren keine Hähnchen mehr oder wir belegen sie mit einer Steuer. Man muss nuanciert vorgehen und von Fall zu Fall entscheiden.
Ich wiederhole noch einmal: Das Handelsgleichgewicht muss so weit erhalten bleiben, dass jeder Kontinent sich seine Landwirtschaft auch in Zukunft leisten kann.
D’Wort: Wie groß sind die Chancen, dass die 2001 begonnene Doha-Runde überhaupt noch zu einem positiven Abschluss gebracht werden kann?
Eigentlich sollte die WTO-Runde ja bereits Anfang dieses Jahres zu Ende gebracht werden. Das WTO-Ministertreffen im Dezember in Hongkong kann nur ein Erfolg werden, wenn wir es fertig bringen, dass Doha wieder zu dem wird, was es eigentlich sein sollte, nämlich zu einer echten Entwicklungsrunde. Bislang haben wir noch keine Lösung. Wir müssen am Ende zu einer Win-Win-Win-Situation gelangen, denn es geht nicht nur um die Landwirtschaft, sondern auch um die Industrie und die Dienstleistungen. Nicht nur die Industrieländer müssen sehen, dass die Doha-Runde für sie positiv ist, auch die Entwicklungsländer und ganz wichtig, die am wenigsten entwickelten Länder müssen Vorteile haben. Nur so kann die laufende WTO-Runde ein Erfolg werden.
D’Wort: Thema Zucker. Die EU will über die Reform der Zuckermarktordnung ihre Subventionen auf diesem Gebiet senken. Nun befürchten die AKP-Staaten, darunter viele Entwicklungsländer, Nachteile für ihre Zuckerproduktion …
Diese Frage habe ich bereits vor dem luxemburgischen Ratsvorsitz im Oktober 2004 mit Landwirtschaftsminister Boden diskutiert. Es besteht sicherlich das Risiko, dass die AKP-Staaten, die ja bekanntlich einen bevorzugten Zugang zu den europäischen Märkten haben, wegen der Senkung der Zuckersubventionen Probleme bekommen. Allerdings hat die EU-Kommission Ende Juni einen Plan erstellt, um die negativen Auswirkungen abzufedern. Stellt sich die Frage, ob dies ausreichen wird. Auf alle Fälle müssen wir aufpassen, dass in Ländern wie Mauritius, übrigens ein ehemaliges Zielland der Luxemburger Entwicklungshilfe, die Fortschritte nicht zunichte gemacht werden, so dass wir wieder Hilfsprogramme auflegen müssen.
D’Wort: Letzte Frage: Bei vielen landwirtschaftlichen Produkten, wie etwa beim Weizen, liegen die Weltmarktpreise weit unter den Erzeugerpreisen. Kommt dies nicht vor allem für die Entwicklungsländer einer Quadratur des Kreises gleich?
Da komme ich noch einmal auf das zurück, was ich vorhin schon gesagt habe: Jedes Land hat ein Recht auf eine eigene Landwirtschaft. Der Vorschlag der Union, die Exportsubventionen herunterzufahren, ohne aber die internen Beihilfen in Frage zu stellen, ist meiner Meinung nach der richtige Weg. Nur so können wir verhindern, dass die Märkte mit künstlich verbilligten Produkten überschwemmt werden. Eine vollständige Liberalisierung hal- te ich für falsch, denn es geht in diesem Fall um Grundbedürfnisse der Menschen.
Interview: Dani Schumacher
Quelle: d’Wort 30. Juli 2005