Juncker: Gemeinsamer Beschluss über Prozedurschritte

Der amtierende EU-Ratspräsident sieht Ratifizierungsprozess nicht am Ende
Was nun? Diese Frage beschäftigt die Leute seit den Referenden in Frankreich und den Niederlanden. Der Ball liegt nun bei den europäischen Staats- und Regierungschefs, die ab morgen in Brüssel über mögliche Wege aus der Krise beraten. Für den amtierenden Ratspräsidenten bedarf es in Sachen Verfassungsvertrag einer gemeinsamen Initiative, “einem kollektiven Beschluss über weitere Prozedurschritte”.

d’Wort: Herr Juncker, die EU steckt in einer Krise. Welche Botschaft muss Ihrer Meinung nach von diesem Gipfel der Staats- und Regierungschefs ausgehen?

Jean-Claude Juncker: Wir müssen zeigen, dass die Europäische Union trotz der Rückschläge, die die beiden negativen Voten in Frankreich und den Niederlanden für den Integrationsprozess waren, voll handlungsfähig ist. Genau das können wir in Brüssel tun, indem die Regierungschefs eine Einigung über die Finanzplanung der EU für die Jahre 2007 bis 2013 finden.

d’Wort: Sie haben intensiv mit den europäischen Regierungschefs über eben diesen Finanzplan beraten. Wie stehen denn die Chancen für eine Kompromiss?

Jean-Claude Juncker: Ich halte einen solchen für unwahrscheinlich, ja fast sogar für unmöglich. Doch wir wollen bis zur letzten Sekunde kämpfen, um doch noch eine Einigung zu finden. Bei meinen Konzertierungsgesprächen stellte ich eine große Annäherung über das vom Ratsvorsitz in Vorschlag gebrachte Gesamtfinanzvolumen fest, das wir mit 1,06 Prozent des Länderreichtums veranschlagt haben. Doch über die interne Struktur des Budgets gehen die Meinungen immer noch weit auseinander.

d’Wort:Es wird viel über eine mögliche Denkpause für die EU gemunkelt. Wird der Ratifizierungsprozess unterbrochen? Kommt es am 10. Juli wie vorgesehen zum Referendum in Luxemburg?

Jean-Claude Juncker: Ich schließe aus, dass der Ratifizierungsprozess für beendet erklärt wird. Alle Regierungschefs sind der Auffassug, dass wir den Verfassungsvertrag brauchen. Beim Gipfel beraten wir über eine einvernehmliche Lösung. Wir beraten über den Weg, den wir nun gemeinsam einschlagen werden. Der Ratsvorsitz ist bemüht, zusammen mit allen Delegationen einen kollektiven Beschluss über weitere Prozedurschritte herbeizuführen.

Die Fragen stellte Marc Glesener
Quelle: d’Wort vom 15. Juni 2005