Kommentar von Georges Bach, Syprolux-President
Endlich ist sie in aller Munde, die europäische Verfassung. Lange Zeit hatte es ausgesehen, als würde auch diese wichtige Debatte, wie so viele, an unserem Land vorbeigehen. Sowohl die Regierung als auch das Parlament dachten wohl, die luxemburgische Zivilgesellschaft zeige kaum Interesse, also würde es sich erübrigen, Information zu betreiben und Diskussionen über den Verfassungstext hierzulande zu führen.
Im Gegensatz dazu die Gewerkschaften. Bereits im November vergangenen Jahres befasste sich z. B der LCGB auf seinem Kongress mit diesem wichtigen Thema und sprach sich in einer Resolution für ein klares “Ja” aus. Andere zogen kurz darauf nach. Auch der SYPROLUX versuchte im Rahmen der Generalversammlungen der Sektionen, seinen Mitgliedern den Verfassungsvertrag näher zu bringen. Seit Monaten haben wir mobilisiert, informiert und diskutiert, eine Kampagne die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist.
Kein Zweifel dürfte es geben, dass Europa eine Verfassung braucht. Nach sechzig Jahren gilt es die Ziele der Gründungsvätern, Frieden und Wohlstand zu sichern und konstant auszudehnen. Werte wie Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Achtung der Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte müssen endlich in einem Verfassungsvertrag verankert werden.
Zusätzlich dazu muss sich Europa neue Strukturen geben. Ein Bündnis aus 25 und mehr Staaten zu regieren, ohne definitive Regeln kann auf die Dauer nicht funktionieren. Auf diesem Gebiet bringt die neue Verfassung sicherlich Fortschritte. In Zukunft wird weit weniger Anlass bestehen die europäischen Gerichte mit Streitfragen zu befassen.
Diese Verfassung ist übrigens der erste Vertrag welcher demokratisch ausgearbeitet wurde, waren doch neben den vielen gewählten Parlamentariern ebenfalls Mitglieder des Europäischen Wirtschafts- und Sozialkomitees und der Sozialpartner im Konvent dabei.
Ein weiterer Fortschritt bringt die Eingliederung der Charta der fundamentalen Rechte der einzelnen Bürger mit sich. Hier handelt es sich neben den zivilen und den politischen, ebenfalls um die wirtschaftlichen und sozialen Rechte.
Auch die Demokratie ist ausgebaut worden. Speziell auf dem Gebiet der Parlamente ist künftig erheblich mehr Mitbestimmung vorgesehen ist. Sowohl das Europaparlament als auch die Nationalen Parlamente bekommen bei Inkrafttretung der Verfassung mehr Rechte, aber auch mehr Verantwortung. Sie müssen sich frühzeitig mit Gesetzesvorlagen befassen und können nicht mehr die Schuld von sich weisen und “Brüssel” allein den schwarzen Peter zuschieben.
Positiv bewerten kann man die anerkannte partizipative Demokratie, wo eine Initiative von Unionsbürgern durch eine Million Unterschriften die EU-Kommission auffordern kann, geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, resp. ein Gesetzesvorschlag zu überdenken. Diese Maßnahme dürfte z.B für den europäischen Gewerkschaftsbund, der sich übrigens für die Verfassung aussprach, keine Schwierigkeiten bedeuten, seinen Einfluss geltend zu machen. Dass die Kommission einem solchen Druck nicht standhalten wird beweist die auf gewerkschaftlichen Druck erfolgte Rücknahme des Vorschlags zur Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes. Auch die Transparenz wird verdeutlicht, denn in Zukunft werden die Abstimmungen und die Ergebnisse des Rates öffentlich sein.
Diese partizipative Demokratie gilt es jedoch auszubauen. Genau wie die Caritas in ihrer Stellungnahme fordern wir, dass die Zivilgesellschaft in Organen die mit sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Fragen betraut sind, verstärkt in Zukunft vertreten wird um den vielen Ausgegrenzten unserer Gesellschaft Gehör zu verschaffen.
In Bezug auf die öffentlichen Dienstleistungen werden u. E die Texte der bestehenden Verträge bestätigt. Also auch ohne neuen Verfassungsvertrag werden die öffentlichen Dienstleistungen weiterhin dem freien Wettbewerb unterworfen bleiben. An den Gewerkschaften liegt es, dass dieser Wettbewerb nicht “wild” sein wird, sondern geeigneten Regeln unterworfen sein wird.
Dies ist im Moment nur eine bescheidene Auswahl von Anmerkungen zur Verfassung. Wir werden sicherlich noch oftmals Gelegenheit haben darauf zurückzukommen. Dieser Verfassungsvertrag stellt zum aktuellen Zeitpunkt den bestmöglichsten Kompromiss dar und mit Sicherheit nicht für die Ewigkeit gedacht. Es ist sicherlich nicht der erhoffte große Schritt. Doch als Gewerkschaft sind wir an eine Politik der kleinen Schritte gewöhnt.
Wichtig scheint uns, dass der vorliegende Entwurf auch in Zukunft eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten der Politikgestaltung zulässt. Auch künftig wird es an Gewerkschaften, Sozialpolitikern, gemeinnützigen Organisationen und Umweltverbänden liegen, dass die EU-Verfassung nicht die Bibel des Liberalismus sein wird. Weder die Wirtschaftsgemeinschaft noch der Binnenmarkt haben es in den letzten fünfzig Jahren fertig gebracht den “Sozialstaat” an die Kette zu legen. Im Gegenteil, obengenannte Organisationen haben es fertig gebracht, die Rechte des arbeitenden Volkes kontinuierlich zu verbessern. Dies wird auch in Zukunft unsere Aufgabe bleiben. Der aktuelle Verfassungsentwurf darf keine Zielankunft sein, sondern eher ein Startschuss. Die Bürger Europas sind endlich aufgewacht.
Leitartikel Transport N° 9