Vor zehn Jahren forderten Frauen aus aller Welt in Peking mehr Rechte. Zum Frauentag am 8. März zieht Marie-Josée Jacobs, Ministerin für Chancengleichheit, eine Zwischenbilanz
Sie ist nun im zehnten Jahr im Amt. Ein Jahrzehnt ist auch her, dass auf der Konferenz von Peking Frauen aus aller Welt mehr Rechte forderten. Zum Frauentag am 8. März eine nationale und internationale Zwischenbilanz aus Sicht von Marie-Josée Jacobs, Ministerin für Chancengleichheit und derzeit EU-Ratsvorsitzende in Frauenfragen.
Télécran: Frau Jacobs, die Probleme, mit denen Frauen hier zu Lande kämpfen, sind fast ein Jahrzehnt nach Ihrem Amtseintritt noch immer die gleichen: mangelnde Kinderbetreuungsmöglichkeiten, typisch männliche Arbeitsorganisation, eine durch Rollenklischees geprägte Mentalität. In Frauenfragen geht es offenbar nur im Schneckentempo voran. Macht Ihnen Ihr Job überhaupt noch Spaß?
Marie-Josée Jacobs: Aber natürlich. In den vergangenen zehn Jahren hat sich auch in Luxemburg viel verändert. Die Frauenbeschäftigungsquote zum Beispiel lag damals bei 45 Prozent – heute beträgt sie 52 Prozent.
Télécran: Eine im EU-Vergleich noch immer sehr niedrige Quote.
Marie-Josée Jacobs: Ja, aber Luxemburg hat auch auf sehr niedrigem Niveau begonnen. Was die Kinderbetreuung angeht, so ist sie bei weitem noch nicht so gut, wie ich mir das wünsche, aber die Gemeinden haben schon enorme Fortschritte gemacht, vor allem in der Betreuung von Schulkindern. Oder nehmen Sie die Tagesstätten: Wie groß war die Skepsis vor zehn Jahren, als ich sagte, wir brauchen Kindertagesstätten! Heute werden die “Crèches” in den Gemeinden werturteilsfrei akzeptiert. Nun planen wir, die Betreuungsarten miteinander zu vernetzen. So könnten Tagesmütter bei Erkrankung eines “Crèche“-Kindes einspringen und das eher starre Tagesstätten-Angebot ergänzen.
Télécran: Was wollen Sie gegen schwarz arbeitende “Tagesmütter” unternehmen, die unter zweifelhaften Umständen bis zu zehn Kinder hüten?
Marie-Josée Jacobs: Generell ist es verboten, privat mehr als drei fremde Kinder ohne Anmeldung zu betreuen. Unsere Strategie ist, Missbrauch über ein besseres Betreuungsangebot zu verringern und an die Verantwortung der Eltern zu appellieren, auf die Qualität der Betreuung zu achten.
Télécran: Bleibt die Arbeitswelt…
Marie-Josée Jacobs: … die tatsächlich immer noch als Männerwelt organisiert ist. Es ist klar, dass man eine Mentalität, die sich in hundert Jahren aufgebaut hat, nicht in zehn Jahren ändern kann. Positive Entwicklungen gibt es aber auch hier. Immer mehr junge Väter nehmen Elternurlaub und beweisen damit Verantwortung für die Kindererziehung.
Télécran: Der Anteil der Väter unter den Elternurlaubern liegt aber bei nur fünf Prozent.
Marie-Josée Jacobs: Das ist im internationalen Vergleich viel. In Luxemburg nehmen vermutlich mehr Väter ihn, weil der Elternurlaub staatlich entlohnt wird. Aber diese Entscheidung ist nicht allein eine des Geldes. Hier ändert sich gesellschaftlich etwas.
Das beweist auch das Wegweisungsgesetz, das wir Ende 2003 eingeführt haben. Binnen eines Jahres wurden 154 Täter – in der Mehrheit gewalttätige Männer – von zu Hause ausgewiesen. Die hohe Zahl hat mich erschreckt. Gleichzeitig wundert es mich, dass es dabei nicht mehr Ärger gab. Das neue Gesetz ist problemlos akzeptiert worden.
Télécran: Das Wegweisungsgesetz war ein großer Coup. Doch in letzter Zeit ist es still um Ihr Ressort geworden. Arbeiten Sie nur noch im Verborgenen?
Marie-Josée Jacobs: Selbstvermarktung ist vielleicht nicht meine Stärke (lacht). Wir arbeiten derzeit sehr viel mit Unternehmen. Von den 20 größten Betrieben im Land haben wir zehn auf Hürden bei der Chancengleichheit, etwa auf Lohnunterschiede, untersucht. Die Firmen bestätigen, dass sich bei mehr Frauenfreundlichkeit Arbeitsatmosphäre und Effizienz verbessern. Mittlerweile gibt es Firmen im Land, die gezielt weibliche Ingenieure suchen, weil sie mit denen so gute Erfahrungen gemacht haben. Und der Rektor der Universität hat jüngst angekündigt, mit Hilfe guter Arbeitsbedingungen insbesondere junge Forscherinnen ins Land holen zu wollen.
Télécran: Wo wollen Sie in dieser Legislaturperiode noch ansetzen? Welche Gesetze sind konkret geplant?
Marie-Josée Jacobs: In der Berufswelt müssen jetzt endlich flexiblere, familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle kommen. Das werden, wir im Rahmen des “Plan pour l’Emploi” versuchen zu realisieren. Das Problem ist, dass es für Chancengleichheitspolitik ja keine eigenen Gesetze gibt, sondern wir immer politische Partner brauchen, hier also Arbeitsminister und Arbeitsgesetze. Außerdem wollen wir angehende Lehrer mehr für Chancengleichheit sensibilisieren. Mittlerweile schließen immer mehr Mädchen eine Uni-Ausbildung ab, so dass wir überlegen müssen, positive Aktionen zur Förderung von Jungen zu starten.
Meine andere große Sorge gilt der Armut von älteren Frauen nach der Scheidung. Die Reform des Scheidungsgesetzes, die Verbesserungen bringen wird, ist auf dem Instanzenweg. Wir warten derzeit auf das Gutachten des Staatsrates. Den Frauen kann ich dennoch nur raten, Kontakt zum Arbeitsmarkt zu halten. In den Jahren bis zum Rentenalter gibt es außer der Sozialhilfe keine andere Möglichkeit, als arbeiten zu gehen.
Télécran: Viele fordern deshalb die Einführung einer individuellen Sozialversicherung oder des Rentensplitting, die nicht berufstätige Frauen im Scheidungsfall vor der Armutsfalle bewahren könnte.
Marie-Josée Jacobs: Die Biographien ändern sich ja, immer mehr Frauen gehen zumindest zeitweise arbeiten, so dass das Problem sich entschärft. Beim Rentensplitting kommen wir in der Tat langsamer voran, als ich mir das gewünscht hatte. Das erfordert eine lange politische Überzeugungsarbeit. Ich glaube allerdings auch nicht, dass die individuelle Versicherung alle Probleme lösen wird. Wenn eine Frau über diesen Weg eine eigene kleine Rente bezöge, wird ihr Ex-Mann mit diesem Argument versuchen, alle weiteren Ansprüche an ihn abzuwehren.
Télécran: Auch weltweit wird in Sachen Frauenrechten in diesen Tagen Bilanz gezogen. Wie lautet Ihre eigene, zehn Jahre nach der internationalen Frauenkonferenz in Peking?
Marie-Josée Jacobs: Damals setzten sich junge Afrikanerinnen noch für die Beschneidung von Mädchen ein. Heute bitten sie uns um Hilfe, um Beschneidungen ein Ende zu bereiten und dafür andere Rituale zu finden. Aus Frauenrechten sind Menschenrechte geworden. Vieles hat sich verbessert, vieles bleibt zu tun. Die Entwicklungshilfe setzt im Kampf gegen Armut und Aids immer mehr auf die Ausbildung und Förderung von Frauen. Da gibt es einen Konsens. Die Umsetzung muss allerdings viel konsequenter werden.
Darüber wird im September in New York diskutiert werden, wenn die UNO eine Zwischenbilanz der Millenium-Ziele zieht.
Télécran: Sie selbst waren nun in New York, um als Vorsitzende des EU-Rates der Chancengleichheitsminister die Fortschritte der Europäischen Union in den vergangenen zehn Jahren vorzustellen. Im EU-Bericht heißt es, Chancengleichheit sei wichtig für die Lissabon-Strategie. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Marie-Josée Jacobs: Die demographische Entwicklung wird die größte Herausforderung für Europa. Um – laut Lissabon-Strategie – die Wirtschaftsleistung Europas zu steigern, genügend gut ausgebildete Arbeitskräfte zu finden und die Sozialsysteme auch in Zukunft zu finanzieren, brauchen wir Frauen. Wenn Europa meint, wir könnten da auf Frauen und damit auf einen Großteil der Arbeitskräfte verzichten, irrt es. Tenor meiner Rede in New York war, dass Europa über gute Mechanismen und Gesetze verfügt, um die Chancengleichheit der Geschlechter zu verbessern – aber dass es in allen Fragen zu langsam voran geht!
Télécran: In der zukünftigen EU-Verfassung soll auch die Gleichheit der Geschlechter verankert werden. Was bringt Europas Frauen das konkret?
Marie-Josée Jacobs: Die Verankerung in der Verfassung ist wichtig, damit man Chancengleichheit gerichtlich einklagen kann. Dieser Artikel hat also viel mehr als Symbolcharakter. Auch in Luxemburgs Verfassung wird die Gleichheit von Mann und Frau noch festgeschrieben. So steht es in der Regierungserklärung unserer Koalition. Selbst bei politischem Konsens brauchen wir leider oft fünf Jahre und mehr bis zur Umsetzung. Da können sich unsere europäischen Partnerländer nur wundern.
Interview: Britta Schlüter, Télécran vom 2. März 2005