Jean-Claude Juncker: “Christentum und Aufklärung – haben Europa geformt. Damit Europa sich treu bleibt, brauchen wir beide auch in Zukunft.”
Während der elften luxemburgischen Präsidentschaft der Europäischen Union wird die Innenpolitik zwar nicht in einen erholsamen Dornröschenschlaf verfallen, aber sie wird sich deutlich langsamer als wünschenswert von der Stelle bewegen. Die Hauptakteure der Präsidentschaft hoffen nicht nur auf die Nachsicht der Luxemburger, sondern sie sind regelrecht auf sie angewiesen, um ruhig und umsichtig präsidieren zu können.
Um die EU in der ersten Jahreshälfte 2005 zielorientiert führen zu können, braucht es nämlich umsichtiges Planen und eine ruhige Hand. Wir müssen die Lissabonner Reformstrategie so ausrichten, dass sie den Menschen in 25 Ländern den Zugang zum europäischen Sozialmodell dauerhaft erhält. Wir müssen sicherstellen, dass die Europäische Union ihren Ansprüchen und Ambitionen bis 2013 finanziell gerecht werden kann. Wir müssen den Stabilitätspakt so umbauen, dass in den fetten Jahren gespart werden muss und in mageren Jahren investiert werden kann. Wir müssen den europäischen Rechtsraum so gestalten, dass in ihm Sicherheit und Freiheit nicht miteinander in Konflikt geraten. Und, und, und….
Dies alles wird uns Zeit, Energie und Phantasie kosten. Um sich im europäischen Alltagsgeschäft nicht zu verlaufen, um nicht vom Bohren der europäischen Bretter übermüde zu werden, ist es gut, sich den Blick auf das Wesentliche zu erhalten: den Blick auf die europäischen Grundwerte.
Wer die den Kontinent tragenden Fundamentalwerte aus den Augen verliert, der wird auch im Alltagsgeschäft scheitern.
Europa ist ein Werk des Friedens. Ein Werk also, das jeden Tag neu begonnen werden muss.
Europa ist das Ergebnis von grenzüberschreitender Toleranz und Grenzen annullierendem Respekt. Ein unfertiges Ergebnis also, das genaues Zuhören und verständnisvolles Mitfühlen notwendig macht.
Europa ist gelebte Solidarität zwischen reicheren und ärmeren Regionen. Eine Solidarität also, die das kleinliche Kalkül nicht verträgt, weil in Europa zwei plus zwei fünf ergibt – die Staaten zahlen vier, die Menschen erhalten fünf.
Europa ist das besonnene Miteinander von Menschen, die ihre Überzeugungen auf den Wertekatalog des Christentums und auf den Wertekanon der Aufklärung gründen. Beide – Christentum und Aufklärung – haben Europa geformt. Damit Europa sich treu bleibt, brauchen wir beide auch in Zukunft.
Jean-Claude Juncker, Staatsminister