Vom Stürmer und Dränger zum Landesvater

Jean-Claude Juncker ist seit zehn Jahren Premierminister des Großherzogtums

20. Januar 1995: Jacques Santer übergibt die Schlüssel des Hôtel de Bourgogne an seinen Nachfolger Jean-Claude Juncker. Mit gerade 40 Jahren wird der Arbeits- und

Finanzminister erster Premier der Nachkriegsgeneration.

Der Wechsel kommt nicht überraschend. Nachdem die europäischen Staats- und Regierungschefs sich nach längerem Hickhack auf Santer als Kommissionspräsidenten geeinigt hatten, lief im Großherzogtum alles auf seinen Dauphin Juncker zu. Bei den Landeswahlen im Juni 1994 hatte der damalige CSV-Präsident und heimliche Leader seiner Partei bereits das beste Resultat aller Kandidaten erzielt und selbst Premier Santer auf der Europaliste in der Wählergunst überflügelt. Die Weichen waren also gestellt. Der Übergang, oder wie es die CSV zu nennen pflegt, der Wechsel in der Kontinuität, war nur eine Frage der Zeit.

Im Gegensatz zu anderen Ländern ist ein Wechsel des Regierungschefs in Luxemburg nichts Alltägliches. Juncker ist immerhin erst der siebte Staatsminister nach dem Krieg.

Frankreich und Italien beispielsweise haben einen hohen Verschleiß an Premierministern. In Deutschland empfand man die 16 Kohl-Jahre als überlang. In Großbritannien riskieren Partei-Leader den Königsmord, sollten sie zu lange ausharren, man erinnere sich nur an Margaret Thatcher, die nach zehn Jahren starker Führung von Hinterbänklern auf dem Altar der Parteiräson geopfert wurde.

Luxemburgs Rekordhalter Pierre Werner stand stolze 20 Jahre an der Spitze der Regierung. Jacques Santer brachte es auf zehn Jahre. Sollte Juncker bis zum Ende dieser Legislaturperiode durchhalten, wäre er am zweitlängsten im Amt.

Juncker führte 1995 die CSV/LSAP-Koalition weiter, die bei den Wahlen 1994 bestätigt worden war. Auch die Regierungserklärung, die Jacques Santer noch vorgetragen hatte, schrieb er nicht um, sondern interpretierte sie nur leicht anders. Ein Politikwechsel stand demnach im Januar 1995 nicht zur Debatte. Allerdings sollte sich der Politikstil ändern. “Ich will Jacques Santer nicht nacheifern. Ich glaube nicht, dass irgend jemand erwartet, ich würde mich als Landesvater entpuppen. Dafür braucht man ein gewisses Alter, menschliche Reife. Ich kann mich nicht älter machen als ich bin“, meinte Juncker im Télécran-Interview zum Amtsantritt.

Zu den neuen Akzenten gehörten eine moderne Frauenpolitik (Schaffung eines Frauenministeriums), Maßnahmen zu einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben (Elternurlaub), eine Beschäftigungsoffensive (PAN-Gesetz) und eine voluntaristische Kooperationspolitik. Die Beziehungen zwischen Parlament und Regierung sollten verbessert werden. Als “Regierung des Dialogs” stellte Juncker die erneuerte CSV/LSAP-Mannschaft im Parlament vor.

“Frësch Loft”

Die Jugendorganisation der CSV hatte bereits nach den Wahlen zu Veränderungen aufgerufen, immerhin hatte ihre Partei bei den Wahlen 1994 das schlechteste Ergebnis seit 1974 hingelegt. “Frësch Loft” wurde verlangt. Die CSV dürfe nicht zu einem “Premierwahlverein” verkommen, mahnten die Jungpolitiker und dachten dabei wohl an ihre deutsche Schwesterpartei.

Der Wechsel ermöglichte ein größeres Stühlerücken. Jean Spautz verließ die Regierungsmannschaft und übernahm den Parlamentsvorsitz von Erna Hennicot-Schoepges, die ihrerseits zu Ministerehren gelangte und fürs Bildungsressort zuständig wurde. Kaum in Amt und Würden hatte sie einen Schülerstreik rund um die Jumbo-Karte zu managen.

Zur Überraschung vieler Beobachter wurde der junge CSV-Abgeordnete Michel Wolter zum Innenminister und Minister für den öffentlichen Dienst berufen. In dieser Funktion sollte er das “projet phare” der Koalition in die Wege leiten, die Reform der Staatsbeamtenpensionen. Die Annäherung zwischen privatem und öffentlichem Rentenwesen, trat eine der größten Protestwellen los, die das Land je erlebt hatte. 40 000 öffentliche Bedienstete säumten den Knuedler, als das Parlament die Reform im Juli 1998 verabschiedete. Ihren Unmut hoben sich die Beamten bis zu den Wahlen 1999 auf und sorgten für einen Regierungswechsel. Eine gestärkte DP nahm den Platz der Sozialisten ein, neben einer CSV, die nicht wesentlich von einem Premier-Bonus hatte profitieren können. Missmutig ging Juncker die Zweckehe mit der Polfer-Partei ein.

In den nächsten fünf Jahren sollte Juncker seine Vormachtstellung sowohl in der Regierung als auch in der Partei weiter ausbauen. Der “Chef” bestimmt die Agenda. Der liberale Koalitionspartner hatte diesem Führungsanspruch wenig entgegenzusetzen. Bei den Wahlen im letzten Jahr glückte der CSV dann, was ihr 1999 versagt geblieben war. Sie setzte voll auf die Juncker-Karte und erstrahlte in neuem, orangefarbenem Glanz.

Entgegen wilden Spekulationen folgte der Premier aber bisher nicht dem Ruf nach Brüssel, sondern hielt Wort und bildete nach erfolgreicher Wahl eine Koalition mit der LSAP. In seinem Schatten profilieren sich potenzielle Kronprinzen, obwohl der Premier sich jede Debatte über seine Nachfolge verbietet. Sollte allerdings das Referendum über den EU-Verfassungsvertrag nicht nach Wunsch ausfallen, könnte sich die Frage eher stellen, als so manchem in der Partei lieb ist. Wie er beim traditionellen Weihnachtsinterview zu verstehen gab, würde er bei einem Nein zur Verfassung die Regierungsgeschäfte niederlegen. Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres macht der Premier somit eine Volksabstimmung indirekt zu einem Votum zu seiner Person.

Mit 50 Jahren ist Juncker der dienstälteste Regierungschef der EU und führt Luxemburg zum zweiten und letzten Mal durch eine Ratspräsidentschaft. Die Aufgaben die vor ihm liegen, sind nicht eben beneidenswert. Nach sechsmonatigem Présidence-Stress, gilt es die Luxemburger von der Verfassung zu überzeugen und die Gemeinderatswahlen zu meistern. Es sei denn …

Laurent Zeimet im Luxemburger Wort vom 3. Januar 2005