Wie kann man kriminellen Grenzgängern und internationalen Terroristen das Handwerk legen? Im Gespräch mit Télécran-Journalist Luc Marteling plädiert Justizminister Luc Frieden für die schnellstmögliche Einführung eines europäischen Vorstrafenregisters.
Wie kann man kriminellen Grenzgängern und internationalen Terroristen das Handwerk legen? Im Gespräch mit Télécran-Journalist Luc Marteling plädiert Justizminister Luc Frieden für die schnellstmögliche Einführung eines europäischen Vorstrafenregisters.
Télécran: Wie kann es sein, wie im Fall Michel Fourniret geschehen, dass ein in Frankreich einschlägig vorbestrafter Sexualtäter in Belgien als unbescholten gilt?
Luc Frieden: Erklären lässt sich dies durch den unzulänglichen Austausch an Informationen zwischen den Ländern der Europäischen Union. Wenn sich zum Beispiel ein Ausländer in Luxemburg niederlassen will, dann erfahren wir nichts über dessen strafrechtliche Vergangenheit. Außerdem ist rechtlich nicht geklärt, welche Auswirkungen es haben kann, wenn ein Ausländer schon einmal verurteilt wurde, seine Strafe aber bereits verbüßt hat.
Télécran: Europa hin oder her – Vorstrafenregister werden also bis heute …
Frieden: … nationalstaatlich geführt. Das “Casier judiciaire” trägt, wenn man so will, nur nationalen Strafen Rechnung.
“Kein Patentrezept”
Télécran: Was bleibt denn zu tun, um kriminellen Grenzgängern wie Fourniret in Zukunft rascher das Handwerk zu legen?
Frieden: Ein Patentrezept gibt es nicht, dafür ist die Materie einfach zu komplex. Wenn das Vorstrafenregister auf eine europäische Ebene gehoben werden soll – und der Meinung bin ich absolut -, dann gilt es drei Fragen zu beantworten. Erstens: Welche Strafen werden registriert? Zweitens: Wer hat Zugriff auf das Register? Drittens: Welchen Einfluss können bereits verbüßte Strafen haben, wenn Straffälliggewordene im Ausland leben oder arbeiten möchten? Letzteres spielt für Luxemburg eine wichtige Rolle. Trotzdem werden sich die europäischen Justizminister in den genannten Punkten so schnell nicht einig sein. Es gibt einfach zu viele Fragen zum Datenschutz.
Télécran: Ganz direkt gefragt: Hätten die belgischen Behörden Fournirets Vergangenheit gekannt, wären sie ihm dann früher auf die Schliche gekommen?
Frieden: Das ist schwer zu sagen, denn noch sind nicht alle Elemente des schrecklichen Falles bekannt. Eine Frage stellt sich in diesem Zusammenhang aber schon jetzt: Kann ich jemandem aufgrund einer Verurteilung im Ausland den Zugang zu einem Beruf hier zu Lande verwehren? Ich meine Ja! Ein Beispiel: Wenn jemand wegen eines Sexualdelikts im Ausland verurteilt wurde, will ich verhindern, dass eine solche Person hier mit Kindern arbeiten darf.
Télécran: Ohne rechtliche Grundlage …
Frieden: … geht hier aber gar nichts! Es reicht also nicht aus, dass wir die Informationen bekommen. Wir müssen auch wissen, wie wir damit umzugehen haben. In einem Gesetzvorschlag zum Opferschutz habe ich deshalb den eben angesprochenen Punkt eingebracht. Die neue Regierung wird daran festhalten.
Ausbau des europäischen Rechtsraum
Télécran: Stichwort Europa: Wie kann es sein, dass sich Menschen in Europa ungehindert bewegen können, die Justiz an den nationalen Grenzen aber Halt zu machen scheint und es nicht zu einem Informationsaustausch kommt?
Frieden: Das ist genau der Punkt. In meinen Augen ist das nämlich nicht hinnehmbar! Deshalb plädiere ich schon seit Jahren für einen europäischen Rechtsraum. Nicht ohne Grund habe ich die Frage nach Auszügen aus ausländischen Strafregistern in zwei luxemburgischen Gesetzen thematisiert: Wenn jemand die luxemburgische Nationalität annehmen will oder wenn sich ein Nicht-Luxemburger bei einer privaten Sicherheitsfirma bewirbt, ist ein “Extrait du casier judiciaire” aus dem Heimatland vorzulegen. Das ist meiner Meinung nach die beste gangbare Lösung, um etwas über die Vergangenheit von Personen zu erfahren. Es kann doch nicht angehen, dass wir im Ausland vorbestrafte Diebe zu Sicherheitsleuten machen. Und ich bin auch dagegen, dass verurteilte Sexualtäter die luxemburgische Nationalität bekommen!
Télécran: Sie selbst haben also keinen Zugriff auf die Vorstrafenregister von Ausländern?
Frieden: Im Prinzip nicht – höchstens über die komplizierten Regelungen der internationalen Rechtshilfe. Deshalb sehen die beiden Gesetze auch vor, dass die ausländischen Bewerber einen Auszug aus ihrem Strafregister vorlegen müssen – wir brauchen ihn also nicht zu beschaffen. Das nationale Register macht in dieser Hinsicht natürlich weit weniger Probleme.
Sicherheit und Freiheit: “Eine der größten Herausforderungen Europas”
Télécran: Die Zusammenarbeit im Bereich Inneres und Justiz soll neben der Wirtschafts- und Währungsunion sowie der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik die dritte Säule der Europäischen Union sein. Besteht hier nicht akuter Nachholbedarf?
Frieden: Wenn wir Kriminellen das Leben schwer machen wollen, brauchen wir mehr Europa bei Polizei und Justiz. Sicherheit und Freiheit gehen immer zusammen und stellen zurzeit eine der größten Herausforderungen Europas dar. Nach der Erweiterung der Union muss nun die Vertiefung – vor allem in diesen Bereichen – kommen. Die Antwort auf die Frage der Sicherheit liegt eindeutig in Europa! Aber die Staaten müssen bereit sein, sich mit den richtigen Rechtsmitteln zu wappnen. Ohne die geht es nicht.
Télécran: Wie lässt sich das Zögern der Nationalstaaten erklären?
Frieden: Wir greifen hier in althergebrachte Traditionen ein und davor sträuben sich viele. Bisher mussten in diesen Bereichen alle Beschlüsse einstimmig gefasst werden. Genau vor diesem Hintergrund unterstützt die Luxemburger Regierung die neue europäische Verfassung, die besagt, dass hier ab 2007 eine qualifizierte Mehrheit ausreicht – den politischen Willen vorausgesetzt. Aber wie auch immer: Unsere Sicherheit hängt davon ab, wie wir in dieser Frage weiterkommen. Nur ein Austausch von Informationen kann uns helfen, die Kriminalität besser zu bekämpfen … Es ist zwar schade, dass man es sagen muss, aber manchmal helfen solche Tragödien wie der 11. September oder der Fall Fourniret die Prozeduren zu erleichtern und zu beschleunigen.
“Europäisches Vorstrafenregister mit gemeinsamen Regeln”
Télécran: Was würde ein europäisches Vorstrafenregister konkret bringen?
Frieden: Ein europäisches “Casier judiciaire” ist ein Mittel von vielen. Als Luxemburger Justizminister vertrete ich in Brüssel die Meinung, dass wir ein europäisches Vorstrafenregister mit gemeinsamen Regeln brauchen: Was gehört hinein? Wer hat darauf Zugriff? Und welche Auswirkungen können Einträge haben? Kurzfristig ist eine solche Harmonisierung und Zusammenlegung der Strafregister aber nicht zu haben, also bleibt als Alternative die Vernetzung, die ja jetzt in Angriff genommen wird, auch wenn noch viele technische wie juristische Fragen offen sind. Sollte eine europäische Lösung zu lange auf sich warten lassen, werden wir die Möglichkeit prüfen, uns nationalen Vorstößen wie zum Beispiel dem von Deutschland, Frankreich und Spanien anzuschließen. Das ultimative Ziel muss aber ein gemeinsames Vorstrafenregister bleiben, auch wenn es vielleicht erst in 20 Jahren erreicht werden kann, denn dazu sind ja identische Gesetze in den Mitgliedsstaaten vonnöten. Unter luxemburgischer Ratspräsidentschaft sollten wir dies zu einer unserer Prioritäten machen!
“Schutz der Privatsphäre”
Télécran: Wer sollte denn Ihrer Meinung nach Zugriff auf so ein Register haben?
Frieden: Es darf auf jeden Fall kein öffentliches Register werden, immerhin geht es hier auch um den Schutz der Privatsphäre. In verschiedenen Bereichen müssen aber der Staat und unter Umständen auch der Arbeitgeber Einblick haben – wenn es zum Beispiel darum geht, Posten in Krippen, Kindergärten oder Schulen zu besetzen und zu schauen, ob keine Sexualdelikte vorliegen. In anderen Sparten sind andere Beispiele von Überprüfungen denkbar.
Télécran: In den USA gibt es ein umstrittenes Gesetz – “Megan’s Law” – das Anwohnern mitteilt, ob in ihrer Nachbarschaft ein Sexualstraftäter wohnt. Was halten Sie davon?
Frieden: Ich bin gegen so eine Regelung. Natürlich muss der Staat präventiv und repressiv agieren. Das heißt aber noch lange nicht, dass alle Datenbanken öffentlich zugänglich sein müssen. Wenn eine Strafe verbüßt ist, kann diese Person nicht bis an ihr Lebensende öffentlich an den Pranger gestellt werden. Diesen Grundsatz bei verschiedenen Delikten außer Kraft zu setzen, halte ich für nicht gangbar. Einen generellen Zugriff kann es nicht geben.
Interview von Luc Marteling aus Télécran, 28. Juli 2004