Eine stabile Regierung braucht eine starke CSV

CSV-Präsident François Biltgen und Generalsekretär Jean-Louis Schiltz im LW-Interview

Wie keine andere Partei scheint die CSV im Hinblick auf die Parlamentswahlen vom nächsten Sonntag den Wind in den Segeln zu haben. Für Präsident François Biltgen und Generalsekretär Jean-Louis Schiltz ist dies dennoch kein Grund zu Übermut und voreiligem Triumphalismus. Im LW-Interview verweisen sie auf die Erfahrung, die Kompetenz und die Regenerationsfähigkeit einer Partei, deren Regierungspräsenz eine wichtige Voraussetzung dafür sei, dass Luxemburg auch weiterhin mit einer stabilen Regierung die politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen einer neuen Zeit meistern könne. Deshalb komme es darauf an, dass auch wirklich jeder, der sein Vertrauen in die CSV setze, ihr am Sonntag seine Stimmen gebe.

Luxemburger Wort: Herr Biltgen, Herr Schiltz. Niemand zweifelt offenbar an einem deutlichen Sieg der CSV am nächsten Sonntag. Sie können sich also beruhigt zurücklehnen und abwarten ?

François Biltgen: Ich werde nicht müde zu betonen, dass die Meinungsumfragen unser größter Feind sind. Unsere Wählergunst lag 1999 mit 30 Prozent auf einem historischen Tief. Wer nun glaubt, er brauche bloß noch über unseren nächsten Koalitionspartner abzustimmen, da die CSV sowieso die neue Regierung anführen werde, trägt dazu bei, dass es zu einer Ampelkoalition kommen wird.

Nicht die Zeit für Experimente

LW: Wäre das denn so schlimm, eine Ampelkoalition?

F. Biltgen: Ja natürlich, weil jetzt nicht die Zeit für Experimente ist. In der derzeitigen Situation braucht Luxemburg eine stabile Regierung mit einem sauberen Programm, das auf Erfahrung und Kompetenz beruht. Das ist nur mit einer starken CSV und einem Premierminister Jean-Claude Juncker denkbar.

Jean-Louis Schiltz: Im Übrigen darf man nicht verkennen, dass es genauso darum geht, eine starke Mannschaft um Jean-Claude Juncker zu wählen, in allen Bezirken. Um die Politik durchsetzen zu können, die in der öffentlichen Meinung offenbar gut ankommt, muss er weiterhin auf eine starke Unterstützung im Parlament zählen können.

LW: Betrachtet man allerdings Ihre Wahlkampagne, dann setzt die CSV doch vor allem auf die Trumpfkarte Juncker, so als ob es an personellen Alternativen fehlte ?

F. Biltgen: Selbstverständlich brauchen wir uns nicht zu schämen, dass wir einen solch kompetenten, im In- und Ausland hoch geachteten Politiker wie Jean-Claude Juncker in unseren Reihen haben. Er ist eine Trumpfkarte, die wir ausspielen sollen, weil er die Kompetenz unserer Partei personifiziert. Doch in unserer Kampagne kommen sowohl unser Spitzenkandidat als auch die Partei mit ihrem Programm zur Geltung. Die “55 Argumenter fir Lëtzebuerg” illustrieren doch sehr deutlich die Kompetenz, den Innovationsgeist sowie die fachliche und personelle Qualifikation der CSV. Wir verweisen auf die vielen guten Gründe, in allen Bezirken die CSV und ihre hervorragenden Kandidaten zu wählen. Denn jede Stimme für einen CSV-Kandidaten ist auch eine Stimme für Jean-Claude Juncker.

Großer Zulauf

J.-L. Schiltz: Wenn man sich etwas näher mit unserer Kampagne beschäftigt, stellt man fest, dass die Leute, die unsere Wahlversammlungen besuchen, unsere Partei als ein homogenes Ganzes erleben – und dem ist auch so. Man spürt das Vertrauen und die Erwartungen, die der CSV als einer Partei der Breite, einer Volkspartei eben, entgegengebracht werden. Der Zulauf und das Interesse sind sehr groß. In unsere Wahlveranstaltungen kommen zwischen 50 und 500 Personen. In allen Bezirken spüren wir, dass die Menschen an uns glauben.

LW: Die CSV ist jetzt 25 Jahre in der Regierungsverantwortung. Wie steht es um die innere Regeneration der Partei? Vor nunmehr 30 Jahren, 1974, begab sie sich, teils vom Wähler gedrängt, teils freiwillig, in eine heilsame Oppositionskur nach drei Jahrzehnten in der Regierung.

J.-L. Schiltz: Wir haben natürlich aus der Vergangenheit gelernt. Ich verweise nur auf die konsequente statutarische und vor allem programmatische Erneuerung der CSV. Insbesondere unter der Präsidentschaft von Erna Hennicot-Schoepges und François Biltgen hat ein weitreichender innerparteilicher Diskussionsprozess stattgefunden, der von der Ebene der Lokalsektionen bis zum Nationalvorstand reichte und zu einer globalen thematischen Ausrichtung auf die wechselnden Probleme einer sich wandelnden Gesellschaft führte. Das neue Grundsatzprogramm ist der Beweis für die Regenerationsfähigkeit der Partei. Wie im Übrigen auch die anhaltend steigende Mitgliederzahl, die inzwischen bei 9 800 liegt, ein Indiz dafür ist, dass die CSV gut beim Bürger ankommt. Gut und, erwiesenermaßen, immer besser.

Volkspartei im Spannungsfeld

LW: Sie müssen aber zugeben, dass Ihre Kandidatenlisten sehr heterogen sind. Wie passt das inhaltlich zusammen, wenn Sie z. B. einen Vertreter des Bankenpatronats und einen Gewerkschaftssekretär präsentieren? Die haben ja wohl keine weiteren Gemeinsamkeiten, als dass sie zurzeit bevorzugt Krawatten in Orange tragen?

F. Biltgen: Aber hören Sie mal, gerade unsere Listen zeigen doch, dass die CSV eine echte Volkspartei ist, in der jeder seinen Platz hat. Der Banker hat sicherlich auch ein soziales Gewissen und der Gewerkschafter weiß, dass es ohne leistungsstarke Wirtschaft nichts zu verteilen gibt. Unsere Partei lebt vom Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Kompetenz und sozialer Verantwortung. Auf die orangefarbenen Krawatten bezogen: Ich finde es inspirierend, wenn auf der einen kleine blaue Pünktchen und auf der anderen zarte rote Streifen für modische Kontraste sorgen. Ein diskreter grüner Tupfer kann übrigens auch nicht schaden.

J.-L. Schiltz: Um erfolgreich zu sein, müssen vielerlei Kompetenzen gebündelt werden. Das Resultat spiegelt sich in unserem Programm wider. Es ist kein Allerweltsprogramm, in dem jeder sich seine Bonbons aussuchen kann, aber eine gelungene Synthese, kurz: der Stoff, aus dem gute Politik gestrickt ist.

Reformfreudige Regierung

LW: Zu Ihrem Koalitionspartner. Wie war das Klima im schwarz-blauen Bündnis?

F. Biltgen: Wir hatten eine gute Kooperation, wesentliche Punkte des gemeinsamen Programms wurden umgesetzt. Es war eine reformfreudige Regierung, von Stillstand keine Spur. Denken Sie nur an die jüngsten Reformen: Kollektivvertragswesen, Pressegesetz, Geheimdienst, Partnerschaftsgesetz – das lässt sich doch sehen.

J.-L. Schiltz: Ich erinnere an die Steuerreform, ein großer Wurf, von dem alle profitierten, die Privatpersonen und die Betriebe. Ich bin nur irritiert, wenn die DP jetzt, vom Wahlfieber gepackt, die Verdienste von zwei CSV-Ministern für sich allein beansprucht.

Schulpolitik braucht Zeit

LW: Wie beurteilen Sie denn die liberale Bildungsoffensive?

F. Biltgen: Ich verweise auf den Ausspruch von Jean-Claude Juncker bei der LW-Elefantenrunde. So wie er habe ich nie an das Schlagwort der Bildungsoffensive geglaubt, weil es den falschen Eindruck vermittelt, als könnte man von heute auf morgen eine neue Welt erobern. Das stimmt natürlich nicht, wie wir alle wissen. Schulreformen benötigen in der Regel zwei Legislaturperioden, ehe man sieht, was sie gebracht haben. Die positiven Akzente, die Erna Hennicot-Schoepges seinerzeit gesetzt hat – Neuregelung der Berufsausbildung, Einführung der “éducation précoce” -, machen sich erst jetzt bemerkbar.

An Werten orientiert

LW: Sie haben vorhin das neue CSV-Grundsatzprogramm angesprochen. Wollen Sie damit in neue Wählergruppen vorstoßen?

J.-L. Schiltz: Das war nicht unsere erste Absicht. Doch wenn wir das Interesse von Leuten geweckt haben, die sich bislang nicht direkt zu uns hingezogen fühlten, umso besser. In erster Linie ging es uns um die Grundsätze, nach denen wir unsere Politik ausrichten wollen. Wir sind eine Partei, die für gewisse Werte steht: Humanität, Toleranz, Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit – “jidder Eenzelen zielt”. Auf diese Werte muss man sich von Zeit zu Zeit neu besinnen, und man muss sie im Lichte der Veränderungen in der Welt neu deklinieren. Ein Beispiel: die Globalisierung. Davon sprach vor 15 Jahren noch niemand. Wer heute jedoch keine Antworten auf diese Fragen parat hat, etwa zur sozialen Dimension der Globalisierung, der hat in der Politik eigentlich nichts verloren.

F. Biltgen: Die Grundsatzdiskussion hat eine enorme Dynamik entfacht. Sie hat unsere interne Programmarbeit beflügelt. Nie zuvor waren so viele engagierte Mitglieder an der Ausarbeitung des Wahlprogramms beteiligt. Auch sind in letzter Zeit zahlreiche Jugendliche zu uns gestoßen. Viele kommen gerade deshalb, weil sie sich eine wertorientierte Politik wünschen. Zugleich verkörpern sie die veränderte Gesellschaft, in der wir leben. Es ist daher ganz evident, dass die CSV heute zum Teil andere Antworten gibt als vor 30 Jahren. Die “alte Tante” CSV gibt es nicht mehr.

Kein einfacher Weg

LW: Ihr Wahlslogan heißt “De séchere Wee”, als Wahlgeschenk verteilen Sie den Karabinerhaken, der auf einem Ihrer Plakate abgebildet ist. Fördern Sie mit dieser Botschaft nicht die leidige Vollkaskomentalität?

F. Biltgen: Der “séchere Wee” ist kein einfacher Weg. Er ist nicht statisch, dreht nicht im Kreis herum. Unser Weg weist nach vorne, er verspricht Reformen. Manchmal zieht er auch steil bergauf, verlangt Anstrengungen. Ein Beispiel: das IVL, das Integrative Verkehrs- und Landesentwicklungskonzept – oder wie Michel Wolter sagt: das Luxemburg der kurzen Wege – ist das Gegenteil des bequemen, aber kurzsichtigen Status quo, der in der Sackgasse mündet. Das IVL fordert jeden Einzelnen zum Umdenken heraus.

J.-L. Schiltz: Wir verstehen den “séchere Wee” als einen globalen Auftrag: stabile Staatsfinanzen, eine kompetitive Wirtschaft, ein starker Mittelstand und ein festes Sozialnetz.

Weichen richtig gestellt

LW: Im benachbarten Ausland ? wie Deutschland oder Frankreich ? appellieren die Politiker an die Reformbereitschaft der Bevölkerung, drastische, aber angeblich blutnotwendige Einschnitte im Sozialwesen zu schlucken. Nicht so in Luxemburg. Offenbar leben wir hier auf einem anderen Stern ?

F. Biltgen: Nein, nein. Die Länder, die Sie ansprechen, haben nicht beizeiten die Reformen durchgeführt, mit denen sie ein stabiles Fundament für ihre Sozialversicherungen geschaffen hätten. Sie betreiben heute Sozialabbau, weil sie keine Reserven mehr haben. In Luxemburg haben wir das Rentensystem vor über 20 Jahren so reorganisiert, wie es richtig war. Dennoch müssen wir die Dinge ständig hinterfragen und auf ihre Zukunftssicherheit abklopfen.

Was ich Ihnen auch versichern kann: Mit der CSV kommt ein Abbau des Arbeitsrechts nicht in Frage. Wenn wir den Kündigungsschutz lockerten, würden von heute auf morgen viele ältere Einheimische arbeitslos und durch jüngere Grenzgänger ersetzt. Das wäre unsinnig und unsozial, das ist nicht unser Weg.

J.-L. Schiltz: Trotz hoher Sozialstandards ist unsere Wirtschaft in puncto Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit die Nummer 1. In vielen internationalen Studien belegt Luxemburg einen Spitzenplatz. Wir wollen unser Bestes geben, damit das so bleibt.

LW: Meine Herren, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Luxemburger Wort vom 9.6.2004