Luxemburgs atypischer Arbeitsmarkt unter der Lupe

LW-Interview mit François Biltgen, Minister für Arbeit und Beschäftigung

LW-Interview mit François Biltgen, Minister für Arbeit und Beschäftigung

Die Arbeitslosigkeit ist eines der Themen, die in der heißen Phase des Wahlkampfs sicher für Gesprächsstoff sorgen werden. Über die Beschäftigungspolitik und die atypische Lage am Luxemburger Arbeitsmarkt (mehr Jobs – mehr Erwerbslose) unterhielt sich das Luxemburger Wort mit Minister François Biltgen. Für ihn ist nicht zuletzt eine möglichst individuelle Betreuung der Arbeitsuchenden das A und O erfolgreicher Beschäftigungspolitik.

Luxemburger Wort: 1999 lag die Arbeitslosenquote – auf zwölf Monate gerechnet – im Durchschnitt bei 2,9 Prozent. Mittlerweile ergibt sich ein Jahresdurchschnittswert von 4,1 Prozent. Was sind die Gründe für diesen doch heftigen Anstieg der Erwerbslosenquote? Hat die Politik geschlafen?

François Biltgen: Nein, geschlafen haben wir ganz sicher nicht. – Der Anstieg der Arbeitslosigkeit ist eindeutig auf die internationale Verlangsamung der Konjunktur zurückzuführen. Wobei man bedenken muss, dass zwischen 1999 und heute mehr als 43 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen worden sind . Sogar im vergangenen Jahr, in denkbar ungünstigem ökonomischen Fahrtwasser , entstanden 5 000 zusätzliche Jobs.

LW: Aber parallel dazu stieg die Zahl der Arbeitslosen.

F. Biltgen: Ja, doch man muss wissen – in diesem Punkt sind sich die Experten eins – dass, ein Land wie Luxemburg eigentlich ein Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent bräuchte, um Arbeitslosigkeit überhaupt wirksam abbauen zu können . Das soll allerdings keine Entschuldigung sein. Nein, wir haben neue Jobs geschaffen . Das Ziel lautet nun, die freien Stellen mit den Leuten zu besetzen, die keine Stelle haben und arbeiten wollen.

Aktion auf drei Ebenen

LW: Und wo muss dabei angesetzt werden?

F. Biltgen: Auf drei Ebenen. Erstens muss die Zusammenarbeit mit den Betrieben noch vertieft werden. Zweitens müssen Mobilität und Flexibilität der Arbeitslosen gefördert werden. Drittens müssen Formations- und Umschulungsangebot ausgeweitet werden. Übrigens waren wir in den vergangenen Jahren auf allen drei Ebenen aktiv.

LW: Stichwort Flexibilität und Mobilität. Was heißt das konkret?

F. Biltgen: Dass nicht jeder den Traumjob erhalten kann, den er sich wünscht , und demnach in Kauf nehmen muss, zumindest zeitweise in einem Sektor zu arbeiten , der nicht seinem ursprünglichen Berufsziel entspricht.

LW: Noch konkreter.

F. Biltgen: Also, in den letzten Jahren gingen im Finanzsektor netto an die 1 200 Jobs verloren. Im Horeca-Bereich werden dagegen dringend Leute gebraucht . Freie Stellen auf der einen, Leute die ihre Arbeit verloren haben auf der anderen Seite. Daraus müsste sich eigentlich etwas machen lassen. Natürlich bedarf es angepasster Rahmenbedingungen, vor allem in Sachen Ausbildung und/oder Umschulung . Dafür sind wir verantwortlich. Und daran arbeiten wir auch intensiv. Interessante Erfahrungen konnten wir bei einem spezialen Umschulungsprogramm für Angestellte des mittleren Bankmanagements gewinnen. Diese wurden zu Fachkräften im Bereich Hotelmanagement ausgebildet.

LW: Das alles setzt natürlich eine individuellere Betreuung der Arbeitslosen voraus.

F. Biltgen: Eben, und auf eine solche wollen wir auch weiter gezielt bauen . Dazu gehört auch die sozialen Kompetenzen der Arbeitsuchenden zu fördern . Das tun wir schon seit längerer Zeit. Beispielsweise im Rahmen des so genannten “Club emploi”, wo Arbeitslosen u.a. Hilfestellung im Vorfeld von Einstellungsgesprächen geboten wird.

Auf die Großregion angewiesen

LW: Zurück zu den 5 000 neuen Jobs, die 2004 geschaffen worden sind . Diese wurden hauptsächlich von Grenzgängern besetzt.

F. Biltgen: Man darf nicht vergessen – um eine abgedroschene Floskel zu gebrauchen – dass Luxemburg keine Insel ist. Wir leben im Herzen einer Großregion , mit etwa einer halben Million Arbeitslosen. Daraus ergibt sich ein evidenter Druck auf den hiesigen Arbeitsmarkt. Dabei sind wir in erheblichem Maße abhängig von Arbeitskräften aus der Großregion. Vor 20 Jahren gab es mehr als 50 Prozent weniger Jobs in Luxemburg wie heute. Ohne die Großregion und ihre Arbeitskräfte hätte das Land niemals den Aufschwung gekannt, zu dem es gekommen ist.

LW: Wobei die Leute aus der Großregion die billigeren Arbeitskräfte sind.

F. Biltgen: Das sei einmal dahingestellt. Vielleicht sind die von Ihnen angesprochenen ausländischen Arbeitskräfte eher dazu bereit, Abstriche zu machen, als die in Luxemburg Wohnhaften. Hinzu kommt, dass immer mehr Ausländer in den Chefetagen sitzen. Wenn eingestellt wird, ist das für die hiesigen Arbeitsuchenden nicht immer von Vorteil. Deshalb versuchen wir auch den Kontakt mit den Unternehmen , die einstellen, zu verbessern. Und das noch bevor Posten ausgeschrieben werden.

LW: Herr Biltgen, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Aus: Luxemburger Wort vom 26.5.2004