Nach den Wahlen im Juni tritt Parlamentspräsident Jean Spautz von der politischen Bühne des Großherzogtums ab. Am Freitag wird der 73-Jährige in der Châmber verabschiedet
Vom Arbeiter zum ersten Bürger des Landes: Auch 45 Jahre nach seinem Einstieg in die Politik verkörpert Jean Spautz am liebsten den volksnahen Politiker, der mitunter das Herz auf der Zunge trägt .
Klare und viele Worte hat er schon immer geliebt. Um den heißen Brei herum reden war noch nie sein Ding. Nein, die Lust an der Politik hat er noch nicht verloren , obwohl er in 45 Jahren mehr erreicht hat, “als ich mir vorgenommen hatte” und die meisten seiner gleichaltrigen Freunde und Bekannten längst im Ruhestand sind und einen guten Teil ihrer Freizeit mit “ihren Frauen in Palma verbringen”.
Doch weder Palma noch schleichende Politikmüdigkeit sind schuld daran, dass Jean Spautz nach den Wahlen am 13. Juni die Politbühne des Großherzogtums verlassen wird. Der Entschluss, sich nicht noch einmal für einen Sitz im Luxemburger Parlament zu bewerben, hat etwas mit Ehrlichkeit und politischer Gradlinigkeit zu tun. Das ist die Botschaft, die Jean Spautz seinen Wählern und Fans vermitteln möchte.
Das Walzwerk war seine Uni
Eben hat er in der Abgeordnetenkammer den englischen Botschafter verabschiedet . Jetzt sitzt der Arbeitersohn Jean Spautz – dunkelblauer Anzug, sorgfältig gebundene rote Krawatte – in seinem Büro in der Rue du Saint Esprit und versucht zu erklären, weshalb die neuen Bürogebäude für das Parlament immer noch nicht fertig sind.
Auch beim Staat ist nun mal vieles kompliziert geworden. Die Wege in Luxemburg sind immer noch kurz. Die Verfahren heute aber lang. Früher war das noch anders . 1959 wurde Jean Spautz zum ersten Mal ins Parlament gewählt, Pierre Grégoire , damals Generalsekretär der CSV, hatte den Hüttenarbeiter sozusagen aus dem Walzwerk 7 der Arbed auf Belval weg engagiert. 45 Jahre später ist die Arbed , ist die Luxemburger Stahlindustrie die “Uni des Jean Spautz” geblieben, wie es ein Kenner der Spautz-Vita auf den Punkt bringt. Nie hat er versucht, die einfache Herkunft , die Zeit “op der Schmelz” zu leugnen. Im Gegenteil: Noch heute kokettiert der Self -made-Man komplexfrei mit seiner Arbeiter-Vergangenheit und mit seiner Arbeiter-Erfahrung .
Auf der anderen Seite glauben Spautz-Bekannte und Spautz-Kenner aber auch zu wissen , dass die “lebende Legende” (Jean-Claude Juncker über Jean Spautz) stets den Respekt und die Anerkennung für seine politischen Verdienste sucht. Spautz war immer das, was als politisches Naturtalent beschrieben wird. Und für einen Luxemburger (CSV-)Politiker ist seine Laufbahn auch keineswegs untypisch gewesen: Die Anfänge in der JOC, ( “Jeunesse ouvrière catholique”), der Vorsitz in der CSJ, der Vorsitz im LCGB, der Einzug ins Parlament, der Wechsel auf die Regierungsbank, schließlich der Aufstieg an die Spitze des Parlamentes – das alles entspricht eigentlich der klassischen Bilderbuch-Karriere eines klassischen Berufspolitikers. Die Ochsentour durch Gewerkschaft und Partei, durch Gremien, Kommissionen und Ausschüsse eingeschlossen .
Luxemburgs Antwort auf Franz Josef Strauss
Für seine Partei war und ist – siehe Europawahlen im Jahr 2004 – Jean Spautz seit mehr als vier Jahrzehnten ein zuverlässiger Stimmenlieferant. Auf den wie eh und je volksnahen Mann mit der Hüttenarbeiter-Biographie kann und will man nicht verzichten. Man weiß, was man an ihm hat. Jean Spautz, stellt beispielsweise Léon Zeches, Chefredakteur des “Luxemburger Wort”, fest, gehöre in die Liga jener selten werdenden Politiker, “die man ob ihres unerschütterlichen Festhaltens an ihren Prinzipien und ihres unermüdlichen Einsatzes für die Verwirklichung ihrer Ideale als politisches Urgestein zu bezeichnen pflegt. Ihre Überzeugungsarbeit äußert sich in ebenso eloquenten wie markigen Worten .” Léon Zeches vergleicht ihn in dieser Beziehung mit Franz Josef Strauß .
In der Tat: Mit wem auch immer man in Luxemburg über den scheidenden Parlamentspräsidenten spricht, spätestens nach drei Minuten kommt die Rede auf die Spautzsche Rhetorik . Am Rednerpult wurde er, ob in den frühen Jahren als Gewerkschaftspräsident bei einer 1.-Mai-Feier oder später als Innenminister bei der Einweihung einer neuen Sporthalle oder eines neuen Feuerwehrfahrzeugs, zum Maschinengewehr.
Heute, noch vor dem Rückzug aus der Luxemburger Politik, wird ihm aber auch bescheinigt, mit klaren Zielen und christlichem Engagement das Sozialprofil seiner Partei entscheidend und nachhaltig geprägt zu haben. Für Regierungschef Jean-Claude Juncker gehört Spautz zu jenen vier Männern, die sein politisches Weltbild entscheidend beeinflussten. Außer Spautz nennt Juncker noch seinen Vater sowie Helmut Kohl und Jacques Delors.
Der “Herr Werner”
Und Jean Spautz? Wer war sein Vorbild? Wer hat ihn geprägt? Lange muss man nicht mit dem 73-Jährigen sprechen, um eine Antwort auf diese Fragen zu finden . Immer wieder erwähnt Jean Spautz den Namen von Pierre Werner. Er spricht vom “Herrn Werner”. Die Achtung vor dem Mann schwingt in jedem Satz mit. Der Herr Werner “hatte früh erkannt, wie gefährlich es ist, in Luxemburg nur auf die Stahlindustrie zu setzen”.
Wieder die Stahlindustrie. Dort arbeitete nicht nur der Vater. Dort arbeitete nicht nur Jean Spautz. Mitte der Siebzigerjahre brach in Luxemburg dort auch ein Weltbild zusammen. Die große Krise war da. “Plötzlich mussten wir zurückrudern , wir führten die Solidaritätssteuer ein, machten das Benzin teurer, dachten uns die Tripartite und den Vorruhestand aus.”
Diese Jahre am Abgrund des Luxemburger Wohlstands haben den damaligen Präsidenten des LCGB bis heute geprägt. Beeindruckt hat ihn damals aber auch die Reaktion der Betroffenen. “Die Menschen verstanden und akzeptierten die Maßnahmen, die wir zusammen mit der Regierung trafen. Man darf die Menschen nicht für dumm verkaufen.” Und auch heute, fast 30 Jahre später, vertritt Jean Spautz die Auffassung , dass die heute nicht mehr unumstrittene Tripartite “kein Auslaufmodell” ist. Schließlich habe sie sich mehr als bewährt.
Militärdienst abgeschafft
Mit dem Namen von Jean Spautz bleiben auch wichtige Entscheidungen verbunden, die wenig bis überhaupt nichts mit der Stahlindustrie zu tun haben. Die Abschaffung des obligatorischen Militärdienstes etwa geht auf seine Initiative zurück . Er sorgte für eine Umverteilung der Gewerbesteuer zu Gunsten der Landgemeinden und zählt noch heute die Enteignung von Landbesitzern auf dem Kirchberg zu den wichtigsten Entscheidungen, an denen er mitwirkte. Mit den Enteignungen wurde der Grundstein für das Europaviertel am Rande der Hauptstadt gelegt.
Als 73-Jähriger muss Jean Spautz mittlerweile etwas kürzer treten. Wie früher schon der Innen- oder Familienminister Spautz kommt heute auch der Parlamentspräsident Spautz noch fast jeden Samstagvormittag ins Büro. Dann kann er in Ruhe Akten abarbeiten ( “Ich hasse nichts mehr als unfertige Dossiers”) und sich in kompliziertere Themen einarbeiten.
Gesundheitlich fühlt er sich immer noch in Form. Die Operation am Herzen vor einigen Jahren und die anschließende Rehabilitation in Bernkastel sind Vergangenheit . Er hat zehn Kilo abgenommen und ist schmal geworden im Gesicht. Mit 70 hat er aber auch Schwimmen gelernt. “Heute bereitet es mir enorme Freude, regelmäßig in der Mittagsstunde schwimmen zu gehen.”
Wie sagt er doch? Man muss lernfähig bleiben, stets bereit sein, Neues zu entdecken und zu verstehen. “Wer nichts wagt, der nichts gewinnt.”
Lesen Sie den vollständigen Artikel im Luxemburger Wort vom 21.5.2004