„Man bekämpft die Arbeitslosigkeit nicht durch Sozialabbau“

Minister François Biltgen zieht im Profil-Interview Bilanz seiner Regierungstätigkeit. Profil: “Herr Minister Biltgen, wie schätzen Sie als Arbeitsminister die weitere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ein?”

“Man bekämpft die Arbeitslosigkeit nicht durch Sozialabbau”

Minister François Biltgen zieht im Profil-Interview Bilanz seiner Regierungstätigkeit.

Profil: “Herr Minister Biltgen, wie schätzen Sie als Arbeitsminister die weitere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ein?”

François Biltgen: “Der Arbeitsmarkt hängt immer von der Konjunktur ab. Der Luxemburger Arbeitsmarkt ist außerdem in der Großregion eingebettet. Wir haben innerhalb von 20 Jahren unsere Arbeitsplätze verdoppelt. Da die Zahl der Luxemburger nicht zugenommen hat, konnten wir diese Arbeitsplätze nur dank der Grenzgänger besetzen. Allerdings bringen die 500.000 Arbeitslosen in der Großregion auch einen erhöhten Druck auf unseren Arbeitsmarkt, da bei unseren Nachbarn Arbeitsplätze vernichtet, bei uns hingegen geschaffen wurden. Dadurch steigt die Arbeitslosigkeit in Luxemburg in schwächeren Wirtschaftszeiten. Das macht mir Sorgen. Das will ich bekämpfen.”

Anpassung heißt Sozialdialog

Profil: “Sie sind als sozial denkender Politiker bekannt. Deregulierung am Arbeitsmarkt und Abbau von Arbeitnehmerrechten kein Thema für Sie?”

François Biltgen: “Nein. Man bekämpft die Arbeitslosigkeit in Luxemburg nicht durch Sozialabbau. Ein Abbau des Arbeitsrechts würde mehr Arbeitslose in Luxemburg und ein noch größerer Rückgriff auf Grenzgänger bedeuten. Das heißt nicht, dass das Arbeitsrecht nicht angepasst werden muss. Anpassung heißt aber nicht Abschaffung. Und Anpassung soll im Sozialdialog geschehen. Außerdem brauchen wir auch in Zukunft neue arbeitsrechtliche Regelungen für neue Probleme.”

Reform der Kollektivvertragsgesetzgebung

Profil: “Das Arbeitsleben ist in einem tiefgreifenden Umbruch und damit auch die Gewerkschaftslandschaft. Ende 2002 haben Sie die Reform der Kollektivvertragsgesetzgebung von 1965 auf den Instanzenweg gebracht. Können Sie uns die Schwerpunkte dieser Reform erläutern? Wird das Gesetzesprojekt noch vor Ende der Legislatur zur Abstimmung gebracht werden?”

François Biltgen: “Das Gesetzesprojekt wird am 18. Mai in der Kammer zur Sprache kommen. Die Hauptneuerungen sind:

– eine Stärkung des Begriffes der nationalen Repräsentativität

– die Einführung des Begriffes der sektoriellen Repräsentativität (besonders wichtig im Finanzsektor)

– die Festschreibung des Mehrheitsprinzips, das heißt ein Kollektivvertrag kann im Prinzip nur von Gewerkschaften unterschrieben werden, die auch die Mehrheit der betroffenen Arbeitnehmer vertreten

– die Ausweitung der Kompetenz des Schlichtungsamtes auf prinzipiell sämtliche kollektiven Auseinandersetzungen, im Gegenzug dazu kann kein Streik ohne vorherige Anrufung des Schlichtungsamtes ausgerufen werden; so stärken wir Sozialdialog und sozialen Frieden

– die Sozialpartner erhalten die Möglichkeit in Zukunft rechtsgeltende nationale Abkommen zu verschiedenen Themenbereichen (z. B. Telearbeit, Arbeitszeitorganisation, usw.) zu schließen, damit wir mehr Flexibilität im Arbeitsrecht bekommen ohne auf Rechtssicherheit zu verzichten.”

Reform der Gewerbeinspektion: proaktivere Gestaltung

Profil: “Ein weiteres wichtiges Reformprojekt, das Sie auf den Instanzenweg gebracht haben und das den arbeitsrechtlichen Rahmen an die großen Veränderungen in der Berufswelt anpassen soll, ist die Reform der Gewerbeinspektion. Was sind die Hauptakzente dieser, in vier Gesetzesprojekten gebündelten Reform?”

François Biltgen: “Die Hauptakzente sind:

– die Gewerbeinspektion proaktiver zu gestalten

– die Verzettelung der Funktionen der Gewerbeinspektion durch eine multisektorielle Zusammenarbeit zu ersetzen

– den Beamten der Gewerbeinspektion mehr Mittel zu geben

– den neuen Herausforderungen in der Arbeitswelt wie Mobbing z.B. und passives Rauchen besser zu entgegnen

– eine Schlichtung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern einzuführen, um die Zahl der Streitsachen vor Gericht zu reduzieren

– ein Tripartite Gremium als beratendes Organ einzuführen, um die Sozialpartner besser einzubinden.

Ich hoffe, dass sämtliche Gutachten schnellstens abgegeben werden, damit die Reform noch vor Ende 2004 gestimmt werden kann.”

“Man gehört nicht mit 50 Jahren zum alten Eisen”

Profil: “Die OECD-Studie über die Beschäftigungsperspektiven für ältere Arbeitnehmer auf dem luxemburgischen Arbeitsmarkt sorgte vor einigen Monaten für Diskussionsstoff unter den Sozialpartnern wie auch auf politischer Ebene. Sie haben im Zusammenhang mit dieser Studie einen Mentalitätswandel bei den Betriebsführern wie bei den Arbeitnehmern eingefordert …”

François Biltgen: “Wir haben zu wenige ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt. Dadurch wird der Rückgriff auf Grenzgänger noch größer, was wiederum die Gefahr mit sich bringt, dass in Betrieben in denen vornehmlich Grenzgänger arbeiten, auch in Zukunft nur Grenzgänger eingestellt werden. Allerdings gibt es keine einfachen Lösungen. Ein Abbau des Arbeitsrechts, wie von verschiedenen internationalen Experten gefordert, würde nur zu mehr älteren Arbeitslosen und zu der Einstellung von mehr jungen Grenzgängern führen. Die Lösung liegt in einem allgemeinen Mentalitätswechsel, der allerdings politisch begleitet werden muss: die Betriebe müssen bereit sein, die Erfahrung der älteren Arbeitnehmer als Chance anzusehen und die Arbeitnehmer dürfen nicht den frühzeitigen Austritt aus dem Erwerbsleben als erstrebenswert ansehen. Wir wollen deshalb den gleitenden Übergang von Erwerbsleben zur Pension verbessern und natürlich auch Stress und Murks auf dem Arbeitsplatz entgegenwirken. Man gehört nicht mit 50 Jahren zum alten Eisen.”

Modelltext Pressegesetz

Profil: “Herr Minister Biltgen, Sie sind ebenfalls delegierter Kommunikationsminister. In dieser Funktion haben Sie die Reform des Pressegesetzes auf den Instanzenweg gebracht. Was sind die maßgeblichen Innovationen dieser Reform?

François Biltgen: “Das Gesetz ist diese Woche zur Sprache gekommen. Wir haben ein modernes Gesetz geschaffen, das der europäischen Menschenrechtskonvention optimal entspricht und deshalb von europäischen Experten als Modelltext angesehen wird. Das Prinzip des Gesetzes ist es, die Pressefreiheit zu stärken, um damit das Recht des einzelnen auf Information zu stärken, ohne aber das Recht des einzelnen auf Schutz seiner Privatsphäre aufzugeben.”

Missbrauch verhindern

Profil: “Ein wichtiges Gesetz im Bereich der Kommunikation war mit dem Gesetz vom 2. August 2002 die grundlegende Reform der Datenschutzgesetzgebung. Ist der Schutz der persönlichen Daten in einer Gesellschaft und in einem Wirtschaftsgefüge in dem die Informations- und Kommunikationstechnologien rasant an Gewicht gewinnen, überhaupt noch zu gewährleisten?

François Biltgen: “Weil dieses Recht Gefahren ausgesetzt ist, brauchen wir Schutzbestimmungen, dies im Rahmen einer europäischen Harmonisierung. Wir sind allerdings über diesen europäischen Minimalrahmen hinausgegangen. So haben wir z.B. die Kameraüberwachung eingeschränkt. Kameras sind nötig, um die Sicherheit zu gewähren, auch auf dem Arbeitsplatz, aber ihren – oft festgestellten – Missbrauch gilt es zu verhindern.”

“Ehrgeiziges Programm”

Profil: “Stichwort: E-Lëtzebuerg. Wie situiert sich Luxemburg bei der Nutzung der Kommunikationstechnologien?”

François Biltgen: “Luxemburg ist in einer ganzen Reihe von Bereichen im Spitzenpeloton der EU aufzufinden:

– Internetbenutzer

– Internetanbindung der Schulen

– Sicherheit

– Kenntnisse der neuen Technologien auf dem Arbeitsmarkt, usw.

In der elektronischen Verwaltung hatten wir unwahrscheinlichen Nachholbedarf, was nicht nur aber auch mit der kleinen Taille der Luxemburger Verwaltungen zu tun hat. Obwohl wir noch Nachholbedarf haben, haben wir mit die größten Fortschritte innerhalb der EU zu verzeichnen und werden in Bälde ins Hauptpeloton aufschließen können.”

Profil: “Bei den neuen Technologien wird immer wieder die Gefahr der digitalen Zweiklassengesellschaft beschworen, d.h., dass beim Internet einige Bevölkerungsschichten den Anschluss verlieren und eine Informationskluft entsteht, die zu neuen sozialen Ungerechtigkeiten führt. Mit welchen Maßnahmen und Schritten versucht die Regierung dieser Gefahr gegenzusteuern?”

François Biltgen: “Die Informations- und Kommunikationsgesellschaft bietet allen eine riesige Chance, unter Voraussetzung das wir den Gefahren Einhalt bieten. Die größte Gefahr ist, dass die – jetzt schon bestehende – soziale Kluft noch wächst. Betroffen sind vor allem: die Älteren, die Hausfrauen, die weniger Ausgebildeten, die weniger Verdienenden, die Immigranten… Deshalb hat die Regierung ein ehrgeiziges Programm entwickelt, das in Zusammenarbeit mit den Gemeinden verwirklicht wird, die “Internetstuffen”. Flächendeckend werden diese “Stuben” nicht nur denjenigen, die keinen Internetanschluss haben oder wollen, die Möglichkeiten zum “Surfen” bieten, sondern vor allem publikumsgerechte Internetausbildung anbieten.”

“Neuen Wirtschaftssektor geschaffen”

Profil: “Am 10. Oktober vergangenen Jahres wurde zum ersten Mal der luxemburgische Filmpreis an die besten luxemburgischen Produktionen und Koproduktionen verliehen. Als delegierter Kommunikationsminister sind Sie der Hauptverantwortliche für die Gestaltung des rechtlichen Rahmens der Medien- und Filmproduktion. Sind Sie mit der Entwicklung der audiovisuellen Produktion in Luxemburg zufrieden? “

François Biltgen: “Ja, wir haben durch die gezielte direkte (Filmfonds) und indirekte (audiovisuelle Investitionszertifikate) Förderung einen neuen Wirtschaftssektor unterstützt, der mittlerweile rund 600 Filmschaffenden, darunter vielen Techniker, permanent die Chance auf Arbeit bietet. So haben viele einheimische Filminteressierte die Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen, den sie auch in Luxemburg ausüben können.”