Interview mit Fernand Boden
Profil: Herr Minister Boden, als Minister für Landwirtschaft – Weinbau und die Entwicklung des ländlichen Raumes, als Mittelstands- und Tourismusminister sowie als Wohnungsbauminister ist Ihr Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich äußerst breit gefächert. Vor dem Hintergrund der zu Ende gehenden Legislatur, welche Bilanz ziehen Sie?
Fernand Boden: “Wir haben in den einzelnen Politikbereichen gute Fortschritte gemacht. Gegenüber komplexen Herausforderungen haben wir differenzierte und angepasste Antworten formuliert. Im Rahmen der Umsetzung des Aktionsprogrammes für den Mittelstand wurden die Wettbewerbsfähigkeit und der Handlungsspielraum der mittelständischen Betriebe durch eine Vielzahl von Initiativen gestärkt.
Über den neuen 5-Jahresplan zur Förderung der Tourismusinfrastruktur wird der Tourismussektor bis 2007 mit finanziellen Mitteln in Höhe von 37,5 Millionen Euro unterstützt.
Schwerpunkte beim Wohnungsbau sind das Steuermaßnahmenpaket zur Dynamisierung des Wohnungsbaubereichs, die kräftige Aufstockung der staatlichen Beihilfen im Bereich des subventionierten Mietwohnungsbaus sowie die Reform des Mietgesetzes, die im vergangenen Herbst auf den Instanzenweg gebracht wurde.
Im Bereich von Landwirtschaft und Weinbau ist das Gesetz betreffend die ländliche Entwicklung vom 24. Juli 2001 hervorzuheben. Es fördert Produktqualität und Lebensmittelsicherheit, betriebswirtschaftliche Effizienz, Umwelt- und Tierschutz. In seiner Ausrichtung, welche die Nachhaltigkeit und die multifunktionelle Rolle der Landwirtschaft und mithin die Entwicklung des gesamten ländlichen Raumes in den Mittelpunkt stellt, orientiert es sich konsequent am europäischen Landwirtschaftsmodell, das unter Luxemburger EU-Vorsitz 1997 definiert wurde.”
Landwirtschaft und Weinbau: Strukturreformen greifen
Profil: Sie haben die Landwirtschaft angesprochen. Gerade sie war in den vergangenen Monaten mit Negativschlagzeilen konfrontiert. Stichwort: Agrozenter. Was ist Ihre Position in diesem schwierigen Dossier?
Fernand Boden: “Das Ziel der Regierung und des Landwirtschaftsministers ist es, einen starken agro-alimentairen Sektor mit vorgelagerten und weiterverarbeitenden Betrieben im Land zu halten. Die Regierung will das Gewicht der Bauern in der Lebensmittelkette stärken, indem sie sich dafür einsetzt, dass die Bauern in der Verarbeitung und Kommerzialisierung ihrer Produkte miteinbezogen bleiben. Es geht darum, eine zu große Abhängigkeit von mächtigen ausländischen Akteuren zu verhindern, weil bei diesen das Einkommen der Bauern keine grosse Rolle spielt und die Produktqualität einen niedrigeren Stellenwert hat. Daher unternehmen wir im Augenblick große Anstrengungen, um die verschiedenen Akteure an einen Tisch zu bringen und Synergien für den Erhalt und den Ausbau wettbewerbsfähiger Strukturen im agro-alimentairen Sektor zu schaffen.”
Profil: Nun steht die Landwirtschaft mit der bevorstehenden europäischen Agrarreform vor einer weiteren großen Herausforderung. Das EU-Regelwerk erlaubt, zwischen mehreren Modellen zu wählen. Welches Modell wird in Luxemburg Anwendung finden?
Fernand Boden: “Es sind hauptsächlich drei Modelle die zur Diskussion stehen: Das so genannte Fischler-Modell bei dem die Jahre 2000 bis 2002 als Berechnungsgrundlage für die Zahl der Prämienrechte sowie die Höhe einer betriebsindividuellen Prämie herangezogen werden; das Regionalmodell mit einer für sämtliche Betriebe geltenden Einheitsflächenprämie, wobei als Berechnungsgrundlage die landwirtschaftliche Nutzfläche von 2005 zurückbehalten wird. Die dritte Variante ist das so genannte Misch-Modell, das eine Kombination der beiden ersten Modelle darstellt. Es sieht so aus, wie wenn die Landwirte letzteres bevorzugen. Wir werden in den kommenden Wochen noch einmal unterschiedliche Varianten durchrechnen, Vor- und Nachteile abwägen und uns auf ein Modell festlegen.”
Wettbewerbungsfähigleit unserer Landwirte
Profil :Ist die luxemburgische Landwirtschaft zukunftsfähig?
Fernand Boden: “Ja! Vor allem auch, weil wir mit dem 2001 verabschiedeten Gesetz betreffend die ländliche Entwicklung die richtige Weichenstellung vorgenommen haben. Es ist das richtige Instrument, um die Modernisierung der Bauern-, Winzer- und Gartenbaubetriebe voranzutreiben und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Unsere Strukturreformen greifen. Durch das Zusammenspiel einer ganzen Reihe von Beihilfen und Programmen wie der Ausgleichszulage, der Landschaftspflegeprämie und der Agrar-Umweltprogramme wird der multifunktionale Charakter der Landwirtschaft zunehmend honoriert.
Andererseits steigt beim Konsumenten durch diese Programme zusehends das Bewusstsein für die qualitativ hochwertigen, sicheren und gesunden Luxemburger Agrarprodukte.”
Schwerpunkt Wohnungsbau
Profil: Die schwierige Thematik Wohnungsbau fällt ebenfalls in Ihren Verantwortungsbereich. Wie ist Ihre Analyse der Situation am Wohnungsmarkt?
Fernand Boden: “Wir sind mit einer Situation konfrontiert, die sich durch das starke Bevölkerungswachstum der vergangenen 15 Jahre merklich verschärft hat. Hinzu kommt, dass die Haushalte kleiner werden. Auch das trägt dazu bei, dass mehr Wohneinheiten gebraucht werden.
Insbesondere beim Bauland ist die Preisspirale besorgniserregend. Andererseits muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass rund 70 Prozent der Familien in einem Eigenheim leben, was einer der höchsten Anteile von Eigenheimen in der EU darstellt.”
Profil: Inwiefern ist dieser hohe Anteil auf eine bewusste politische Aktion zurückzuführen?
Fernand Boden: “Nun, die Zahlen sprechen für sich: Rund 44.000 Haushalte profitierten jährlich von staatlichen Wohnbeihilfen. Nicht berücksichtigt ist dabei die 12 %-Rückerstattung der Mehrwertsteuer beim Neubau bzw. bei Renovierungen. Koordiniert wird diese umfassende Unterstützung im Wohnungsbauministerium, das 1989 auf Initiative der CSV geschaffen wurde.
Um auf die aktuelle Legislaturperiode zurückzukommen: Zweifellos war die tatkräftige Förderung des privaten und öffentlichen Wohnungsbaus ein besonderer Schwerpunkt der Regierung. Dies bezeugen das weitgefächerte Aktionsprogramm “Wohnungsbau”, das neue stark ausgeweitete Mehrjahresprogramm für Wohnungsbauprojekte sowie mehrere gesetzliche Initiativen.”
10 000 neue Wohnungen schaffen
Profil: Können Sie das näher erläutern?
Fernand Boden: “Das Mehrjahresprogramm für Wohnungsbauprojekte unterstützt die öffentlichen Promotoren – Gemeinden, Fonds de Logement, SNHBM – dabei, mehr als 10.000 neue Wohnungen zu schaffen. Davon können jetzt auch Familien mit mittleren Einkommen profitieren, weil wir die diesbezüglichen Einkommensgrenzen stark angehoben haben.
Die Regierung bemühte sich des Weiteren darum, dass zusätzlicher Wohnraum u.a. auf Kirchberg und auf den Industriebrachen geschaffen wird. Zwischen Beles und Belval-West wird ein erstes grösseres Wohngebiet voraussichtlich ab Frühjahr 2005 entstehen.
Eine andere konkrete Initiative ist das Steuermaßnahmenpaket zur Dynamisierung des Grundstückmarktes. Wir fördern mit diesem Paket durch zeitlich befristete Steuervorteile den Verkauf von Bauland. Weitere Schwerpunkte dieses Gesetzes sind der quasi generalisierte sogenannte “billige Akt” sowie Steuerbegünstigungen bei Investitionen in den Bau von Mietwohnungen.
Die staatlichen Beihilfen im Bereich des subventionierten Mietwohnungsbaus haben wir mit dem Gesetz vom 8. November 2002 aufgestockt. Durch die Erhöhung der staatlichen Zuwendungen an die öffentlich-rechtlichen Bauherren von 40 auf 70 bzw. 75 Prozent wollen wir besonders die Gemeinden zum Bau von Mietwohnungen anspornen und eine substanzielle Ausweitung des Angebots an öffentlichen Mietwohnungen erreichen.
Schließlich haben wir im Herbst vergangenen Jahres die Reform des Mietgesetzes auf den Instanzenweg gebracht. Unter Beibehaltung des Mieterschutzes als oberste Priorität bezwecken wir den gerechten und zeitgemäßen Ausgleich von Mieter- und Eigentümerrechten. Vor allem auch zielen wir mit der Mietgesetzreform darauf ab, einen Rahmen zu schaffen, wo es sich für Investoren lohnt, Mietwohnraum zu erschließen. Die Steigerung des Angebots ist die maßgebliche Voraussetzung zur nachhaltigen Preisstabilität auf dem Mietwohnungsmarkt. Es soll dann auch in diesem Zusammenhang zur Aufhebung der bisher geltenden Unterscheidung zwischen Vor- und Nachkriegswohnungen kommen.”
Mittelstand braucht besondere Aufmerksamkeit
Profil: Herr Minister Boden, Sie haben eingangs gesagt, dass sich der Handlungsspielraum für die mittelständischen Betriebe vergrößert habe. Was waren die Schwerpunkte der politischen Aktion im Mittelstandsministerium?
Fernand Boden: “Ein besonderer Schwerpunkt ist zweifelsohne die Neuauflage des Aktionsplans zur Förderung der mittelständischen Unternehmen, die wir im Februar 2001 vorgestellt haben. Seither wird der Aktionsplan in enger Konzertierung mit den Vertretern des Mittelstandes Punkt für Punkt umgesetzt. Im Frühjahr des vorletzten Jahres haben wir so bspw. den so genannten “Prêt de démarrage” eingeführt, der von der SNCI verwaltet wird. Er erleichtert Betriebsgründern mit mangelnden Eigenmitteln die Kapitalbeschaffung. Die neue Gesetzgebung zur Reglementierung der Geschäftspraktiken und zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs sichert den Geschäftsleuten größere kommerzielle Freiheiten und stärkt ihre Wettbewerbsfähigkeit.
Wichtige Reformen auf dem Instanzenweg
Hervorzuheben ist auch die Reform des Zulassungsrechts für Transportunternehmer. Neben strengeren Regeln bei der Zulassung von Transportunternehmen wurden die Kontrollmechanismen im Bereich des Straßentransports vereinheitlicht.
Des Weiteren sind wichtige Reformen auf dem Instanzenweg. Bei der Reform des Niederlassungsrechts bezwecken wir beispielsweise durch die Aufhebung bestehender Berufsabgrenzungen sowie durch neue Klassifikationen in Haupt- und Nebenberufe, zu einer Anpassung an neue Marktrealitäten zu gelangen. Viele Handwerksbetriebe können dadurch ihren Kunden eine breitere Leistungspalette anbieten.
Wir haben auch die grundlegende Reform des Mittelstandsrahmengesetzes in Angriff genommen. Im Mittelpunkt steht dabei die gezielte und verstärkte Förderung von betrieblichen Investitionen in Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, im Umwelt- und Energiebereich sowie in die Verbesserung der Lebensmittelsicherheit. Die Berücksichtigung immaterieller Investitionen, z.B. für Lizenzen und Patente, sowie die Ausdehnung der staatlichen Förderung auf verschiedene Kategorien von Freiberuflern sind weitere Neuerungen dieser Reform. Bei unserem Reformvorschlag haben wir darauf geachtet, den nationalen Spielraum, den die europäischen Bestimmungen lassen, optimal zu nutzen.
Steuerreform im mittelständischen Bereich
Zu erwähnen bei der Verbesserung des Handlungsspielraums für mittelständische Betriebe – auch wenn sie über den rein mittelständischen Bereich hinausreichen – sind ebenfalls die Steuerreform und das hohe öffentliche Investitionsniveau. Die Steuerreform hat die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und ihre innerbetriebliche Investitionskraft gestärkt. Durch die Fortsetzung der aktiven Investitions- und Infrastrukturpolitik des Staates werden auch dem Mittelstand Aufträge gesichert. Schließlich haben Regierung und Sozialpartner auch die Lohnnebenkosten im Griff behalten.”
Profil: Die LSAP hat sich bei der Präsentation ihres Wahlprogramm-Vorentwurfs für die Abschaffung eines eigenständigen Mittelstandsministeriums ausgesprochen. Macht dieser Vorschlag für Sie Sinn?
Fernand Boden: “Sicher nicht. Der Mittelstand hat seine eigenen spezifischen Anliegen, die nicht identisch sind mit denen großer Industriebetriebe. Der Mittelstand braucht aus mehreren Gründen eine besondere Aufmerksamkeit: Er ist in unserem Wirtschaftsgefüge der maßgebliche Arbeitsplatzmotor und nimmt in der Berufsausbildung eine wesentliche Rolle wahr. Der Mittelstand garantiert durch eine Vielzahl von Produkt- und Dienstleistungen im ganzen Land die Nahversorgung der Bevölkerung. Ich glaube das sind genug Gründe, die für die Beibehaltung eines eigenständigen Mittelstandsministeriums sprechen.”