Ministerin Marie-Josée Jacobs zieht im Profil-Interview Bilanz ihrer Regierungstätigkeit: “Wir haben in der laufenden Legislatur unser familienpolitisches Instrumentarium ausgebaut, so wurde u.a. das Kindergeld erhöht. Einen wichtigen Akzent konnten wir im europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen, mit dem Gesetz zur Einkommensregelung von Behinderten setzen. Das Angebot an “centres intégrés” und Pflegeheimen wurde zügig erweitert. Wir haben die ambulante Hilfe ausgebaut. Im Ministerium für Frauenförderung haben wir eine Reihe von Initiativen verwirklicht, die darauf abzielen, geschlechtsspezifische Diskriminierungen abzubauen und das große Potenzial von Frauen zu fördern.”
Frau Ministerin Marie-Josée Jacobs, Sie sind in der Regierung für die Ressorts Familie und Frauenförderung verantwortlich. Die Legislatur nähert sich ihrem Ende. Sind Sie mit der Bilanz in ihren Zuständigkeitsbereichen zufrieden?
Die Bilanz lässt sich sehen. Im Ministerium für Familie, soziale Solidarität und Jugend ebenso wie im Ministerium für Frauenförderung. Wir haben in der laufenden Legislatur unser familienpolitisches Instrumentarium ausgebaut. Ich erinnere an die Erhöhung des Kindergeldes, die zum 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist. Einen wichtigen Akzent konnten wir im vergangenen Jahr, dem europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen, mit dem Gesetz zur Einkommensregelung von Behinderten setzen. Im Rahmen des Nationalen Programms zur Förderung des Dritten Alters haben wir das Angebot an “centres intégrés” und Pflegeheimen zügig ausgebaut. Wir haben die ambulante Hilfe ausgebaut. Im Ministerium für Frauenförderung haben wir eine Reihe von Initiativen verwirklicht, die darauf abzielen, geschlechtsspezifische Diskriminierungen abzubauen und das große Potenzial von Frauen zu fördern.
Gleichrangigkeit der Geschlechter
Sie haben die Aktionen des Ministeriums für Frauenförderung erwähnt. Provokativ gefragt: Weshalb ein Frauenministerium?
Auch wenn Gleichberechtigung und Gleichbehandlung vor dem Gesetz weitgehend verwirklicht sind, ist es eine Tatsache, dass viele Frauen in ihrem Alltag noch immer mit Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen konfrontiert sind. In einer Reihe von Berufen halten sich hartnäckig Vorurteile. Von gleichen Karrieremöglichkeiten kann leider noch längst nicht die Rede sein. Die so genannte gläserne Decke ist immer noch sehr real. Deshalb haben wir auch mit den Sozialpartnern, d.h. den Betrieben und den Gewerkschaften positive Aktionen durchgeführt. Dies mit dem Ziel, Frauen einen besseren Zugang zur Arbeitswelt zu verschaffen und eine bessere Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben herzustellen.
Beim Neujahrsempfang des Frauenministeriums sind Sie ausführlich auf das rezente Gesetz über die häusliche Gewalt eingegangen. Was ist dessen Hauptprinzip?
Das Kernprinzip dieses Gesetzes ist einfach: Im Fall von häuslicher Gewalt muss nicht das Opfer, sondern der Täter die gemeinsame Wohnung verlassen. Die Täter werden vor ihre Verantwortung gestellt. Ich bin überzeugt, dass es auf potenzielle Täter abschreckend wirkt, wenn das Risiko besteht, von der Polizei abgeholt und aus der gemeinsamen Wohnung verwiesen zu werden.
Neben dem Gesetz über die häusliche Gewalt und anderen wichtigen Gesetzen wie jenen zur Vorbeugung von Diskriminierung am Arbeitsplatz und zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz war die Arbeit im Frauenministerium äußerst facettenreich. Eine wesentliche Aufgabe des Frauenministeriums ist es, darauf zu achten, dass bei sozialpolitischen Maßnahmen wie dem Elternurlaub auf das gemeinschaftliche Verantwortungsprinzip und die Gleichrangigkeit der Partner in der Familie geachtet wird.
Am Rententisch haben wir darauf hingewirkt, dass die Thematik der ökonomischen Situation der Frauen nicht an den Rand gedrängt wurde. Die Niedrigrenten, deren Bezieher oft Frauen sind, konnten am Rententisch überproportional erhöht werden. Die Babyjahre wurden ausgedehnt, und durch die Einführung der Erziehungspauschale ist es zu der gesetzlichen Anerkennung der Erziehungsleistung aller Frauen gekommen. Bis jetzt profitieren 32.000 Frauen und Männer von dieser Leistung. Cirka 6000 Dossiers werden noch bearbeitet.
Familienpolitische Instrumente weiterentwickelt
Stichwort Familie. Sie haben eingangs die Erhöhung des Kindergeldes erwähnt. Was waren die Leitlinien der Familienpolitik in der vergangenen Legislatur?
Es gab mehrere Leitlinien, und ich glaube, wir haben, was die Umsetzung angeht, gute Arbeit geleistet. Eines der wichtigsten Ziele war es, eine Politik zu gestalten, die gewährleistet, dass die finanzielle Benachteiligung von Haushalten mit Kindern gegenüber kinderlosen Haushalten sich in Grenzen hält. Daher haben wir mit dem Gesetz vom 21. Dezember 2001 das Kindergeld und die Zulage für behinderte Kinder erhöht. Mit dem Gesetz vom 21. November 2002 haben wir das System der Familienzulagen gerechter gestaltet. Auch Elemente der Steuerreform gehören zur kohärenten Förderung der Familien. Schließlich haben wir kontinuierliche Anpassungen am Gesetz über das garantierte Mindesteinkommen vorgenommen, um es an spezifische Situationen und neue Entwicklungen anzupassen.
Des Weiteren war es uns wichtig, die soziale Ausgleichsfunktion unserer familienpolitischen Instrumente weiterzuentwickeln. Das heißt, eine der Prioritäten unserer politischen Aktion besteht darin, Familien mit niedrigem Einkommen sowie Familien mit mehreren Kindern gezielt und verstärkt zu unterstützen. Eine Studie des Forschungsinstituts CEPS über die sozialen Transferleistungen zugunsten der Familien belegt, dass wir mit unserer Politik, die auf sozialen Ausgleich zielt, erfolgreich sind. Auch internationale Studien, zuletzt eine Studie der OECD, belegen, dass Luxemburg mit der Wirksamkeit und der Leistungsfähigkeit seines familienpolitischen Arsenals an der Spitze steht.
Kinderbetreuungsangebot konsequent gefördert
Die Organisation des Angebots an Kinderbetreuungseinrichtungen ist im Zuständigkeitsbereich des Familienministeriums angesiedelt. Wie ist die Entwicklung in diesem Bereich?
Der Ausbau der Strukturen für Kinderbetreuung, wo es ja vor allem auch um die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, ist ein weiterer Schwerpunkt unserer politischen Aktion. Wir haben das Angebot im Bereich der Kinderbetreuung konsequent gefördert. 2002 wurden 2244 Kinder in konventionierten Einrichtungen betreut. Innerhalb von vier Jahren wurde das Angebot an zur Verfügung stehenden Plätzen um 30 Prozent erhöht. Wir haben das Angebot bei der Kinderbetreuung differenziert, auf eine regionale Verteilung geachtet und es zusehends an den Bedürfnissen der Kinder und Eltern ausgerichtet.
Sie sagen, Sie haben das Angebot differenziert. Können Sie das näher erläutern?
Differenzierung im Bereich der Kinderbetreuung heißt, dass wir beispielsweise die Schaffung von Betriebskindergärten unterstützen; dass wir am systematischen Ausbau der Betreuung durch Tagesmütter und -Väter arbeiten. Gerade dieses Modell hat Zukunftspotential. Weil es familienfreundlich ist. Die Betreuungszeiten können individuell nach den Bedürfnissen der Eltern und der Kinder gestaltet werden.
Schließlich will ich auch darauf hinweisen, dass bei den Empfangsstrukturen für Schulkinder sich der Staat mit 50 Prozent an der Finanzierung von Infrastrukturen beteiligt, die für diesen Zweck von den Gemeinden errichtet werden. Hinzu kommt eine 50-prozentige Beteiligung an der so genannten Fehlbedarfsfinanzierung, d.h. der Differenz zwischen der finanziellen Beteiligung der Eltern und dem realen Leistungspreis.
“Näischt iwwer eis ouni eis”
Frau Ministerin Marie-Josée Jacobs, 2003 war das europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen. Was bleibt von diesem Jahr?
Das vergangene Jahr war eine äußerst maßgebliche Etappe auf dem Weg zu einer umfassenden Integration. Eigentlich definierte bereits der Slogan des europäischen Jahres der Menschen mit Behinderung “näischt iwwer eis ouni eis” die Leitlinien einer modernen Behindertenpolitik.
Wir haben nicht das Recht, über die Köpfe der behinderten Personen hinweg zu entscheiden. Sie sind gleichwertige und gleichberechtigte Bürger. Behinderte Mitbürger haben den gleichen Anspruch auf gesellschaftliche Beteiligung und Mitgestaltung wie nicht Behinderte. Es ist am Staat, auf die dazu notwendigen Rahmenbedingungen hinzuwirken.
In diese Logik schreibt sich auch das Gesetz zur Einkommensregelung von behinderten Menschen ein. Das Gesetz trägt dazu bei, dass Behinderte durch ihre eigene Arbeit leben können. Die Arbeitskräfte in den “ateliers protégés” erhalten den Mindestlohn und das Statut eines Lohnempfängers. Wir sprechen von einer Selbstverständlichkeit, weil sie normal arbeiten wie andere Arbeitnehmer auch. Bei behinderten Mitmenschen, die aufgrund der Schwere ihrer Behinderung keiner Arbeit nachgehen können, sichert die neue Gesetzgebung ein Einkommen in Höhe des garantierten Mindesteinkommens.
Ein weiteres wichtiges Gesetz in diesem Zusammenhang ist jenes vom 29. März 2001. Dieses Gesetz besagt, dass bei Neubauten oder auch größeren Renovierungen von öffentlichen Gebäuden, bzw. von Gebäuden, die einem sozialen, familiären oder therapeutischen Zweck dienen, auf die Zugänglichkeit für Personen mit Behinderung geachtet werden muss.
Was ist mit den spezifischen Infrastrukturen und Einrichtungen für Behinderte?
Wir setzen den Ausbau adäquater Wohnstrukturen fort. Mit privaten Trägern haben wir Konventionen abgeschlossen, um 200 neue “Ateliers-protégés”-Plätze zu schaffen. Einen neuen Aspekt dieser Politik stellt der Bau eines speziellen “Centre intégré” für ältere Behinderte in Frisingen dar.