„Und wollen wir wirklich eine bessere Welt?“

Gedanken zur Zeit von Marcel Oberweis.

In der indischen Megalopole Bombay mit ihren 18 Millionen Einwohnern wurde das vierte Weltsozialforum abgehalten, über 100 000 Menschen aller Rassen und Religionen aus 150 Ländern hatten sich eingefunden, Gedanken anzustellen, wie man eine bessere Welt und eine größere Gerechtigkeit aufbauen könnte. Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi umschrieb das Zentralthema des sechstätigen Forums durch ihre Aussage: “Wir sind hier, um uns für die Menschenwürde einzusetzen”.

An sich müsste dieses Forum die Menschen in den industrialisierten Ländern sehr stark beeindrucken, immerhin liegt das Armenhaus Europas, der Balkan nur eine Stunde von den heimischen Gefilden entfernt. Und da die Welt mittlerweile zu einem kleinen vernetzten Dorf zusammengeschmolzen ist, müssten auch die Probleme und Ängste der Menschen in den Drittweltländern, nur einige Flugstunden entfernt, uns zum Nachdenken anregen.

Die gewaltigen Missstände unserer Zeit

Angesichts der gewaltigen Missstände unserer Zeit, muss es gelingen, den Vorhang der Armut, der diese unsere Welt teilt, beiseite zu schieben. Die Probleme von Hunger und Not, Bevölkerungsexplosion, Umweltzerstörung, Verschuldung, Drogenanbau, Aids, Wanderungsbewegungen, Menschenrechtsverletzungen und politischen, ethnischen Konflikten dürfen nicht länger isoliert gesehen werden. Sie sind selten national oder regional begrenzbar, sondern oft von globaler Dimension und stellen für Entwicklungsländer und Industrieländer neue Gefahren und Herausforderungen dar.

Dass die Reichen dieser Erde nicht als “Inselbewohner” auf Dauer überleben können, wenn sie von Ozeanen der Armut umgeben sind, ist eine Tatsache. Im gegenseitigen Interesse liegt, die Eine Welt überlebensfähig und wetterfest zu gestalten. Einige Elemente der Vision einer gerechteren Welt lassen sich vorab angeben: die Demokratie globalisieren und die Menschenrechte weltweit verwirklichen, die ökonomische Globalisierung menschlich und ökologisch gestalten, den Frieden sichern, die Armut überwinden und die soziale Gerechtigkeit gewährleisten sowie die ausreichende Finanzierung für eine wirksame Entwicklungspolitik schaffen.

  • Geleitet von dem Wunsch, den Ländern der Dritten Welt, einen gerechten Anteil am Welthandel einzuräumen, wird deren erdrückende Verschuldung abgebaut. Im Sinne einer übergreifenden Verantwortung muss die Globalisierung der Wirtschaft mit der Globalisierung der Menschenrechte, der Gleichberechtigung der Frauen und der Rechtsstaatlichkeit einhergehen.
  • Die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer möchten wohl zunächst die Identität und Unabhängigkeit Europas stärken, um hier Frieden, Sicherheit und Fortschritt zu gewährleisten, aber dies darf den Blick für die dramatischen Missstände in der Welt nicht trüben. Bezogen auf die Spannungen und Frustrationen, die wachsender Natur zwischen Arm und Reich sind, dürfen wir nicht nachlassen, uns in den Prozess der Friedenssicherung einzubringen. So entsteht die Vertrauensbasis für eine verantwortbare wirtschaftliche, soziale und ökologische Entspannungspolitik, von der alle Nutzen ziehen.

“Wer Krieg und Gewalt bannen will, muss zuerst dafür sorgen, dass der Hunger aus der Welt verschwindet”.

Da wir uns heute in einer vernetzten Welt befinden, möge man sich nur einen Augenblick lang vor vorstellen, diese Welt der 6,3 Milliarden Menschen sei tatsächlich auf ein “Dorf” reduziert. Nehmen wir weiterhin an, dieses Dorf hätte dann stellvertretend 1000 Einwohnerinnen und Einwohner, weiterhin seien alle Eigenschaften der heutigen Menschheit in demselben Verhältnis wie in der wirklichen Welt abgebildet.

  • Rund 150 Menschen leben dann in einer wohlhabenden Wohngegend, 20 % der Bevölkerung verfügen über 85 % des Gemeinschaftseinkommens. Fast die Hälfte der Dorfbewohner muss sich mit weniger als zwei pro Tag mühsam am Leben erhalten, 220 leben in absoluter Armut und haben weniger als 1€ pro Tag. Frauen machen den größten Anteil derjenigen aus, die in Armut leben. Die Zahl der Erwachsenen, die nicht lesen und schreiben können, beträgt 220, zwei Drittel davon wieder Frauen. Weniger als 60 Personen besitzen einen Computer und nur 24 haben Zugang zum Internet. Mehr als die Hälfte hat noch nie einen Telefonanruf getätigt oder erhalten. Den Nutzen der elektrischen Energie kennen etwa 350 Menschen nicht.
  • Von den 390 Einwohnern unter 20 Jahren leben drei Viertel in den ärmeren Gegenden und viele von ihnen suchen verzweifelt nach Arbeit, die es nicht gibt.
    Im Bezirk der Wohlhabenden beträgt die Lebenserwartung fast 78 Jahre, in den ärmeren Gegenden 64 Jahre und in den allerärmsten Vierteln lediglich 52 Jahre und dort wo Aids und andere Seuchen herrschen, erreicht das Durchschnittsalter knapp 38 Jahre.
  • In diesen Vierteln mit hoher Sterberate herrscht auch ein Mangel an einwandfreiem Wasser, fehlt es an sanitären Einrichtungen, gesundheitlicher Versorgung und insbesondere an Schulbildung und Arbeitsplätzen. Hier leben Menschen ohne erkennbare Vision auf Verbesserung ihrer Lage, Spannungen und Frustrationen dominieren hier.

Und was noch schlimmer wirkt, in den letzen Jahren haben die Naturkatastrophen dramatisch zugenommen, schwere Stürme sowie plötzliche Wechsel von Überschwemmungen zu Dürre, die Menschen in den ärmeren Wohnvierteln sind hiervon am meisten betroffen. Gleichzeitig ist die Durchschnittstemperatur spürbar angestiegen und der Wasserspiegel, welches das Dorf umringt, steigt an. Auf mittlere Sicht wird der Lebensunterhalt eines Sechstels der Einwohner durch Bodendegradation nicht mehr garantiert.

Unsere Aufgabe:
ein weltweites Engagement für die Bedürftigen

Wer zu einer besseren Welt mit weniger Unfrieden beitragen möchte, den kann dieses einfache Beispiel nicht kalt lassen. Wer seiner Umwelt gleichförmig ist, geht in ihr auf, er kann nicht mehr auf sie einwirken. Wer also nur so hell wie seine Umgebung ist, kann in ihr nicht leuchten!

Die Millenniumserklärung für das Jahr 2015 ist geprägt von folgenden Zielen: die Halbierung des Anteils der in absoluter Armut lebenden Menschen, die universelle Grundschulausbildung in allen Ländern, die nachweisliche Fortschritte auf dem Weg zur Gleichberechtigung von Mann und Frau und zur Befähigung der Frauen zur Selbstbestimmung, die Verringerung der Sterberate der Kinder unter fünf Jahren um zwei Drittel und der Müttersterblichkeit um drei Viertel, eine gesundheitliche Grundversorgung für alle, den Zugang zu den Naturressourcen für alle Menschen ermöglichen und die nachhaltige Entwicklung auf globaler Ebene durchsetzen, damit die negativen Umwelttrends drastisch verringert werden können.

Wenn wir davon ausgehen, dass die 6,3 Milliarden Menschen das heutige Wohlstandsniveau der USA oder der EU kopieren würden, wäre die Erde in kürzester Zeit ökologisch und wirtschaftlich am Ende, mit der Folge horrender Konflikte, bis hin zu einem womöglich nicht mehr einzudämmenden Weltenbrand. Es muss also gelingen, den Anspruch auf Wohlstand mit deutlich geringerem Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung als bisher zu erfüllen, ein technologisch sehr aussichtsreiches Programm. In diesem Prozess müssen die Industriestaaten und vor allem, die USA, ihre Aufgabe sehen, weiterwursteln wie bisher, ist auf Dauer tödlich.

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen gibt in seinem “Human Development Report” das Verhältnis der Einkünfte der reichsten 20% der Bevölkerung und den Einkünften der ärmsten 20% bekannt. Zwischen 1970 und 2001 hat sich dieses Verhältnis von 30:1 auf 74:1 mehr als verdoppelt, und uns lassen diese Fakten kalt.

Gerechtigkeit durch den Wunsch
nach einer besseren Welt

Die Industrienationen können einen wichtigen Beitrag zu den Anstrengungen der einkommensschwachen Länder leisten, um sie in die Weltwirtschaft zu integrieren. Dem uneingeschränkten Marktzugang für die Exporte aus den ärmsten Ländern muss das Wort geredet werden, dies sollte ihnen dabei helfen, von der Spezialisierung auf Primärgüter zur Herstellung von verarbeiteten Gütern für den Export überzugehen. Durch die Förderung der privaten Kapitalströme in die einkommensschwachen Länder, insbesondere in Form von ausländischen Direktinvestitionen, können Arbeitsplätze geschaffen werden, damit die Menschen ihre angestammte Heimat nicht verlassen und sich nicht auf eine ungewisse Reise in die industrialisierten Länder einlassen.

Die öffentliche Entwicklungshilfe ist in den fortgeschrittenen Ländern auf 0,24 % des BIP gesunken und dies im Vergleich zum UN-Ziel von 0,7 % des BIP. Die Ausrede einer Entwicklungshilfe-Verdrossenheit ist nicht glaubwürdig, sie grenzt sogar an Zynismus; immerhin hatten die fortgeschrittenen Länder im letzten Jahrzehnt die Möglichkeit von den Vorteilen der Friedensdividende zu profitieren.

Nur einige wenige Länder haben die Marke von 0,7 % überschritten und dazu zählt auch Luxemburg, welchem für die wertvolle Unterstützung weltweit Lob gezollt wird. Mit einem Beitrag von 0,86 % dürfen wir uns glücklich schätzen, etwas mehr Wärme in eine doch kalte Welt hinein zu tragen.

Wir können die Globalisierung als Chance nutzen, wenn wir sie nicht als Schicksal hinnehmen, sondern als politische und humane Aufgabe ernst nehmen. Das erfordert viel, aber nicht mehr als wir leisten können. Die Bedürfnisse und Sorgen aller Völker müssen den Rahmen aufspannen, in welchem sich das Weltbild der Zukunft einfärben lässt, das individuelle Engagement hingegen wird den idealen Treibriemen für die tragfähige Entwicklung darstellen.

Marcel Oberweis
Professor Ing. dipl. an der Universität Luxemburg