Aufbruch in eine neue Ära

Luxemburger Wort-Interview mit dem parlamentarischen Budgetberichterstatter Jean-Marie Halsdorf (CSV) zum Staatshaushalt 2004.


Nichts ist mehr, wie es vorher einmal war. Treffender könnte man das nicht beschreiben, was im Haushaltsjahr 2004 auf den Staat zukommen wird. Die Finanzdecke wird enger und die Regierung kommt nicht daran vorbei, mit beiden Händen in die Reservekasse zu greifen. Das alles dürfte zu spannenden Haushaltsdebatten am Krautmarkt führen. Den Auftakt macht heute Nachmittag Budgetberichterstatter Jean-Marie Halsdorf mit seinem mündlichen Rapport im Plenum. Luxemburger Wort Journalist Marc Glesener hat sich im Vorfeld mit dem CSV-Politiker unterhalten.

LW: Budgetberichterstatter sein, das ist so etwas wie der politische Ritterschlag. Doch haben Sie sich angesichts der allgemeinen Wirtschaftslage nicht irgendwie das falsche Jahr herausgesucht?
Jean-Marie Halsdorf:
Ehrlich, ich hatte tatsächlich ein ungutes Gefühl, als es hieß, den Budgetbericht zu schreiben. Aber im Endeffekt ist die Herausforderung umso größer, als das Fahrwasser schwieriger ist. So habe ich denn auch vor allem versucht, die Lage so zu beschreiben, wie sie ist. Auf dieser Grundlage wurden dann konkrete Reformpisten aufgezeigt.

Ein Übergangsbudget

LW: Und wie schätzen Sie die Lage Luxemburgs ein?
Jean-Marie Halsdorf:
Im Wirtschaftsbericht der Arcelor über das dritte Semester dieses Jahres gibt es eine besonders viel sagende Passage über die allgemeine Wirtschaftslage. Diese besagt, dass es seit dem Zweiten Weltkrieg in der zyklischen Entwicklung der Ökonomie noch nie einen schwächeren Aufschwung gegeben habe als in diesem Jahr.

LW: Das stimmt eher pessimistisch
Jean-Marie Halsdorf:
Man könnte sagen, dass für das Land eine neue Ära angebrochen ist. Der Haushaltsplan 2004 ist daher auch eine Art Übergangsbudget, es ist ein Dokument, das den Aufbruch in eine neue Ära beschreibt.

LW: Und was sind die Hauptmerkmale dieses Etatentwurfs?
Jean-Marie Halsdorf:
2004 – so sieht es der Budgetplan vor – werden die laufenden Einnahmen des Staates zum ersten Mal seit Jahrzehnten rückläufig sein. Hinzu kommt, dass erstmals seit 1987 wieder Geld geliehen werden muss. Ein anderes Novum gibt es bei den öffentlichen Fonds: Dort wird im kommenden Jahr mehr ausgegeben als an neuen Finanzmitteln in die Reserven fließt.

LW: Dem Staat geht es also ans Eingemachte.
Jean-Marie Halsdorf:
Das ist ein bisschen zu hart formuliert. Dank der vorsichtigen Finanzführung der letzten Jahre wurden Reserven geschaffen, die es uns jetzt ermöglichen, ohne Einschnitte im Sozialbudget über die Runden zu kommen. Und das, ohne auf nötige Investitionen zu verzichten.

Die richtigen Prioritäten

LW: Nun sagen Kritiker, die Regierungsmannschaft wolle sich mit dem vorliegenden Haushaltsplan über den Wahltermin im kommenden Juni hinausretten. Was halten Sie von diesem Vorwurf?
Jean-Marie Halsdorf:
Dieser Vorwurf ist haltlos. Der Budgetentwurf setzt die richtigen Prioritäten und ist langfristig ausgerichtet. Es wird in erster Linie dafür gesorgt, dass die Ausgaben in einem verträglichen Rahmen bleiben. Ein gutes Beispiel dafür ist der Einstellungsstopp beim Staat.

LW: Aufgabe des Budgetberichterstatters ist es, konkrete politische Vorschläge zu machen. Nehmen wir die ordentlichen Einnahmen. Wie können diese Ihres Erachtens nach wieder auf ein ordentliches Niveau gebracht werden?
Jean-Marie Halsdorf:
Es ist so, dass 2004 direkte und indirekte Steuern sich in etwa die Waage halten werden. Das ist eine neue Gegebenheit, denn bis dato gab es ein deutliches Übergewicht bei den direkten Steuern. Was nun den dicksten Brocken bei den indirekten Steuern – also die TVA – angeht, so geht dem Staat dort durch Konkurse massiv Geld verloren. Hier gilt es, präventiv zu arbeiten. Die öffentliche Hand braucht mehr Garantien, dass geschuldetes Geld auch tatsächlich bezahlt wird.

Wachstumspotenzial nutzen

LW: Doch das alleine genügt nicht, um die Staatsfinanzen langfristig abzusichern.
Jean-Marie Halsdorf:
Nein, das war nur ein präzises Beispiel dafür, wo Handlungsbedarf besteht. Wichtigstes Element einer auf die Zukunft ausgerichteten Politik ist eine stärkere Förderung des Unternehmergeistes. Wollen wir die Ökonomie relancieren, bedarf es einer neuen Dynamik. In 14 000 Klein- und Mittelunternehmen arbeiten in Luxemburg 130 000 Leute. Sie steuern 40 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Hier liegt noch enormes Wachstumspotenzial.

LW: Potenzial genug, um die Schieflage am Arbeitsmarkt zu beheben?
Jean-Marie Halsdorf:
Das mag sein. In Sachen Arbeitslosigkeit möchte ich allerdings zwei Entwicklungen hervorstreichen, die wir im Auge behalten müssen. Da wäre zum einen die hohe Zahl an Arbeitslosen über 50, zum anderen die steigende Quote junger Menschen unter 35, die keinen Job haben. Meiner Meinung nach kommt die Politik nicht umher, beide Phänomene im Detail zu analysieren. Dazu eins vorweg: In Luxemburg wird ganz allgemein nicht lange genug gearbeitet. Hier zu Lande stehen 24,4 Prozent der Leute zwischen 55 und 64 noch im aktiven Leben. Im EU-Durchschnitt sind das satte 38,85 Prozent. Da drängt sich ein Sinneswandel auf.

Staat und Gemeinden sind keine Gegner

LW: Herr Halsdorf, Sie sind selbst Bürgermeister und auch Generalsekretär des Syvicol, dem Sprachrohr der Luxemburger Gemeindepolitiker. Wie analysieren Sie die Haushaltsvorlage von rein kommunalpolitischer Warte?
Jean-Marie Halsdorf:
Flaut die Konjunktur ab, geht das logischerweise auch nicht spurlos an den Gemeinden vorbei.

LW: Doch manche Gemeinden wollen das so nicht akzeptieren….
Jean-Marie Halsdorf:
Das Zusammenspiel von Staat und Gemeinden soll ein partnerschaftliches Miteinander sein. Beide Akteure sollten – wenn es um die Standortsicherung geht – gemeinsame Ziele verfolgen. Deshalb halte ich persönlich nicht besonders viel davon, wenn Gemeinden nun eigenmächtig die kommunalen Gewerbesteuersätze erhöhen, um kurzfristig die eigene Einkommenslage zu verbessern. Mit solchen Entscheidungen, die zu einer Mehrbelastung der Betriebe führen, ist im Endeffekt keinem gedient.

LW: Herr Halsdorf, vielen Dank für dieses Interview.

Das Gespräch vom 2. 12. 2004 führte Luxemburger Wort Journalist Marc Glesener.