Im Interesse der Binnennachfrage müsste mehr konsumiert statt gespart werden.” LW-Gespräch mit dem Vorsitzenden des parlamentarischen Finanz- und Haushaltsausschusses über fiskalpolitische Aktualitätsthemen

Als Vorsitzender der Finanz- und Budgetkommission der Abgeordnetenkammer riet Lucien Weiler im Gespräch mit LW-Redakteur Joseph Lorent dazu, dafür zu sorgen, dass nach dem so genannten Bankgeheimnis nicht auf der Mehrwertsteuerfront die zweite große Attacke auf luxemburgische Gegebenheiten geritten wird .
Wenn übermorgen Mittwoch in der Abgeordnetenkammer offiziell der Etatentwurf für das Haushaltsjahr 2004 deponiert wird, dürfte umgehend wieder die Diskussion über die Finanzlage des Staates anlaufen. Sie war am vergangenen 31. Juli hochgekommen, als die Eckwerte des staatlichen Budgetprojektes vorgestellt wurden. Wichtigster Pfeiler der Haushaltspolitik ist zweifellos das Steuerdossier mit seinen vielen Facetten sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite. Mit dem CSV-Fraktionsvorsitzenden Lucien Weiler, der seit 1996 den parlamentarischen Finanz- und Haushaltsausschuss präsidiert, sprachen wir über verschiedene steuerpolitische Aspekte und deren weitere Entwicklung.

“Steuerreformen waren richtige Entscheidung”

In Zeiten, wo die Finanzlage des Staates prekärer geworden ist und Sparen angesagt ist, drängt sich irgendwie doch die Frage nach der Opportunität der in den Jahren 2001 und 2002 vorgenommenen Steuerreformen, die für nicht unwesentliche Ausfälle in der Staatskasse sorgten. Lucien Weiler sieht diese Reformen nach wie vor als richtig an. Gerade in der gegenwärtigen Stimmung sei es von wesentlicher Bedeutung, dass die steuerliche Belastung der Einkommen der Haushalte und der Betriebe niedrig gehalten wird, um ihnen nicht noch weiter die Luft abzuschneiden. Wohl hätten solche Reformen zur Folge, dass sie in flauen konjunkturellen Zeiten zu stagnierenden Staatseinnahmen führen, doch werde sich dies ändern, sobald der Wirtschaftsmotor wieder anspringt. Wenn auch mäßig, so sei damit dennoch im laufenden und im nächsten Jahr zu rechnen. ?Steuerpolitik muss kohärent und effizient bleiben” Angesprochen auf sein steuerpolitisches Konzept mahnt Lucien Weiler an, dass die Steuerpolitik in Luxemburg kohärent und effizient bleiben müsse. Dies gelte zum Beispiel auf der Ebene der steuerlichen Umrahmung des Wohnungsmarktes. Im Juli 2002 sei staatlicherseits ein Maßnahmenpaket angelaufen, das den Wohnungsmarkt beleben sollte. In der Praxis habe dies erhebliche Ausfälle bei der Enregistrement-Steuer – “man kann von rund 100 Millionen Euro ausgehen”- mit sich gebracht, ohne dass jedoch die Immobilienpreise nennenswerte Tendenzen aufweisen. Die vorgenannten Maßnahmen regten offensichtlich zum Kaufen und nicht zum Verkaufen an. Letztlich sei lediglich der Erwerb von Immobilien durch den Steuerkredit von 20.000 Euro günstiger geworden. In diesem Zusammenhang dürfe jedoch unter keinen Umständen zugelassen werden, dass die Besitzer großer Vermögen, die sich im Falle einer Abschaffung der Vermögenssteuer und einer Senkung der Steuern auf Schenkungen verstärkt in Luxemburg niederlassen würden, die Immobilienpreise weiter stramm nach oben drücken. Dann könnte es nämlich durchaus geschehen, dass der Staat einerseits spürbare Steuerausfälle hinnehmen müsste, im Gegenzug allerdings das ursprünglich gewollte politische Resultat, nämlich eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt, trotzdem nicht erreicht würde.

“Es wird gespart, statt zu konsumieren”

Mit der Feststellung, dass trotz der erfallenen Indextranchen und trotz des Gehälterabkommens im öffentlichen Dienst die Einnahmen aus den indirekten Steuern in den letzten Jahren wieder unter das Niveau der Gesamteinnahmen aus den direkten Steuern gefallen sind, verbindet Lucien Weiler die Überlegung, dass nicht ,wie allgemein angenommen,jeder zusätzliche Euro in den Konsum investiert wird, sondern dass vielmehr gespart wird. Dadurch erreiche die Binnennachfrage allerdings nicht mehr jenes Niveau, das für einen ?hausgemachten” wirtschaftlichen Aufschwung innerhalb der Landesgrenzen gebraucht würde: ?Die Leute müssen mehr Geld ausgeben, was sie aufgrund der eher morosen wirtschaftlichen Stimmung aber nicht tun.”

“TVA-Harmonisierung irgendwann einmal Thema”

Seitens der Europäischen Kommission wird mit der Begründung, es sollte zu einer Rationalisierung und Vereinfachung auf diesem Gebiet kommen, offensichtlich die Abschaffung der Möglichkeit zur Anwendung ermäßigter TVA-Sätze auf bestimmten Produkten und ganz allgemein eine Gleichschaltung bei der Mehrwertsteuer angestrebt. Zu diesem Vorhaben weist Lucien Weiler darauf hin, dass die soziale Ausgewogenheit der Mehrwertsteuersätze insofern wichtig ist, als bekanntermaßen indirekte Steuern durchwegs immer die kleinen Einkommen am meisten belasten. Darüber hinaus meint er jedoch auch, dass es Zeit wird, um über den Steuerwettbewerb innerhalb der Europäischen Union auf einer prinzipielleren Ebene nachzudenken. Luxemburgs Sätze ständen ja nicht allein zur Debatte. Sollten beispielsweise die niedrigeren TVA-Sätze in Korsika oder anderen französischen Überseeterritorien fallen, dann würden diese Regionen dadurch eine weitere Schwächung ihrer ohnehin sehr begrenzten Standortattraktivität verlieren. Und davon habe im Grunde genommen eigentlich niemand etwas. Wenngleich die ?soziale TVA” auf verschiedenen Kleinreparaturen und -dienstleistungen nicht jene Wirkung zeigte, die man sich erwartet hatte, so ständen jedoch für ihn, Lucien Weiler, und für seine Partei die niedrigeren Sätze auf Kinderkleidung und -schuhen unter sozialpolitischen Gesichtspunkten ganz einfach nicht zur Disposition. Die erheblich unter dem Normalsatz von 15 Prozent liegenden drei Prozent für diese Waren seien nämlich so angesetzt worden, um einkommensschwächere Familien bei der Bekleidung ihrer Kinder zu entlasten: ?Und bei dieser Politik soll es auch bleiben!” Rationalisierung und Angleichung sind in Europa selten ein Zweck an sich, so der CSV-Fraktionsvorsitzende, sondern es verstecke sich meistens dahinter ein weiterreichender Harmonisierungsansatz. Unser Gesprächspartner geht daher auch bei der Mehrwertsteuer davon aus, dass diese irgendwann einmal ein Thema sein wird. Luxemburg habe nun einmal den niedrigsten Höchstsatz in der Europäischen Union, und dieser Umstand werde in verschiedenen EU-Hauptstädten keineswegs freundlich betrachtet. Es müsse also dafür gesorgt werden, dass nach dem so genannten Bankgeheimnis nicht auf der Mehrwertsteuerfront die zweite große Attacke auf luxemburgische Gegebenheiten geritten wird.

Zinsertragssteuer: Kapitalflucht aus EU verhindern

Ein anderes brisantes fiskalpolitisches Thema, über das wir mit Lucien Weiler sprachen, ist die Zinsertragsbesteuerung auf europäischer Ebene. Unser Interviewpartner erinnert diesbezüglich daran, dass seine Fraktion und er selbst auch stets hinter der Einigung gestanden haben, die letztlich in Sachen Zinsertragsbesteuerung in der Europäischen Union erreicht wurde. Man habe der Regierung, insbesondere aber Finanzminister Jean-Claude Juncker, ein großes Verhandlungsgeschick und einen beachtlichen Verhandlungserfolg bescheinigt, und dazu stehe man nach wie vor. Allerdings müsse man sich vergegenwärtigen, dass der Kompromiss nur vollinhaltlich Sinn mache. D.h. die Schweiz und sämtliche anderen europäischen Territorien, ?in denen steuerparadiesische Zustände und luftdichte Bankgeheimnisse gelten”, müssen mitmachen. Für Luxemburg könne es nicht in Frage kommen, den Informationsaustausch einzuführen, ohne dass z.B. Liechtenstein, Guernsey und Gibraltar dies auch tun: ?Wir würden ansonsten lediglich einer Kapitalflucht aus der Union hinaus Vorschub leisten – zu unserem eigenen Schaden.”

“Blair bekommt Steuerdossier nicht in den Griff”

Noch nie habe er daran geglaubt, dass die britischen Kolonien und Krondomänen dazu gebracht werden können, eine spürbare Kapitalertragsbesteuerung einzuführen oder sogar ihr Bankgeheimnis zu lockern, bemerkt der haushalts- und finanzpolitische Sprecher der christlich-sozialen Parlamentsfraktion: ?Sie werden das jetzt nicht tun und auch in zehn Jahren nicht.” Der beste Beweis hierfür sei die kürzlich in Gibraltar erlassene Gesetzgebung, mit der so genannte ?große Vermögen” angelockt werden. Praktische Steuerfreiheit auf persönlichen Einkommen und die freie Nutzung von Offshore-Gesellschaften dortigen Rechts werde jenen Personen zugestanden, die ein bestimmtes Vermögen besitzen und sich in Gibraltar ein Luxusdomizil kaufen. Müsste sich Gibraltar an den Kompromiss über die Kapitalertragsbesteuerung und den steuerlichen Informationsaustausch halten, wäre dieses Gesetz sofort hinfällig. Lucien Weiler : ?Gibraltar wird jedoch nicht 2003 eine solche Politik verfolgen, um die Besitzer seiner schönsten Behausungen in zehn Jahren wieder abziehen zu sehen.” Da merke man sehr gut, dass der britische Premierminister Tony Blair, der ganz einfach keine Verfügungsgewalt über die in Gibraltar, auf Jersey, der Isle of Man oder den britischen Jungferninseln betriebene Politik habe, die Sache nicht in den Griff bekommt. Diese Gebiete unterstehen einerseits allein der Krone, d.h. der Königin persönlich, und sie sind andererseits in inneren Angelegenheiten, wozu auch die Steuerpolitik gehört, völlig autonom.

“Kein Grund zur Panik”

Ob man im Zusammenhang mit dem Staatsbudget von 2004, das übermorgen Mittwoch als Gesetzesprojekt in der Abgeordnetenkammer eingebracht wird, vor Überraschungen gefeit sei, und ob nicht etwa nach den Wahlen vom Juni nächsten Jahres das dicke Ende folgen werde, wollten wir abschließend von Lucien Weiler wissen. Seine Antwort lief darauf hinaus, dass der Etatentwurf mit den vorliegenden Zahlen abgesichert sei und ganz sicher keine Überraschung bringen werde. Die einzige Überraschung sei das Budget selbst gewesen, und hier insbesondere die Art und Weise, wie die Regierung es fertig brachte, das Paket zu schnüren. Da sei ihr ein wahres Kunst- und Meisterstück gelungen, was auch von allen Kommentatoren – von den Gewerkschaften über die Patronatsorganisationen bis zu den Berufskammern – anerkannt worden sei. Wie sich der Staatshaushalt für 2005 anlasse, müsse sich erst noch zeigen. Vieles hänge hier von der wirtschaftlichen Entwicklung ab, jedoch auch von den schlummernden Reserven, die noch angezapft werden können: ?Es besteht jedenfalls kein Grund, um in Panik zu verfallen.”