„Die Nachhaltigkeit darf nicht auf ökologische Fragen verkürzt werden“

Premierminister Jean-Claude Juncker im Interview mit der Wochenzeitung WOXX; lesen Sie an dieser Stelle eine Kurzfassung.

In einem Interview mit der Wochenzeitung WOXX äußerte sich Premierminister Jean-Claude Juncker über die nachhaltige Ausrichtung der Luxemburger Politik. Jean-Claude Juncker machte in dem Gespräch deutlich, dass sich Nachhaltigkeit nicht auf den Bereich der Umweltpolitik beschränkt, sondern einem horizontalen Ansatz bedarf und insbesondere auch soziale und wirtschaftliche Aspekte umfasst.

Auf die Frage, welchen Stellenwert das Thema Nachhaltigkeit hat, antwortete Premierminister Jean-Claude Juncker: “Es war mir ein Anliegen, bei früheren Interventionen zu dieser Frage, darauf aufmerksam zu machen, dass die Nachhaltigkeit nicht auf ökologische Fragen verkürzt werden darf. Wenn man im Zusammenhang mit der Rentendebatte das Thema Nachhaltigkeit bemüht hat, wurde einem allerdings schnell der Vorwurf des Sozialabbaus gemacht.”

Öffentlicher Transport: große Schritte

Hinsichtlich der Entwicklung der Verkehrspolitik äußerte Jean-Claude Juncker: ” Ich glaube, dass die Regierung den richtigen politischen Ansatz gewählt hat. Allerdings wurde er mangelhaft nach außen hin vorgetragen. Wir sind dabei, im Bereich des öffentlichen Transportes relativ große Schritte zu machen: Stichwort “Rest-BTB”, der jetzt umgesetzt wird, sowie Investitionen im Bereich der Eisenbahn. Es kommt mancherorts zur Feststellung, der angestrebte Modalsplitt 25 zu 75 sei gleichzusetzen mit einem absoluten Stopp im Straßenbau. Das sehe ich nicht so. Gibt es Probleme müssen diese auch behoben werden.”

Auf das Thema der Ökologisierung des Steuersystems angesprochen, antwortete er:

“Unabhängig davon, dass dies eine aufgrund ihrer Technizität sehr schwierige Frage ist, müssen wir erkennen, was das in der praktischen Politik heißt: Wollen wir eine Verlagerung von direkten zu indirekten Steuern hin? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus in einem Land, das zu den wenigen gehört, das über die Indexierung der Löhne verfügt?
Andererseits muss ich seit zehn Jahren die betrübliche Feststellung machen, dass jedes Mal, wenn, man ökologische Elemente in die Steuerpolitik einfließen lässt, sie aber nicht als solche benennt, die erklärten Fachleute eines ökologischen Steuersystems nicht einmal merken, dass es sie gibt. Zum Beispiel die Kilometerpauschale, über die in Deutschland so heftig diskutiert wird. Sie existiert in Luxemburg seit 13 Jahren und wird seit 1992 unabhängig vom Transportmittel gewährt. …

Auch die Mineralölsteuer wurde im Rahmen der Finanzierung des Beschäftigungsfonds in einem Masse erhöht, der dem entspricht, wie das in Deutschland geschah. Nur scheint das in Luxemburg noch keinem aufgefallen zu sein. In unserer Steuerlandschaft gibt es die gleichen ökologischen Elemente wie in der deutschen. Es ist doch nicht so, dass eine Politik nur deshalb grün und ökologisch wäre, weil sie von Grünen und Sozialisten gemacht wird, und die gleiche Politik von den anderen unökologisch wäre. Ich bitte also darum, unsere Steuerlandschaft mit einem etwas durchdringenderen Blick zu betrachten. …

Wenn wir eine ökologische Steuerreform in der Form betreiben, dass es zu einer stärkeren Belastung im indirekten Steuerbereich kommt, dann hätte sogar vor der letzten Steuerreform zu wenig Volumen bestanden. Steuersenkungen allein hätten nicht gereicht, um den Menschen in den unteren und mittleren Einkommensklassen einen Ausgleich zu verschaffen für ihre Mehrausgaben aufgrund neuer Ökosteuern.”

Beide Aspekte der Steuerreform machen Sinn

Bei der Deponierung des Haushaltsentwurfs für 2004 lehnten Premier- und Finanzminister Jean-Claude Juncker sowie Budgetminister Luc Frieden die Rücknahme der Steuerreform ab. In diesem Zusammenhang wies Jean-Claude Juncker im WOXX-Interview darauf hin: “Allerdings wird sich die Senkung der Betriebsbesteuerung als richtig erweisen, wenn es wieder zu einer Belebung der Konjunktur kommt. Dann nämlich, wenn die Unternehmer sich daran erinnern, dass das steuerliche Umfeld in Luxemburg im europäischen Vergleich besonders günstig ist.

Daneben hatte die Lohnsteuerreform einen Impakt auf das Konsumverhalten: Im Gegensatz zu unseren direkten Nachbarn ist der Konsum hierzulande nicht zurückgegangen. Ohne Steuerreform wäre das der Fall gewesen. Der Konsumschub hat seinerseits dem Staat mehr Einnahmen beschert, als dies ohne Steuerreform der Fall gewesen wäre.
Ich bin nach wie vor von der Richtigkeit dieser Reform überzeugt. Nicht zuletzt wurde sie seinerzeit von allen Seiten gefordert. Der Regierung wurde 2001 vorgeworfen, sie würde im Geld schwimmen. Wenn die Situation heute nicht so verdrießlich wäre, könnten man sich darüber kaputt lachen. Die gleichen Leute, die damals geschrieben haben, Juncker schwimmt in unserem Geld, jammern jetzt, dass kein Geld mehr da ist.”

Qualitatives Wirtschaftswachstum

Auf die Zielsetzung der Regierungspolitik angesprochen, prioritär ein qualitatives Wirtschaftswachstum anzustreben, d.h. in Luxemburg Betriebe anzusiedeln, die ressourcenschonend sind, äußerte Jean-Claude Juncker: “Jedenfalls fand man, es sei sinnvoll, Unternehmen ins Land zu holen, die weder personalintensiv seien, noch viel Fläche verbrauchen würden, dafür aber die öffentlichen Finanzen stärken könnten. Dieses Prinzip gilt für mich auch weiterhin.

Nun habe ich zwei solche Projekte eingebracht: AOL und Amazon. Die passen genau in die Rubrik dessen, was damals als erstrebenswert beschrieben wurde. Und was war die Hauptreaktion: Das sei ja alles schön und gut, doch entstünden dabei keine Arbeitsplätze. Je renvois les gens à leur discours! Ich habe es bereits gesagt: Wir Luxemburger – und ich nehme mich dabei nicht aus – wollen das eine und das andere. Und zwar ohne die jeweiligen Nachteile auf der einen oder anderen Seite.”

(aus WOXX 12.09.03)