Premierminister Jean-Claude Juncker im Gespräch mit Schülern der 3e CLS1 des hauptstädtischen Athenäums im Rahmen des Projektes “Presse à l’école”. Ein Auszug aus Luxemburger Wort vom 12. Juli 2003.
Herr Staatsminister, was verstehen Sie unter dem Begriff Spaßgesellschaft?
Jean-Claude Juncker : Die Spaßgesellschaft setzt sich meiner Meinung nach aus verschiedenen Elementen zusammen. Wir sind dann in einer solchen Gesellschaft angelangt, wenn sich jeder nur noch ausschließlich auf sich selbst konzentriert und den Blick nicht weiter als auf die eigene Nase richtet.
Beschäftigt man sich nur noch mit sich selbst, so verschließt man sich komplett gegenüber den Anliegen und Problemen anderer Leute. Durch diese übertriebene Kultur der eigenen Person inszenieren wir eine Scheinfreude und verdrängen die eigentlichen Sorgen des Lebens, indem wir die Augen vor der Realität verschließen.
Ich denke, dass eine Gesellschaft, in der jeder einzig und allein mit sich selbst beschäftigt ist, nicht funktionieren kann, jedoch möchte ich betonen, dass ich den Spaß, die Freude an sich, keineswegs verdamme. Im Gegenteil, ohne Lachen kommt keiner aus. Vor Augen sollte man sich jedoch halten, dass die systematische Spaßbetreibung als Lebensinhalt fatal ist.
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Wie stellen Sie sich eine ideale Gesellschaft vor?
Jean-Claude Juncker: Die ideale Gesellschaft ist zweifellos eine Wunschvorstellung. Man kann lediglich versuchen, so nah wie möglich an dieses Ideal heranzukommen, jedoch würde ich festhalten, dass jede Gesellschaft ein fragiles Gleichgewicht zu halten hat.
Einerseits möchte ich noch einmal betonen, dass ich den Spaß keinesfalls verwerfe, denn meiner Meinung nach muss eine Gesellschaft über sich selbst lachen können, anstatt über andere. Sich vergnügen ist lebensnotwendig.
Andererseits muss jeder einzelne sich belästigen lassen. Es ist unglaublich, mit wie viel Elend wir an einem Tag konfrontiert werden, wenn wir nur wollen. Es geht uns bei weitem nicht so gut, wie wir glauben! Solidarität, soziales Engagement sind unerlässlich; ihr Fehlen führt zum Zusammenbruch der sozialen Kohäsion, zum Sittenverfall. Meiner Ansicht nach läuft unsere Gesellschaft akute Gefahr, dieses Gleichgewicht zu verlieren.
Ist dies eine Warnung, die Sie an unsere Gesellschaft richten?
Jean-Claude Juncker: Eine Warnung im engsten Sinn des Wortes nicht. Höchstens eine Mahnung an die Gesellschaft, sich nicht zu weit von der momentan herrschenden Wohlstandswelle mitreißen zu lassen, sondern die Balance zwischen der eigenen Person und einem gemeinsamen Leben zu halten. Gönnen Sie sich Ihre Freuden, aber nicht nur das, und bedenken Sie: Viel lachen ist gut, doch nur Spaß ist schlecht!
Die fünf Schüler waren Sarah Braun, Max Geisen, Raoul Heinen. Ada Schmitt und Sarah Stein. Sie wurden begleitet von Professorin Monique Hollerich und Journalist Marc Glesener.