Forum interviewte Arbeitsminister François Biltgen zur Aufnahme polnischer Arbeitnehmer in Luxemburg.
Forum: Minister François Biltgen, was ändert sich für polnische Arbeitssuchende in Luxemburg durch die Aufnahme in die EU im Jahre 2004?
[b]François Biltgen: Im Prinzip haben die polnischen Arbeitssuchenden nach der Erweiterung freien Zugang zum Luxemburger Arbeitsmarkt.Forum: Welche Übergangsbestimmungen sind vorgesehen?
François Biltgen:Während der ersten zwei Jahre nach dem offiziellen Beitritt werden die Mitgliedstaaten weiterhin die nationalen Regeln über den Zugang zum Arbeitsmarkt anwenden. Das heißt, ein polnischer Arbeitnehmer muss eine Arbeitsgenehmigung beantragen. Nach Ablauf der zwei Jahre wird die EUKommission einen Lagebericht vorlegen. Daraufhin werden die Mitgliedstaaten mitteilen, ob sie aus Gründen unerwarteter Arbeitsmarktverzerrungen Schutzbestimmungen verlangen und den Zugang zum Arbeitsmarkt arbeitserlaubnispflichtig machen wollen.
Allerdings hofft die EUKommission, dass nur wenige Staaten von diesen Klauseln Gebrauch machen werden. Nach drei Jahren soll dann der Arbeitsmarkt endgültig geöffnet werden. Doch ein Mitgliedstaat kann – ein letztes Mal – eine Übergangsbestimmung verlangen, die aber spätestens nach zwei Jahren auslaufen soll. Nach 2011 dürfte es also voraussichtlich keine Beschränkungen mehr geben. Ich bin aber überzeugt, dass es nicht so lange dauern wird.
Forum: Gab es oder gibt es Überlegungen in der Regierung, polnischen Staatsbürgern in der Übergangszeit bis zur Verwirklichung der vollen Freizügigkeit einen präferentiellen Zugang zum luxemburgischen Arbeitsmarkt zuzugestehen bzw. die Einwanderung aus Polen speziell zu fördern?
François Biltgen: Derzeit ist es zu früh, sich darüber zu äußern, was genau nach Ablauf der ersten zweijährigen Übergangszeit geschieht. Doch kann man – wenn keine Katastrophe .in Luxemburg auftritt – Luxemburg so schnell wie möglich die volle Freizügigkeit zulassen wird, und das nicht nur gegenüber Polen. Luxemburg hat in der Vergangenheit immergefürchtet, eine zusätzliche Freizügigkeit durch EUErweiterung würde eine unzumutbare Einwanderungswelle verursachen. Wir hatten Angst vor zu vielen Italienern und vor zu vielen Portugiesen. Doch die Ängste waren unbegründet. Dies wird sich auch in Zukunft wiederholen, obwohl die Ängste bei der Bevölkerung existieren, wie es die EU-Umfragen ergeben.
Forum: Gibt es für den Fall eines weiterhin hohen Bedarfes an Arbeitskräften in den Augen der Regierung Gründe, die speziell eine Einwanderung ans Polen in Zukunft wünschenswert macht?
François Biltgen: Diese Frage stellt sich vor allein während der zwei ersten Jahre nach der Erweiterung. Dazu möchte ich zuerst einmal Premierminister Juncker anlässlich der letztjährigen Rede zur Lage des Landes zitieren: “En dépit de la hausse du taux de l’emploi au Luxembourg, l’économie luxembourgeoise aura un besoin important en main-d’œuvre dans les années à venir. Comme le réservoir de main-d’oeuvre dans les régions frontalières risque d’être insuffisant, le gouvernement entend attirer des travailleurs des futurs pays membres de l’Union européenne sans attendre la fin de la période transitoire de 7 ans. Le ministre du Travail et de l’Emploi négociera des accords y relatifs avec un certain nombre des pays candidats.”
Alles hängt natürlich von der wirtschaftlichen Lage vor allen, auf dem Arbeitsmarkt ab. Diese Lage hat sich seit der Erklärung des Staatsministers grundlegend geändert. Noch vor Monaten sprachen die Bauunternehmer bei mir vor, um präferentiell Polen Zugang zum Arbeitsmarkt zu geben, weil es einen Mangel an – qualifizierten – Kräften gäbe. Dies ist heute nicht mehr der Fall. Es gibt genug arbeitslose Fachkräfte im Bauwesen.
Allerdings hat auch die Landwirtschaftskammer den Wunsch geäußert, polnische Saisonarbeiter einzustellen In der Tat bleibt es schwierig, Arbeitskräfte für die Landwirtschaft zu mobilisieren. Ich hatte gehofft, dass im Zuge der Regularisierung der Landwirtschaft Arbeitskräfte, vor allem bei den jugoslawischen Antragsstellern, finden würde. Das war nicht der Fall. Deshalb stehe ich dieser Anfrage aufgeschlossen gegenüber. Eine generelle Bewegung kann es aber derzeit kaum geben.
Forum: Haben kulturelle und religiöse Aspekte eine Bedeutung, wenn es um die Abwägung von Immigrationsalternativen geht?
François Biltgen: Richtig ist. dass die Problematik der Immigration nicht von der Problematik der Integration gelöst werden kann. Viel zu oft geschah das leider in der Vergangenheit, und Integration beginnt am Arbeitsplatz. Ich zitiere deshalb aus dem Bericht des Wirtschaft- und Sozialrates vom 9. April 2002 über die Lage des Landes:
\”Interrogés sur les trois pays qui devraient entrer, en premier, dans l\’UE, … Pour les Luxembourgeois, les préférences vont nettement vers la Pologne d\’abord, puis vers la Hongrie. Le Gouvernement devrait chercher à identifier les populations qui se prêtent le mieux à une intégration rapide et effective dans la société luxembourgeoise. Si, à la suite de cet exercice, une ou plusieurs populations des pays candidats paraissent convenir particulièrement à une intégration sans heurts, les responsables politiques devraient préparer le terrain pour que le Luxembourg ne se fasse pas devancer par les \”grands\” d\’Europe…\”
Ich höre allerdings von verschiedenen Gegnern der Luxemburger Asylpolitik: \”Sie schicken die Jugoslawen heim, weil sie Moslems sind, und nehmen Polen, weil diese Katholiken sind\”. Das ist natürlich Quatsch.
Wenn wir dafür sind, prioritär die Grenzen für Polen und Menschen aus den andern EU-Mitgliedstaaten zu öffnen, dann deshalb, weil es unlogisch ist, Unionsbürger vor der Tür stehen zu lassen, um andere Immigrationen zu fördern. Das ist eine Frage der \”citoyenneté européenne\”. (publiziert am 1. März 2003 in der Zeitschrift Forum)
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