Die europäische Verfassungsfrage

Ein Kommentar zur aktuellen Diskussion einer zukünftigen europäischen Verfassung von Fraktionssekretär Frank Engel.

Im europäischen Konvent wird es langsam ernst. Nach rund einem Jahr des Zuhörens und eher unverbindlichen Diskutierens tritt diese einzigartige Versammlung in die letzte Phase ihrer Tätigkeit ein: dem Konvent bleiben vier Monate, um eine Vorlage für die zukünftige europäische Verfassung auf den Tisch zu legen.

Konvent, eine Art Generalprobe

Vertreter des Europaparlaments, der europäischen Kommission und von 28 nationalen Parlamenten sowie ebenso vielen Regierungschefs debattieren erstmalig in der Geschichte Europas gemeinsam über die künftige Architektur unseres Kontinents. Alles in allem 105 effektive Mitglieder und noch einmal 105 stellvertretende Mitglieder ringen um Textpassagen, die zusammengenommen eine europäische Verfassung ergeben sollen. Nachdem mittlerweile nicht weniger als fünf Außen- und Europaminister sich in der Konventsrunde mit zu Tisch gesetzt haben, darf man annehmen, dass der Konvent eine Art Generalprobe für die nächste Regierungskonferenz geworden ist.

Nun hat das Präsidium, die leitende Instanz des Konvents, einen Entwurf für die ersten 16 Verfassungsartikel vorgelegt. Und hiermit prompt sozusagen die Verfassungsfrage aufgeworfen : wenn sich nämlich die von internationalen Verträgen geregelte Staatengemeinschaft, die die Union heute ist, zu einer Verfassungsgemeinschaft von Staaten UND Bürgern wandeln soll, dann muss gerade der erste Teil der Verfassung sich klar, präzise und verbindlich lesen. Dem stehen jedoch leider noch immer die Unterschiede zwischen den europapolitischen Überzeugungen seiner Autoren entgegen.

Europa, eine Angelegenheit der europäischen Bürger

Der CSV ist sehr daran gelegen, dass der Konvent im Juni tatsächlich eine Verfassungsvorlage an den Europäischen Rat von Thessaloniki übergibt. Denn wir bleiben davon überzeugt, dass Europa eine Angelegenheit der europäischen Bürger sein muss, und nicht nur eine Affäre der Mitgliedsstaaten.

Ein wässriger Verfassungstext mit teils unklarer Bedeutung und Verbindlichkeit bringt uns auf diesem Weg jedoch nicht weiter. Deswegen hat die EVP-Gruppe im Konvent – also jene Konventsmitglieder, die der europäischen Volkspartei angehören – auch eine Vielzahl von Änderungsanträgen vorgelegt, die zu einer Festigung der Grundmauern der europäischen Verfassung beitragen sollen.

Europa wird nach dem Konvent europäischer sein

Eine Verfassung für Europa und seine Bürger ist die größte Herausforderung der Union seit den römischen Verträgen. Eine Verfassung, die gemeinsame Werte, Prinzipien und Ansprüche der Menschen, Völker und Staaten der Union festschreibt, wird die Europäer und die Europapolitik näher zusammenbringen, als Verträge zwischen Staaten dies können.

Die Verfassung muss jedoch vor allem eins bewirken, das Schwierigste, was in der Europapolitik bewerkstelligt werden kann: die Überwindung nationalstaatlicher Eitelkeiten. Wenn der Konvent in einem rechtsverbindlichen Rahmen die Gemeinsamkeiten Europas gegenüber seinen Divergenzen hervorstreichen kann und damit einen wirklichen Mentalitätswandel einzuläuten vermag, dann wird Europa nach dem Konvent europäischer sein.

Frank Engel

Fraktionssekretär