François Biltgen: „CSV wird auch Partei des 21. Jahrhunderts sein“

Vier Fragen an den neuen CSV-Präsidenten: Luxemburger Wort Journalist Joseph Lorent interviewte François Biltgen im Anschluss an den Kongress.

j-lo – Anlässlich seiner Wahl zum zehnten Präsidenten der mit 9 666 Mitgliedern weitaus stärksten politischen Partei Luxemburgs unterhielten wir uns am vergangenen Samstag in Walferdingen mit François Biltgen über seine Auffassung vom neuen Amt, die Schwerpunkte seiner Aktion, die Bedeutung einer christlichen Volkspartei in der heutigen Welt und den Wahltermin von 2004.

Anlässlich seiner mit großer Mehrheit erfolgten Wahl zum zehnten Präsidenten der CSV bezeichnete François Biltgen im Interview mit LW-Redakteur Joseph Lorent die Rückbesinnung seiner Partei auf ihre Grundwerte, die jene eines fortwährenden christlichen Menschenbildes sind, als ein wesentliches Anliegen.

Herausforderung, Verantwortung und Verpflichtung

Luxemburger Wort: Was bedeutet es für Sie, an die Spitze der größten politischen Partei Luxemburgs gewählt worden zu sein?

François Biltgen: Eine große Herausforderung und Verantwortung, vor allem er auch eine Verpflichtung in einer langen Tradition. Angefangen bei Pierre Dupong, dem an der Spitze viele große Politiker folgten, mit denen ich teils noch zusammenarbeitete, wie Jacques Santer, Jean Spautz, Jean-Claude Juncker und Erna Hennicot-Schoepges.

Es ist eine Verantwortung, die verpflichtet und mich auch dazu bringen muss, Luxemburgs größte Partei voranzubringen, so wie meine Vorgänger dies auch taten.

Heute gibt es neue Herausforderungen, und wir leben in einem neuen Jahrhundert. Die CSV war eindeutig die Partei des 20. Jahrhunderts und ich bin überzeugt, dass sie auch die Partei des 21. Jahrhunderts ist. Wir haben unsere Grundwerte, zu denen wir uns nach wie vor bekennen, die wir aber neu deklinieren und an die neuen Herausforderungen anpassen müssen. Das ist die auf mir liegende Last, die ich jedoch nicht allein trage, denn ich werde bestrebt sein, diese Partei nicht präsidial, sondern kollegial zu führen.

Meine Vorgängerin Erna Hennicot-Schoepges übergibt mir eine gesunde Partei, vor allem mit neuen Statuten, die für eine organisatorische Stärkung der Partei sorgen, und mit einem überarbeiteten Grundsatzprogramm, das man jetzt schnell in ein Aktionsprogramm umsetzen kann.

“Über nächsten Wahltermin hinausschauen!”

LW: Auf der Hand liegt unsere Frage nach den Schwerpunkten Ihrer Präsidentschaft…

François Biltgen: An erster Stelle ist dies die Leitung der Partei. Ich bin der Meinung, dass ein Parteipräsident nicht prioritär auf der Grundlage der Wahlresultate oder der Mitgliederzahl beurteilt werden soll, sondern vielmehr auf das Innenleben der Partei hin.

Insofern soll der Parteipräsident auch nicht nur den nächsten Wahltermin sehen. Natürlich muss eine Partei auch Wahlen gewinnen. Nimmt man Wahlen nicht ernst, dann verliert man sie, aber eine Partei, die als Ziel immer nur den Sieg bei den nächsten Wahlen sieht, die verliert auch einmal Wahlen, aber dann definitiv, weil sie nicht nach vorne schaut.

Demnach werde ich bemüht sein, die Partei lebendig zu erhalten, dies durch eine kollegiale Führung, aber auch durch den verstärkten Rückgriff auf den Reichtum, d. h. das soziale Kapital der Partei, nämlich ihre über 9 600 Mitglieder. Sie sind einerseits unsere Informanten, die uns von der Basis und aus der Mitte des Volkes heraus sagen, wo der Schuh drückt. Andererseits sind unsere Militanten aber auch unsere Botschafter. Demnach müssen wir ihnen helfen, unsere Politik besser nach draußen zu verkaufen und verständlich zu machen.

Ein weiterer Schwerpunkt wird darin bestehen, die Partei nicht als Insel zu sehen, sondern verstärkt auch auf die Diskussion mit Nichtmitgliedern zu setzen, dies vor allem wenn es um bedeutsame Zukunftsfragen geht. Denn es ist wichtig, dass die Partei nicht zum verlängerten Arm der Regierung wird, sondern sich zu einer Denkfabrik entwickelt, die über die nächsten Wahlen hinaus Probleme erkennt und neue mutige Lösungen vorschlägt.

Christliches Menschenbild als Grundwert

LW: Welche Bedeutung hat eine christliche Volkspartei noch in unserer modernen Zeit mit ihren teilweise doch etwas veränderten Wertvorstellungen?

F. Biltgen: Was in unserer Welt ändert, das sind vielleicht nicht die Wertvorstellungen an sich, sondern die Art und Weise, wie die Wertvorstellungen sich äußern.

In der kürzlich publik gemachten “European Values Studies” haben wir festgestellt, dass der Mensch von heute sich weniger auf ein parteipolitisches Engagement stürzt und weniger in die Kirche geht. Trotzdem, und da komme ich auf das Religiöse zu sprechen, wurde festgestellt, dass ganz viele Menschen einen wahrscheinlich noch größeren Wert als vorher auf ethische und religiöse Werte legen.

Was diesbezüglich die CSV zu bieten hat, ist gerade die Tatsache, dass sie eine Partei mit ethischen Grundsätzen ist und ihre gesamte Politik darauf ausrichtet. Wenn wir uns zum Beispiel darüber aussprechen, dass neben der Ehe, die selbstverständlich für uns das Fundament der Familie bleibt, wir auch andere Formen des Zusammenlebens schützen wollen, dann ist das kein falsch verstandener Fortschrittsglaube. Vielmehr geschieht dies, weil für uns die Grundwerte des menschlichen Zusammenlebens Liebe und Solidarität sind.

Dort, wo es diese Grundwerte gibt, müssen sie auch beschützt werden! In der Ausübung unserer Werte bringt uns das natürlich zu anderen Resultaten wie andere. Diese fortwährende Rückbesinnung auf unsere Grundwerte ist etwas Wesentliches. Unsere Grundwerte sind die des christlichen Menschenbildes, was kein konfessionelles Menschenbild ist, das aber auf Grundwerten beruht, die im Laufe der Jahrhunderte durch das Christentum mit vielen Wändeln und Konflikten trotzdem zu der Wertegesellschaft geführt haben, auf die wir stolz sind und die wir jedenfalls erhalten müssen.

Gute Ausgangspositionen

LW: Vorhin erklärten Sie, dass Wahlen wohl nicht alles im Leben einer Partei sind, obschon sie auch ihre Wichtigkeit haben. Wie sehen Sie dem Wahltermin von 2004 in einer Zeit entgegen, wo mehr oder weniger festzustellen ist, dass sich alles gegen die CSV zusammentun will und auch eine dementsprechende Stimmung gemacht wird?

F. Biltgen: Auch mir ist klar, dass eine entsprechende Tendenz besteht. So haben kürzlich viele Menschen auch die bei der Hundertjahrfeier der LSAP gehaltene Rede von Präsident Jean Asselborn verstanden. Es wird versucht, eine Ampelkoalition gegen die CSV zu bilden. Als Grundlage gegen uns werden gesellschaftspolitische Argumente genommen.

Darauf antworte ich, dass diese Opposition keine andere Alternative gegen uns anzubieten hat, daher auf die Gesellschaftspolitik zurückgeht und auf Fragen, die zum Teil unwesentlich aber wirklich sind, wie z. B. die Privatschulen.

Ebenso stelle ich fest, dass die CSV in der Gesellschaftspolitik nicht zu denjenigen gehört, die daraus politische oder ideologische Themen machen will. Nehmen wir beispielsweise das Thema der Sterbebegleitung. Das ist für uns kein ideologisches Thema, sondern ein solches, wo jeder seine Gewissensfreiheit haben muss. Wir gehen dieses gar nicht einfache Thema an, indem wir uns auf die Grundwerte zurückbesinnen. Wir werden jedoch nicht in die Richtung gehen, um daraus einen ideologischen Wahlkampf zu machen, was ein schlechter Dienst an allen vor ihrem Lebensende stehenden Menschen wäre.

Für all diese Fragen, ob es sich um das Zusammenleben ohne Heirat oder die Sterbebegleitung handelt, verfügen wir über konsensfähige Vorschläge, die wir ab er wegen der Ernsthaftigkeit der Themen nicht politisieren wollen.

Als CSV sind wir eine Partei, die ständig bekämpft wurde, es jedoch immer wieder fertig brachte, die stärkste Kraft zu werden, weil sie nicht nur die Partei aus der Mitte des Volkes war und ist, sondern auch eine Partei ist und bleiben wird, die Verantwortung getragen und nicht nur nach dem nächsten Wahltermin getrachtet hat.

In diesen Zeiten, wo wir aus den Boomjahren herauskommen und alles etwas langsamer dreht, ist Verantwortung gefragt. Nicht, um kurzfristig vor den nächsten Wahlen die Leute zu beglücken, sondern um danach zu trachten, langfristig wirtschaftliches Wachstum zu sichern und den neuen Problemen in der Wirtschaft zu begegnen, ohne dass dabei jedoch die soziale Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt.

Da haben wir gute Ausgangspositionen, seinerseits wegen der vorsichtigen Finanz- und Budgetpolitik, wo wir trotz allem Oppositionsgeschrei immer wieder Reserven anlegten und kein Geld verteilten, so dass wir jetzt ruhiger in die Zukunft blicken können. Andererseits haben wir in dieser Regierung auch für eine Reihe von zukunftsorientierten Weichenstellungen gesorgt, wie die Universität Luxemburg, die Nutzung der Industriebrachen und das Integrative Verkehrs- und Landesplanungskonzept. Dies alles sind Projekte, wo man die Früchte nicht vor den nächsten Wahlen ernten kann, mit denen wir als CSV jedoch eindeutig beweisen, dass wir nicht dem Zeitgeist nachlaufen und auf Stimmen bedacht sind, sondern vielmehr versuchen, Verantwortung zu übernehmen. Es war gerade diese Tugend, mit der bis jetzt im Endeffekt die CSV überzeugte, bei allen Uneinigkeiten, die sie ansonsten mit ihr haben mochte.

(Interview aus Luxemburger Wort vom 20.01.03

– das Interview führt Journalist Joseph Lorent)