Erna Hennicot-Schoepges über ihre Perspektiven für das Jahr 2003.
Manchmal scheinen wir zu vergessen, dass es uns noch viel besser geht, als so vielen Menschen auf der Welt, für die das Wort Krise ein Dauerzustand ist. Wie viele Generationen haben das Wort Frieden überhaupt nie kennengelernt! Wir sollten gestärkt und dankbar für die vielen guten Jahre sein, die auf uns zukommenden Herausforderungen mit dem Mut dessen angehen, der gut vorbereitet schlechteren Zeiten gelassen entgegen sieht.
Ganz gewiss gibt es manche Gewissenserforschung zu machen und aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Aus der Ölkrise der 70er Jahre haben wir beispielsweise nicht die richtigen Schlüsse gezogen: Sollte es Krieg im Irak geben, wird Europa erneut unter seiner Abhängigkeit im Energiebereich zu leiden haben. Europa hat zuwenig in die Forschung nach alternativen Energien investiert, und mutige Entscheidungen, z. B. im Automobilsektor, die Forschungsergebnisse umsetzen könnten, werden nicht getroffen, weil vorerst die Investitionen noch amortisiert werden müssen. Immer öfter werden die Entscheidungen eher vom Profitdenken als von der Sorge um das Allgemeinwohl gelenkt.
Die Wissenschaft hat auch eine soziale und eine ökologische Verantwortung. Diese Prinzipien der katholischen Soziallehre wurden nur ungenügend umgesetzt. In einer globalisierten Weltwirtschaft riskiert diese Dimension völlig unterzugehen. Das gilt es zu verhindern und da muss das Wiedervereinigte Europa die Vision der Gründerväter erst noch umsetzen. Wir können langfristig nicht darauf verzichten, unsere Wirtschaftsordnung umzukrempeln.
In ihrem neuen Grundsatzprogramm sagt die CSV, dass Eigentum auch verpflichte. Damit wollen wir deutlich machen, dass Geld und Reichtum nicht das höchste Gut sind, sondern, dass es für eine Gemeinschaft eben noch höhere Werte geben muss. Die Frage nach dem Sinn und nach dem Wert des Lebens muss uns daher leiten und von ihrer Beantwortung wird alles andere abgeleitet. Das Leben als höchster Wert an sich darf daher nicht beliebig behandelt werden es steht uns nicht zur Verfügung.
Die großen Kulturen der Menschheitsgeschichte haben überlebt, weil sie an ein Leben nach dem Tode glaubten und ihren Toten das Überleben sichern wollten. Noch Jahrtausende später sind sie Zeugen vom Genie des Menschen. Fehlt uns nicht derzeit der Glaube an das Gute im Menschen, an die Kraft der Liebe, an die Ausstrahlung, die Uneigennützigung vermittelt? Und auch das Vertrauen in unser eigenes Schicksal?
Unsere Vorfahren haben schwierige Zeiten überstanden, weil der Wille zu überleben, zum Wiederaufbau nachdem Krieg, sie stark machte. Wir sind ihnen verpflichtet, zu zeigen, dass auch wir es fertig bringen, schwierige Zeiten mit Dynamismus und Vertrauen anzugehen.
Erna Hennicot-Schoepges
Luxemburger Wort; 31. Dezember 2002