Warum gibt es heute einen islamischen Fundamentalismus? Warum findet dieser intolerante Auswuchs des Islam immer mehr Anhänger? Es ist nicht einfach, eine Antwort auf diese Fragen zu finden. Noch schwieriger ist es, aus diesen Antworten politische Aktionsmuster abzuleiten. Klar ist allerdings, dass der Westen seit spätestens einem Jahr gefordert ist, sich mit diesem Themenkomplex auseinander zu setzen. Es nützt jetzt nichts zu behaupten, man hätte dies schon viel früher tun müssen (der 11. September beweist, dass dies wohl richtig ist). Es gilt, sich heute und jetzt mit diesen Fragen auseinander zu setzen.
Die Antworten auf die Fragen, die der islamische Fundamentalismus aufwirft, können wir nur finden, wenn wir uns aktiv mit jedem Islam auseinander setzen. Unter dem Stichwort “Dialog der Kulturen”.
Perspektiven und Chancen
Der Islamismus nützt staatliche Misswirtschaft und frappierende soziale und politische Ungerechtigkeiten in vielen islamischen Ländern aus, um immer neue Anhänger für sich zu gewinnen. Die Ungerechtigkeiten des aktuellen Welthandelssystems bringen dem Islamismus weiteren Zufluss. Für islamische Fundamentalisten ist es ein Leichtes, die Frustrationen der Menschen in diesen Ländern auszunutzen.
Hier ist der Westen gefordert, eine Politik zu betreiben, die den Menschen in der islamischen Welt wieder Perspektiven und Chancen gibt, eine Politik, die sie nicht an den Rand und damit in die Arme des Fundamentalismus drängt. Die Kernelemente einer solchen Politik sind die Förderung demokratischer Prozesse und des sozialen Ausgleichs in der islamischen Welt, die Verwirklichung eines fairen Welthandelssystems sowie die Gestaltung einer Entwicklungshilfe die der fortschreitenden Verarmung ganzer Weltregionen Einhalt gebietet.
Den Dialog suchen
Doch politische und materielle Maßnahmen reichen nicht aus. Um zwischen der islamischen Welt und unserem Kulturkreis neue Brücken zu bauen, müssen wir uns vor allem mit dem Islam als Religion auseinandersetzen.
Die Ursprünge des Islam gehen auf das siebte Jahrhundert zurück. Der Islam steht damit im 13. Jahrhundert seiner Entwicklung. In der Geschichte des Christentums war das 13 Jahrhundert das der Kreuzzüge und der unbarmherzigen Verfolgung von Nicht-Christen.
Es ist verführerisch, die negativen Aspekte des damaligen Christentums als Erklärungsmuster für den islamischen Fundamentalismus von heute anzuführen. Eine solche Analyse ist jedoch simplistisch. Schließlich war das 13. Jahrhundert auch und vor allem das Jahrhundert des Thomas von Aquin, der die christliche Soziallehre philosophisch begründete und die klassische Philosophie des Aristoteles mit der christlichen Religion verband. Letzteres unter dem Impuls der blühenden moslemischen Philosophie jener Zeit.
Ähnliche Vordenker, die den Humanismus und die Toleranz ihrer Religion hervorstreichen, gibt es heute ebenfalls im Islam. Mit ihnen muss der Westen den Dialog suchen. Der Westen hat die Möglichkeit mitzuentscheiden, welche Form des Islam sich durchsetzt und welches Gesicht ihn prägt. Verhält er sich gegenüber der Entwicklung im Islam gleichgültig, werden zusehends Glaubensfanatiker Politik, Kultur und Religionsverständnis der islamischen Welt prägen. Dies mit den Konsequenzen, die wir kennen. Sucht der Westen jedoch den Dialog, stärkt er jene moderaten islamischen Kräfte, die in ihrem Glauben vor allem die Grundwerte Toleranz und Solidarität sehen.
Wir wissen heute, wohin Gleichgültigkeit führen kann. Der Dialog der Kulturen muss deshalb die Sprachlosigkeit zwischen den Kulturen auflösen.
Der 11. September hat gezeigt, dass es zum Dialog der Kulturen keine Alternative gibt. Der Westen entscheidet mit, ob die Thomas von Aquins oder die Kreuzritter des Islam sich durchsetzen.
Jean-Louis Schiltz
Generalsekretär der CSV