Der EU-Reformkonvent : Auf der Suche nach Antworten auf die Fragen zur Zukunft der Europäischen Union

Der EU-Reformkonvent : Auf der Suche nach Antworten auf die Fragen zur Zukunft der Europäischen Union

Mit seiner Erklärung über “die Zukunft der Europäischen Union”, die vom Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs der EU während ihres Gipfels im Dezember 2001 im belgischen Laeken verabschiedet worden ist, wurden die Weichen gestellt zur Einberufung eines Konvents, dessen Hauptakteure eine umfassende Debatte über die Zukunft der Europäischen Union führen sollen.

Zeit für eine Zwischenbilanz

Der ehemalige französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing wurde zum Präsidenten ernannt. Bis Mitte nächsten Jahres soll die Reformversammlung der EU eine neue Formel der Zusammenarbeit definieren und die Gemeinschaft auf die Osterweiterung vorbereiten. Ob es ein Vertrag oder ein Verfassungsvertrag wird, ist noch unklar. Die ersten Etappen der Diskussion sind vorbei. Zeit für Zwischenbilanzen.

In der ersten Sitzung nach den Sommerferien zog der Konvent eine erste Bilanz. Auch die luxemburgischen Konventsmitglieder Ben Fayot (LSAP), Paul Helminger (DP), Jacques Santer (CSV) und ihre Ersatzvertreter Renée Wagener (Déi Gréng) sowie Gast Gibéryen (ADR) kommentierten und bilanzierten die ersten Phasen der Diskussion. Sie alle sind in verschiedenen Arbeitsgruppen mit zahlreichen Detailfragen befasst. Sie erinnerten ebenfalls an die verschiedenen Hearings zur Zukunft Europas, die mit den gesellschaftspolitisch relevanten Organisationen, Verbänden und Institutionen im Juli dieses Jahres in der Abgeordnetenkammer geführt wurden.

Man wolle den Auftrag, dass die Union demokratischer, transparenter und effizienter, also Bürgernäher werden soll, gerecht werden, hieß es in den Aussagen der Luxemburger Konventmitglieder. Die Vorschläge des Konvents für eine bessere Architektur der Europäischen Union sollen die Basis bilden für die endgültigen Entscheidungen der nächsten Regierungskonferenz im Jahr 2004. Die Fülle der Aufgaben sei groß. Von herausragender Bedeutung sei die Frage, wie die EU auch nach der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten handlungsfähig bleiben könne. Zugleich habe der Konvent den Auftrag, den Weg zu einer europäischen Verfassung zu skizzieren. Ein wesentliches Element sei dabei die Grundrechte-Charta, die der erste Konvent erarbeitet habe. Interessante Beiträge scheinen sich in mehreren Punkten vor allem betreffend die Einbindung der nationalen Parlamente in den europäischen Entscheidungsprozess heraus zu kristallisieren.

Die Plenartagung des Konvent

Seit dem 28. Februar wurden in verschiedenen Plenartagungen Erwartungen, Vorstellungen und Situationen an die und in der EU ausgetauscht. Gestritten wurde über die Aufgaben der Gemeinschaft, diskutiert wurde die Effizienz und Legitimation der Union, erörtert und analysiert wurden die Rollen der nationalen Parlamente und der Stellenwert des Europaparlamentes. Angehört wurde des Weiteren die so genannte Zivilgesellschaft im Rahmen des Jugendkonvents.

In der ersten Plenartagung wurde ein Konventsfahrplan aufgestellt, wobei zunächst eine Anhörungsphase und eine Analysephase festgelegt wurden. In einer dritten Phase solle ein Abschlussdokument formuliert werden. Die zweite Konventionssitzung im März befasste sich vor allem mit der Frage, welche die Prioritäten Europas in den kommenden 25 bis 30 Jahren sein müssten.

Europa – eine Wertegemeinschaft

Einen breiten Konsens gab es mit der Feststellung, Europa sei eine Wertegemeinschaft. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Schutz der Menschenrechte seien für Europa prägende Elemente. In diesem Zusammenhang wurde von zahlreichen Delegierten der Wunsch nach einer Aufnahme der Europäischen Grundrechtscharta in die Verträge geäußert.

Die Aufgaben der EU und deren Wahrnehmung sowie die Aufteilung der Kompetenzen standen im Blickpunkt der dritten Plenartagung im April, wobei ebenfalls Modelle zur Rückübertragung von Kompetenzen auf die nationalstaatliche Ebene beraten wurden. Eine Ausweitung der EU-Kompetenzen wurde in der gemeinsamen Außenpolitik und in den Bereichen Freiheit, Sicherheit und Justiz als wünschenswert beschrieben.

Effizienz und Legitimität der Aufgabenwahrnehmung durch die Union charakterisierten die vierte Sitzung im Plenum. Im Rahmen dieser Debatte wurde erstmals auch Kritik an den Instrumenten der europäischen Gesetzgebung geäußert. Die Mehrheit der Konventsmitglieder plädierte für eine Ausweitung des Prinzips der qualifizierten Mehrheit, wobei im Rat der EU die Einführung der Abstimmung nach doppelter Mehrheit angedacht wurde. Bei der doppelten Mehrheit muss die Mehrheit der Mitgliedstaaten stets auch die Mehrheit der Gesamtbevölkerung der Union wiederspiegeln.

Mehr Europa in verschiedenen Punkten?

In der fünften Plenartagung plädierte man für “mehr Europa” im Kampf gegen die zunehmende grenzüberschreitende Kriminalität aus. Die Lage sei besorgniserregend, die Behandlung der Asylbewerber und der illegalen Einwanderung in Europa überfordere einzelne Mitgliedstaaten, hieß es in der Junisession. Eine Mehrheit sprach sich dafür aus, dem europäischen Polizeiamt Europol mehr Mittel und operative Befugnisse zu geben. Dies müsse einhergehen mit einer strengen parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle.

Es folgte anschließend die Anhörung der Zivilgesellschaft. Der Konsultationsprozess umfasste vier Eckpfeiler mit schriftlichen Beiträgen, durch Debatten auf nationaler Ebene und auf Internetfragen sowie durch Reflexionszirkel, verbunden mit einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit.

Als Grundwerte der EU wurden die Würde des Menschen, die Förderung von Frieden und Versöhnung, die Prinzipien der Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und der nachhaltigen Entwicklung definiert, wobei Toleranz, Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Achtung vor Minderheiten und kulturelle Vielfalt als zusätzliche Notwendigkeiten genannt wurden, die in einem europäischen Vertrag verankert gehören.

Mit der siebten Plenartagung, es handelte sich um die letzte Sitzung vor der Sommerpause, ging die Anhörungsphase zu Ende. Im Rahmen einer allgemeinen Aussprache über das außenpolitische Handeln der EU wurde erneut der Wille zu mehr außenpolitischem Engagement geäußert. Dieses Verlangen wurde zum einen mit dem großen wirtschaftlichen und finanziellem Gewicht der EU in der Welt und zum anderen mit dem Phänomen der Globalisierung begründet. Aber auch die Werte der EU, die sich in dem Außenpolitischen Handeln wiederspiegelten, müssten Grund genug für ein stärkeres weltweites Engagement sein.

In den kommenden Wochen will der Konventpräsident den Staats- und Regierungschefs eine erste Vorlage mit Zwischenergebnissen liefern. Der Abschlussgipfel ist für Ende Dezember 2003 in Rom unter italienischer Ratspräsidentschaft geplant. Der neue Verfassungsvertrag für die EU auf Grundlage des Konventpapiers könnte dann unterzeichnet werden, sagen die Optimisten. Eine Meinung, die jedoch nicht von jedermann geteilt wird!

Weitere Informationen über die Arbeiten der Luxemburger Konventmitglieder und die allgemeinen Konventdiskussionen mit Hintergrundinformation sind auf der Internetseite www.avenir-europa.lu zu finden.