Ende Oktober will Valery Giscard d’Estaing, Präsident des Konvents, eine Struktur der Verfassung vorstellen. Doch der Wettstreit um die erste Verfassung der Europäischen Union scheint entflammt. Vor allem die Anhänger eines föderalen Europas, geprägt von einer starken Kommission und einem starken Parlament, versuchen derzeit, mit den ersten Entwürfen ihre konkreten Vorstellungen voranzutreiben.
Die Verfechter einer starken Union wollen verhindern, dass es nur zu einer allgemeinen Präambel ohne detaillierte Verfassungsbestimmungen kommt. Man wolle eine starke Kommission, die die Außenvertretung der EU übernehme und deren Präsident vom EU-Parlament gewählt werde, hieß es. Dieser Idee stehen jedoch nicht alle Abgeordneten positiv gegenüber, weil dies vor allem die Macht der nationalen Regierungen schmälern würde.
Statt hinter verschlossenen Türen sollten auch die Regierungsvertreter öffentlich tagen, wenn sie Gesetze verabschieden. Zudem würden die EU-Staaten ihr Monopol der Außenvertretung einbüßen. Um eine schleichende Übertragung zu vieler Kompetenzen an die Union zu verhindern, wolle man einen definierten Kompetenzkatalog vorlegen. Des Weiteren solle die Grundrechtecharta in der Verfassung festschreiben.
Die Fronten gehen quer durch die Parteilager. Regierungschefs wie der Franzose Jean-Pierre Raffarin und der Spanier Jose Maria Aznar, jedoch auch der britische Labour-Premierminister Tony Blair pochen auf eine starke Rolle der Regierungen mit einem von ihnen ernannten EU-Präsidenten. Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder wollen dagegen eine Schwächung der Kommission verhindern.
Im Herbst wird mit den ersten ernsthaften Konventsdebatten über die künftige Machtverteilung gerechnet. Eine spannende Diskussion ist zu erwarten!