Die dritte Parlamentssession dieser Legislaturperiode nähert sich ihrem Ende, in der dritten Juliwoche wird das Arbeitsprogramm des parlamentarischen Jahres 2001/2002 absolviert sein. Die Tätigkeit der Abgeordnetenkammer war in den letzten Monaten facettenreich und intensiv, und dies wird auch nach den Sommerferien so bleiben. Nie zuvor in der Geschichte der “Chamber” war die parlamentarische Arbeit derart variiert und vielschichtig. Die gewählte Vertretung des Volkes beweist durch ihre konkreten Leistungen, dass sie zweifelsohne jenes Forum ist, in dem die Zukunft des Landes gestaltet wird. Allein die Orientierungsdebatten des Jahres 2002 – über nachhaltige Entwicklung, über den Sozialdialog, über Wohnungsbaupolitik, über Einwanderung und Integration – sind allesamt mit Blick auf zukünftige Entwicklungen anberaumt worden.
Mit der Fernsehübertragung der Parlamentssitzungen wird die legislative Arbeit den Bürgern näher gebracht. Die Luxemburger erhalten seit ein paar Monaten sehr direkte Eindrücke von den Vorgängen in der Abgeordnetenkammer, und können so besser nachvollziehen, wie sich die politische Debatte entwickelt und was die genaue Funktion dieser Institution in unserem Land ist.
Luxemburg ist eine parlamentarische Demokratie. Unser Regierungssystem basiert auf dem Vertrauen, das die Abgeordneten der parlamentarischen Mehrheit einer Regierungsmannschaft erweisen, die sich auf diese Mehrheit stützt, um ihr Programm in die Praxis umzusetzen. Gelegentlich wird unterstellt, die Abgeordnetenkammer sei nicht viel mehr als ein Akklamationsorgan der Regierung. Solche Behauptungen entbehren allerdings jeder Grundlage – die Fakten belegen dies eindeutig.
Das Parlament ist das gesetzgeberische Organ unseres Landes. Da ein Rechtsstaat auf gesetzlichen Regeln beruht, die für alle Bürger gelten und die Tätigkeiten sowohl der Institutionen wie auch der Menschen regeln, ist das gesetzgebende Organ die erste Macht im Staat. Gemäss der französischen Maxime “Le gouvernement propose, le parlement dispose” werden politische Entscheidungen erst dann verpflichtend, wenn das Parlament sie getroffen hat. Natürlich ist es im Regelfall die Regierung, die Gesetzvorlagen im Parlament einbringt. Kaum ein Gesetz tritt allerdings in Kraft, ohne von den zuständigen parlamentarischen Ausschüssen abgeändert, und in dieser neuen Fassung im Plenum votiert worden zu sein. Natürlich lehnt die parlamentarische Mehrheit keine Gesetzvorlagen der Regierung ab: Parlamentsmehrheit und Regierungsmannschaft wurden schliesslich für die gleichen Parteien gewählt, und dies aufgrund eines Wahlprogramms, das gemeinsam von Exekutive und Legislative umgesetzt werden muss.
Das Parlament verabschiedet allerdings nicht nur Gesetze, auch wenn dies im Regelfall seine Hauptaktivität ist. Die Abgeordnetenkammer ist auch jene Institution, die als Debattierforum zu Fragen dient, die für die Entwicklung Luxemburgs wichtig sind. Es sind die Vertreter des Volkes, die sich regelmässig im Rahmen von Orientierungsdebatten und deren Vorbereitungsarbeiten mit den Themen beschäftigen, die das Antlitz unseres Landes prägen werden. Das Parlament berät ständig über die zukünftigen Herausforderungen und die Methoden, mit denen ihnen begegnet werden soll – besonders in dieser Legislaturperiode, die in ihren ersten beiden Jahren von jenen enormen Wachstumszahlen geprägt war, welche die Debatte über einen Staat mit erheblich mehr Einwohnern umrahmen.
Bevor das Parlament sich jedoch zu bestimmten Themen abschliessend positioniert, bindet es die gesellschaftlichen Kräfte in seinen Meinungsbildungsprozess ein. Die Vorgehensweise des Parlaments besteht darin, sich über die Ansichten von Vertretern der Zivilgesellschaft und der sogenannten “forces vives de la Nation” eingehend zu informieren und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, bevor es seine definitive Ausrichtung beschliesst.
In den letzten – und wohl auch den kommenden – Monaten wurde und wird viel über Zukunft und langfristige Perspektiven diskutiert. Das Parlament ist jene Institution, die am Abschluss der Diskussionen Entscheidungen wird treffen müssen. Damit dies die richtigen Entscheidungen für unser Land sind, nimmt die Abgeordnetenkammer intensiv und richtungsweisend an der Zukunftsdebatte teil. Sie ist ein selbstbewusstes Parlament in seiner Zeit.
Jean SpautzPräsident der Abgeordnetenkammer