Das “Lëtzebuerger Journal” interviewte CSV-Generalsekretär Jean-Louis Schiltz. Im Interview mit Chefredakteur Rob Roemen kommentierte der Generalsekretär aktuelle politische Fragen, zog Bilanz und sprach über den Stellenwert und in die Position der CSV in der Luxemburger Parteienland.
Lëtzebuerger Journal: Als Sie vor zwei Jahren für das Amt des CSV-Generalsekretärs kandidierten, versuchten Sie sich gegenüber ihrem Gegenkandidaten, der vom konservativ-reaktionären “Cercle Joseph Bech” gefördert wurde, als Vertreter des fortschrittlichen Parteiflügels darzustellen. Vor Kurzem ließen Sie aufhorchen, als Sie zu einem Thema aus dem gesellschaftspolitischen Bereich, zur Euthanasie, den Befürwortern unterstellten, diese würden einer “Lizenz zum Töten” das Wort reden. Glauben Sie nicht, dass Sie mit solchen Aussagen den Anspruch auf Fortschrittlichkeit aufgeben?
Jean-Louis Schiltz: Der Begriff “Lizenz zum Töten” – es geht ja darum – wird beispielsweise in der Euthanasie-Debatte in Deutschland fast tagtäglich gebraucht, ohne dass dies zu spezieller Aufregung oder anderen heftigen Reaktionen führt. Ich stelle fest, dass dies in Luxemburg anders ist. Der einmalige Gebrauch dieses Ausdruckes hat dazu geführt, dass die Diskussion sich polarisierte. Da dies nicht meine Absicht war und keinesfalls mein Ziel ist, werde ich in Zukunft davon Abstand nehmen diesen Begriff weiter zu verwenden. Es geht mir um eine sachliche, offene und faire Diskussion zu diesem Thema. Das Thema – es geht schließlich um das Ende des menschlichen Lebens – ist zu ernst um sich in Polemiken zu verzetteln. Es geht darum, wie dem Menschen in der letzten Phase seines Lebens am besten geholfen werden kann. Wie können die Schmerzen auf ein erträgliches Maß reduziert werden? Wie kann unnötiges Leiden verhindert werden? Das sind die Themenkomplexe über die wir uns unterhalten müssen. In einer konstruktiven und sachlichen Diskussion.
Nichts mit “reaktionär” oder “fortschrittlich”…
L.J.: Sie erkennen also doch Handlungsbedarf…
Jean-Louis Schiltz: In der Tat! Das Ganze hat aber nichts mit “reaktionär” oder “fortschrittlich” zu tun. Es kann doch nicht sein, dass jene, die Bedenken gegen die holländischen und belgischen Lösungen vorbringen, schlicht und einfach als reaktionär dargestellt werden. So kommen wir in der Diskussion nicht weiter. Die deutsche SPD-Justizministerin unterstützt seit Jahren ein Initiative, die sich gegen die aktive Euthanasie ausspricht. Ist sie deshalb als reaktionär einzustufen? Bestimmt nicht. In Österreich besteht ein parteiübergreifender Konsens gegen die aktive Euthanasie. Sind deshalb alle österreichischen Parteien reaktionär? Bestimmt nicht. Ich könnte diese Reihe der Beispiele hier beliebig fortsetzen, doch das würde nicht viel bringen. Im Endeffekt geht es in der Diskussion darum, wie wir Sterben humanisieren können, wie die Gesellschaft zu der optimalst möglichen Sterbebegleitung finden kann.
Homosexualität, eine freie Lebensentscheidung
L.J.: Zu den weiteren gesellschaftspolitischen Projeken gehört die Legalisierung der homosexuellen Partnerschaften. Ein abwegiges Thema für Sie?
Jean-Louis Schiltz: Wenn es um den Menschen geht, gibt es keine abwegige Themen. Die Einstellung der Gesellschaft gegenüber Homosexuellen hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert. Zum Glück, kann ich nur sagen! Es geht hier um eine freie Lebensentscheidung, die es gilt zu respektieren und die auch heute in Luxemburg weitgehendst respektiert wird. Es ist dies für mich eine Frage des elementaren Respekts.
Dieser Mentalitätswechsel in der Gesellschaft führte auch zu einer Evolution in der Politik. Ich möchte daran erinnern, dass unter dem Impuls der CSV die Frage der rechtlichen Verankerung der Rechte und Pflichten der homosexuellen Paare thematisiert wurde. Ich plädiere persönlich dafür, dass der aktuelle Gesetzesentwurf – nachdem er den parlamentarischen Prozess durchlaufen hat und, wie dies bei allen Entwürfen der Fall ist, gegebenenfalls verbessert worden ist -, zur Abstimmung gelangt. Dann werden wir ja sehen, wie der Text sich in der Praxis bewährt. Gegebenenfalls ist die Politik dann abermals gefordert, dies ist jedoch schon Zukunftsmusik.
“Rechtspartei” hat nichts mit dem heutigen Rechts-Links Schema zu tun
L.J.: Sie und andere versuchen die CSV, die ja Nachfolgeorganisation der Rechtspartei ist, andauernd als Partei der Mitte zu positionieren. Kann eine konservative Partei diesem Anspruch überhaupt gerecht werden?
Jean-Louis Schiltz: Historisch ist die CSV – oder besser gesagt die damalige Rechtspartei- als Antwort auf die sich anballenden Machtstellungen des Marxismus-Sozialismus, einerseits und des Liberalismus, andererseits, entstanden. Damals schon stand die CSV in der politischen Mitte und da steht sie auch heute noch. Der Begriff von damals “Rechtspartei” hat nichts mit dem heutigen Rechts-Links Schema zu tun, “Rechts” stand damals für den konfessionnellen Charakter der Partei.
Dass die CSV eine Partei der fortschrittlichen Mitte ist, habe ich zuletzt in meiner diesjährigen Sandweiler Kongressrede anhand von vier, fünf Beispielen untermauert. Meine vier Thesen lauteten damals sinngemäß – und sie lauten auch heute noch: die CSV unterscheidet sich von den anderen Parteien durch das “C” und das “S”; die CSV stellt den Mensch in den Mittelpunkt ihres politischen Wirkens; sie setzt sich ein für die Globalisierung des sozialen Fortschrittes; sie steht für den Dialog der Kulturen. All dies und vieles mehr charakterisiert die CSV als eine Partei der fortschrittlichen Mitte.
Die Behauptung, die CSV sei eine konservative Partei ist schlichtweg falsch. Wer die Programme von konservativen Parteien, wie den Tories in England, eingehend studiert, wird jedenfalls feststellen, dass deren Grundphilosophien nicht viel mit den christdemokratischen Werten, für die die CSV einsteht, zu tun hat.
Das “C” bleibt doch
L.J.: Parteipräsidentin Hennicot-Schoepges hat indes in einem Interview (online-Dienst “Luxemburger Wort”) den Verzicht auf das christliche Element im Parteinamen in Aussicht gestellt, worauf das “Luxemburger Wort” als Bistumszeitung ziemlich heftig reagierte. Was sagt Ihr Onkel, der Generalvikar dazu?
Jean-Louis-Schiltz: Lui, c’est lui et moi c’est moi. Außerdem verstehen wir uns ganz gut miteinander. Im Übrigen stimmt es nicht, dass Frau Hennicot den Verzicht des “C” im Parteinamen in Erwägung gezogen hat. Ich habe mich meinerseits in meiner Grundsatzrede in Sandweiler eingehend mit der Frage des C auseinandergesetzt. Das C steht für mich für Werte wie Solidarität, soziale Gerechtigkeit, Respekt und Toleranz. Eben für das christliche Menschenbild; dies wird auch in unserem neuen Grundsatzprogramm zum Ausdruck kommen.
CSV eine bunte Volkspartei
L.J.: Ihr Freund Charel Schmit, ehemaliger CSJ-Vorsitzender, hat in der Zeitschrift ‘forum’ die European value study erläutert, wobei er festhält, dass die CSV als “Mitte-Rechts”-Partei anzusehen ist, die 39 % ihrer Stimmen von Wählern der politische Lagerskala “rechts” bezieht, ebenfalls 30 von Zentrumswählern und lediglich 9 % links von der Mitte. Die CSV ist demnach Rechtspartei geblieben. Wollen Sie sich diesem nachweislichen Wählerverhalten mit einem neuen Parteikurs verweigern?
Jean-Louis-Schiltz: Ich habe es ja bereits gesagt. Die CSV stand ursprünglich in der Mitte und da steht sie auch heute noch. Charel Schmit, den sie hier ansprechen, bezeichnet in seinem Forum-Beitrag die Partei auch als Partei der fortschrittlichen Mitte. Genau wie ich in meiner schon erwähnten Kongressrede. Die CSV ist eine bunte Volkspartei in der es unterschiedlich gewichtete Sensibilitäten gibt. Einige stufen sich selbst eher als Mitte-Rechts ein, andere eher als Mitte-Links. Generell bin ich der Meinung, dass das “Rechts-Links”-Denken immer mehr an Stellenwert verliert. Ist die Politik von Tony Blair als links einzustufen? Ich glaube jedenfalls nicht.
Niemand hat Exklusivanspruch auf das Soziale
L.J.: Das Prädikat Fortschritt will die CSV unter anderem mit ihrem sozialpolitischen Engagement untermauern. Ist es denn nicht so, dass alle politischen Parteien starke sozialpoli- tische Prioritäten setzen? So konnte unter einem liberalen Sozialminister am Rententisch die bislang massivste Verbesserung der Renten im Privatsektor realisiert werden.
Jean-Louis Schiltz: Niemand hat einen Exklusivanspruch auf das Soziale, auch nicht die CSV. Allerdings war die CSV in Luxemburg oft der Motor sozialpolitischer Reformen. Sie war über all die Jahre maßgeblich an großen sozialen Reformen beteiligt. Es ist unmöglich an dieser Stelle im Detail die Jahre Revue passieren zu lassen. Ich erinnere lediglich an die Pflegeversicherung aus der letzten Legislaturperiode. Auch die Sozialbilanz 2001 und Anfang 2002 lässt sich sehen. Die Steuerreform beinhaltet eine eindeutige soziale Komponente, das Gesetz über die Überverschuldung wurde verabschiedet, die berufliche Invalidität neu geregelt, das RMG-Gesetz angepasst, das Kindergeld angehoben, die Heizkostenzulage eingeführt und dann verlängert und so weiter und so fort.
Schließlich wurde der Rententisch zu einem Abschluss gebracht. Dieser Rententisch war übrigens eine “Erfindung” des CSV-Mannes Juncker, er wurde unter der Präsidentschaft des DP-Mannes Wagner umgesetzt, unter Mithilfe des CSV-Mannes Frieden und der CSV-Frau Jacobs. Eine echte Teamarbeit, wie dies sich für eine Koalition gehört.
700 000 Einwohnerstaat: Weder Selbstzweck noch Ziel
L.J.: Teilen Sie übrigens die mitunter überspitzten Reaktionen in der von Premier J.-C. Juncker vom Zaun gebrochenen Debatte um den ominösen 700 000-Einwohnerstaat?
Jean-Louis-Schiltz: Die magische Zahl 700 000 wird von vielen überschätzt. Diese Zahl ist für meine Partei weder Selbstzweck noch Ziel. Es geht der CSV um eine geordnete und vertretbare Entwicklung des Landes. Dabei kommt dem Prinzip der Nachhaltigkeit eine besondere Bedeutung zu. Heute für morgen planen, darum geht es uns. Damit es sich in 20 oder 30 Jahren auch noch ordentlich in Luxemburg leben lässt. Es gilt das Land auf diese Herausforderungen vorzubereiten, insbesondere im Bereich der Infrastrukturen. Aber auch auf die Integrationspolitik muss speziell Wert gelegt werden.
L.J.: Und wie halten Sie es mit der Ausländerzuwanderung?
Jean-Louis Schiltz: Die Zuwanderung ist Teil dieser Integrationspolitik. Luxemburg ist seit langem ein Immigrationsland, und ich glaube wir können stolz sein auf die Integrationspolitik der letzten Jahrzehnte. Diese Politik war sehr erfolgreich, und dazu haben alle Einwohner des Landes ihren Beitrag geleistet.
Ich sehe keine Grund, warum wir diese erfolgreiche Integrationspolitik in den nächsten Jahrzehnten nicht fortsetzen könnten. Im Gegenteil. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist eine Idee, die ihren Weg macht. Ich bin davon überzeugt, dass sie kommen wird. Im Konsens. Die Möglichkeiten der Nicht-Luxemburger sich am politischen Leben zu beteiligen werden ausgebaut. Insbesondere bei den Gemeindewahlen. Auch für Nicht-EU-Ausländer. All diese Schritte und Initiativen tragen zur Integration bei.
Wachablösung 2003
L.J.: Anfang nächsten Jahres sollen auf einem CSV-Kongress wichtige personelle Entscheidungen fallen. Frau Hennicot-Schoepges wird als Vorsitzende abgelöst. Wer wird als ihr Nachfolger kandidieren?
Jean-Louis Schiltz: Frau Hennicot strebt in der Tat kein neues Mandat als Parteipräsidentin an. Statutarisch ist sie nach drei Mandatsperioden nicht mehr wiederwählbar. Es gehört in der CSV nicht zu den Gepflogenheiten die Statuten abzuändern um Kandidaturen, die statutarisch nicht mehr zulässig sind, dennoch möglich zu machen. Diese Wahlen finden jedoch erst im ersten Trimester 2003 statt. Es ist demnach verfrüht von konkreten Kandidaturen zu sprechen. Ganz davon abgesehen, dass ich der Meinung bin, dass es jedem Kandidaten zusteht seine Kandidatur selbst anzukündigen. Was das Profil anbelangt, so brauchen wir eine Frau oder einen Mann, die oder der die CSV zusammen mit Jean-Claude Juncker in die Wahlen 2004 führt.
L.J.: Sie selbst werden erneut für den Posten des Generalsekretärs kandidieren. Rechnen Sie mit einer Gegenkandidatur. Der vielleicht unter “üblichen Verdächtigen” von dem Ihnen ans Herz gewachsenen “Cercle Joseph Bech” auszumachen sein könnte?
Jean-Louis Schiltz: Ich stehe im Dienst meiner Partei und bin bereit dies auch weiterhin zu tun. Wenn die Partei dies wünscht. Auf jeden Fall hat mir die Arbeit als Generalsekretär, zusammen mit den Verantwortlichen aus den Bezirken und den Sektionen, in den letzten zweieinhalb Jahren viel Freude bereitet. Für den Rest ist jedes der fast 10 000 Parteimitglieder frei für einen zur Wahl stehenden Posten zu kandidieren. Ohne Druck. Ohne Zwang. Auch das macht eine Volkspartei aus.