Jean-Claude Juncker: “Für ein Europa der Bürger!”

Der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker hat in seiner Rede auf dem 15. Parteitag der CDU Deutschlands dazu aufgerufen, die europäische Einigung entschlossen fortzusetzen und die EU-Osterweiterung zügig voranzutreiben. Den Christdemokratischen Parteien falle hierbei eine besondere Rolle zu: “Europa wird besser gemacht von Christdemokraten”, sagte Juncker. Die Christdemokratischen Parteien würden kein Europa für Großkonzerne, sondern ein Europa für Mittelständler und Arbeitnehmer und damit ein “Europa der Bürger” schaffen, so Juncker weiter. Juncker würdigte in seiner Rede die Einführung des Euro als Meilenstein des europäischen Integrationsprozesses. Angesichts einer Reihe internationaler Finanzkrisen habe die gemeinsame europäische Währung ihre Stabilität bereits unter Beweis gestellt. Juncker erinnerte mit Adenauer, Schumann, de Gasperi und anderen an die Begründer der europäischen Einigung. Besonders hob er die Verdienste Helmut Kohls um Europa heraus.
Der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker hat in seiner Rede auf dem 15. Parteitag der CDU Deutschlands dazu aufgerufen, die europäische Einigung entschlossen fortzusetzen und die EU-Osterweiterung zügig voranzutreiben. Den Christdemokratischen Parteien falle hierbei eine besondere Rolle zu: “Europa wird besser gemacht von Christdemokraten”, sagte Juncker. Die Christdemokratischen Parteien würden kein Europa für Großkonzerne, sondern ein Europa für Mittelständler und Arbeitnehmer und damit ein “Europa der Bürger” schaffen, so Juncker weiter.

Juncker würdigte in seiner Rede die Einführung des Euro als Meilenstein des europäischen Integrationsprozesses. Angesichts einer Reihe internationaler Finanzkrisen habe die gemeinsame europäische Währung ihre Stabilität bereits unter Beweis gestellt. Juncker erinnerte mit Adenauer, Schumann, de Gasperi und anderen an die Begründer der europäischen Einigung. Besonders hob er die Verdienste Helmut Kohls um Europa heraus.

Lesen Sie an dieser Stelle die Rede von Jean-Claude Juncker

Rede von Premierminister Jean-Claude Juncker

am Bundesparteitag der CDU (17 Juni 2002)

Textfassung der frei gesprochenen Rede

(nur das gesprochene Wort gilt)

(…)

Ich gehöre zu den Exoten die denken, dass die deutsche Wiedervereinigung ein Glücksfall des Nachkriegseuropas und seiner Geschichte ist und ich lasse mich von dieser Meinung auch nicht abbringen. Wann immer ich zu einem Parteitag der CDU oder zu sonstigen Veranstaltungen in der Bundesrepublik abreise, tue ich das besonders gerne, wenn ich nicht aus Luxemburg in die Bundesrepublik fliege, sondern aus Moskau, aus Prag, aus Budapest, aus Warschau. Mich hindert nichts mehr an dieser Reise und darüber bin ich bleibend froh. (applaudissements) Und deshalb gehören meine Jahrgänge, frühere auch, folgende auf jeden Fall, zu den glücklichen europäischen Generationen. Dies verdanken wir auch Männern wie Helmut Kohl, dem ich im Namen der jungen Europäer Respekt und Dank sagen möchte. (applaudissements)

Wem verdanken wir dieses Europa? Selbstverständlich verdanken wir dieses Europa den Männern der ersten Stunde: Schumann, Adenauer, de Gasperi, Bech, viele andere die – kluge Staatsführer von damals – die Lektionen aus dem Zweiten Weltkrieg verstehen gelernt hatten. Wir verdanken es auch den Männern und den Frauen, die 1947 in Den Haag sich zum ersten europäischen Kongress trafen und die mit Winston Churchill, auf dem Höhepunkt seiner moralischen Macht und Autorität angekommen, zum Abschluss des Haager Treffens sagten, teils mit Resignation, teils mit Zittern in der Stimme, weil es nicht ging: Wir fangen jetzt im Westen an was wir eines Tages im Osten zu Ende führen werden. Jetzt dürfen wir es in Mittel- und Osteuropa zu Ende führen. (applaudissements)

Wir verdanken dieses Europa, das was wir heute haben, das was wir an Gestalten sind, vor allem den Männern und Frauen der Kriegsgeneration, die von den Schlachtfeldern noch rauchend zurückkehrten in ihre zerstörten Dörfer und Städte, die aus den Konzentrationslagern – man kann nicht sagen – zurückkamen, sondern zurückkrochen in ihre Heimat. Die hätten jeden Grund gehabt die Hände in den Schoss zu legen! Die hätten jeden Grund gehabt sich über dieses und jenes zu beklagen! Aber diese Generation – die Generation meines Vaters auch, der gegen seinen Willen deutscher Soldat im Zweiten Weltkrieg sein musste – die hat es angepackt. Und die Jüngeren sollten wissen: Wir sind nur die Erben derer, die zum ersten Mal in der europäischen Geschichte aus dem Satz Ernst machten: “Nie wieder Krieg”! Der Satz muss heilig bleiben! (applaudissements)

Die Lebensgeschichte und Lebenswege dieser Menschen zeigen im übrigen auch: Politik ist kein Spiel. Politik ist eine hochernste Sache und es stört mich schon, dass jetzt der als besonders klug gilt, der die Leute zum Lachen bringt. Ich sage ihnen, er wird sie auch zum weinen bringen. (applaudissements)

Spaß muss sein, aber Politiker sind besonders dann spaßglaubwürdig, wenn sie über sich selbst lachen. Wenn sie sich aber über die Probleme, die Sorgen, die Nöte, die Hoffnungen der Menschen, über ihre Ängste lustig machen, sich amüsieren, über das was wichtig ist, dann hört der Spaß auf. Die Spaßgesellschaft hört dort auf, wenn der Spaß in der Gesellschaft ankommt. Dies ist eine ernste Angelegenheit: über das Schicksal und über das Wachstum von Menschen, Völkern, Nationen, und Kontinenten bestimmen zu müssen. Das ist nicht zum lachen, das ist zum anpassen und zum anpacken. Schuhsohlen sind zum Laufen da, nicht zum Draufkritzeln! (applaudissements)

Wichtigster Meilenstein in den letzten zwanzig Jahren europäischer Geschichte war sonder jeden Zweifel die Einführung des Euros. Helmut Kohl und andere haben sich bleibende Verdienste um die Einheitswährung gemacht und damit um die Irreversibilität europäischer Einigung. Dramatisch ist, dass die Politik, die europäische, es nicht schafft zur Zeit den Menschen zur erklären wieso und weshalb die Einführung des Euros uns auch heute schon schützt. Was wäre geworden in Europa, welches Währungsdurcheinander wäre das unsrige gewesen, wenn wir nach dem Kosovokrieg, der erste Krieg im Nachkriegseuropa, während des Afghanistankrieges, nach dem 11 September, während der Finanzkrise in Südostasien, während der Finanzkrise in Russland, in Mexiko, jetzt in Argentinien, diesen Schutzschild des Euros nicht gehabt hätten? Das Gegeneinander Europäischer Währungen wäre von der Stunde Null an das einzige Gebot der Finanzmärkte und der spekulativen Gelder gewesen. So haben wir den Euro! (applaudissements)

Hätten wir den Euro nicht gehabt in den letzten vier, fünf Jahren, auch während der Vorbereitungszeit auf den Euro, diese Zielrichtung europäischer Währung nicht als die unsrige gehabt, alle in Europa, auch wir, wären heute deutlich ärmer als wir dies zur Zeit sind. Es muss an diesem Werk weitergearbeitet werden und wir kriegen ja jeden Tag Zulauf. Wenn ich mich noch an die Gründertage des Euro erinnere, an den Vertrag von Maastricht, 1991! Ich bin ja der einzige Überlebende dieses Vertrages. Der Theo Waigel hört ja jetzt auch auf. Wir haben diesen Vertrag unterschrieben. Ich bin der einzige sich noch im Amt befindliche Finanzminister. Damals waren wir relativ allein. Heute kann sich der Euro vor Spätberufenen nicht mehr wehren. Wenn meine Kirche so viele Spätberufene hätte wie der Euro, es gäbe, Herr Bischof, keinen Priestermangel! (applaudissements)

Auf diesem Euro-Weg, auf diesem europäischen Königsweg, müssen wir weitermachen. Es geht jetzt darum – Stichwort “Erweiterung” – mehrspurige Autobahnen in Richtung Zukunft anzulegen. Jeder muss wissen, jeder sollte es wissen, die Zeit für nationale Sonderwege ist vorbei. Wer nationale Sonderwege geht, der führt uns nicht per Autobahn in die Zukunft, sondern zurück auf die Landstrassen der dreißiger Jahre und dieser Rückmarsch muss verhindert werden. (applaudissements)

Die Menschen aus Ost- und Mitteleuropa gehören zu uns. Wir haben lange nach ihnen gerufen. Wenn sie jetzt an unsere Tür klopfen, dürfen wir nicht sagen “so war das nicht gemeint”, sondern wir müssen diese Türen und Tore öffnen. Ich sage dies auch in einer kritischen Grundstimmung, nicht nur in Deutschland sondern überall im diesbezüglich gesättigten Europa. Es war nicht die Schuld dieser Menschen, dass sie unter einem schrecklichem Dekret der Geschichte während fünfzig Jahren von unserem Teil Europas ausgesperrt waren. Warschau, Budapest, Sofia sind europäische Städte wie Frankfurt, Luxemburg und Berlin auch. (applaudissements) Und bei allem Verständnis dafür, dass Nettozahler wie Deutschland, wie Luxemburg und wie einige andere auch nicht bis zum Gehtnichtmehr belastbar sind. Wir dürfen nicht, obwohl es sie nicht mehr gibt, zu Pfennigfuchsern werden, wenn es um europäische Geschichte geht. Wenn es um europäische Geschichte geht, soll man Geschichtsbücher lesen, keine Meinungsumfragen. Geschichtsbücher sind gefragt. (applaudissements) Und allen skeptischen Nettozahlern sage ich: Zehn Stunden Krieg sind teurer als hundert Jahre Frieden in Europa. (applaudissements) Und damit Frieden in Europa bleibt, müssen wir zurückfinden zu den eigentlichen Ursprüngen europäischer Integration, auch zu eigenen Grundmechanismen europäischer Konstruktion.

Wir müssen auch wieder neu lernen dass Große und Kleine gemeinsam Europa schaffen müssen. Ich rede ja hier nicht für Luxemburg, ist ja per definitionem nicht klein weil es ein “Großherzogtum” ist. Ich rede für die kleinen Nachbarn Luxemburgs. Groß und Klein müssen zusammen “können”, sonst wird die Sache aus der Kurve getragen werden. Große müssen wissen, dass sie groß sind und Kleine wissen das ohnehin. Man braucht ihnen das nicht jeden Tag zu erklären. Grosse sind umso größer, je weniger sie die Kleinen klein machen. Die sind das ja schon. Man braucht das überhaupt nicht zu tun. (applaudissements) Denken sie immer an die Elementargrundkenntnisse – Pisa hin oder her – aus Brehms Tierleben: Ein Floh kann einen Löwen zum Rasen bringen. Bevor aber ein Löwe einen Floh verrückt macht, dauert es sehr lange. Daran sollten alle denken wenn es um Groß und Klein geht. (applaudissements)

Viele denen es zu schnell geht, plädieren jetzt dafür, eine Pause bei der europäischen Einigung einzulegen. Nein! Pausen darf es keine geben! Die Erweiterung nach Ost- und Mitteleuropa muss geleistet werden! Ich mag das Wort “Erweiterung” oder “Beitritt” nicht. Es geht hier um europäische Integration, die Wiedervereinigung des europäischen Kontinents. Da darf keine Pause gemacht werden. (applaudissements) Es darf auch keine Pause in dem Sinne gemacht werden, dass wir jetzt mit der Vertiefung der Europäischen Union Halt machen, dass wir wieder zurück ins Intergouvernmentale abrutschen, der Europäischen Union einen gewählten Präsidenten des Europäischen Rates vor die Nase stellen, aus dem Kreise ehemaliger selekter Mitglieder zu bestimmen. Nein! Nicht zurück ins Intergouvernmentale, sondern weiter machen mit der Vertiefung der Europäischen Union. Das muss die jetzige Generation tun. Die Erbengeneration, diejenigen die 2030, 2040 unsere europäischen Nationen regieren, unsere europäischen Gesellschaften animieren. Die wissen nicht, wenn es jetzt nicht gemacht wird, worum es in der Substanz eigentlich ging als dieses Abenteuer, das eine Erfolgsgeschichte war, anfing. 2030 dann wird jeder Premierminister in Europa von Hitler und Stalin so wenig wissen, wie ich heute von Clemenceau und von Wilhelm II. Ich vergleiche die beiden Paare nicht miteinander. Ich beschreibe den Weg historischer Distanzierung. Es muss jetzt gemacht werden, weil die, die nach uns kommen weder eigene Erfahrungen mit dem Schrecklichem in Europa haben, noch wissen sie aus der Erzählung ihrer Eltern wie es war und warum es gemacht werden müsste. Deshalb keine Pause sondern zügiger Fortschritt! (applaudissements)

Es geht darum Europa auch inhaltlich zu gestalten. Es geht ja nicht darum irgend eine Politik zu machen. Das gilt vor allem für uns als Christdemokraten. Wir müssen zeigen, dass wir nicht nur ein Europa für Konzerne, für Gelder, für Banken, für Macht anstreben. Nein, wir brauchen auch ein Europa für Mittelstände die wirtschaftliche Effizienz mit gesundem Menschenverstand zusammenbringen. Wir brauchen ein Europa für die Landwirte, für die Bauern, die man nicht im Regen stehen lassen darf als Christdemokrat, auch wenn alle andere versuchen sie in den Regen zu stellen. Wir brauchen ein Europa für die Arbeitnehmer. Wo steht denn geschrieben, dass man Sozialist und Sozialdemokrat sein muss um sich für das soziale Europa verwenden zu können? Wo steht denn das? (applaudissements)

Ich war ja einige Zeit lang die einzige schwarze Maus in Europa, gemeinsam mit unserem Freund José Maria Aznar. Wir konnten unsere Besprechungen in den kleinsten aller denkbaren Vorzimmer, nämlich auf der Toilette abhalten wenn die Christdemokraten in Europa zusammentrafen. Wir haben damals nicht darunter gelitten, dass Sozialisten und Sozialdemokraten uns erklärten, jetzt würde Europa rot werden. Wir haben es nur nicht geglaubt und wir waren ja nicht die einzigen die es nicht geglaubt haben. Inzwischen gibt es Millionen von Menschen, die nicht an dieses Europa glauben. Wir sind auch nicht diejenigen, die sagen, jetzt wird alles schwarz, weil wir Europa nicht dominieren möchten. Europa ist eine gemeinsame Sache von allen politischen Grundströmungen und Familien in Europa. Aber wir sagen Europa wird jetzt besser gemacht, wird integraler gemacht, wird zügiger von der Stelle gebracht als dies in den letzten Jahren der Fall war. (applaudissements)

Wir müssen mit dem Europa der Bürger Ernst machen. Die Menschen glauben uns vieles nicht mehr, sind auch nicht mehr von der Kriegs- und Friedensthematik zu bewegen. Sehr zu unrecht, weil darum geht es immer noch. Wir müssen den Menschen zeigen, dass der Nationalstaat an seine Grenzen gestoßen ist, dass wir, um die grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen, die internationale Wirtschaftskriminalität, um die internationale Drogen und Menschenhandeln zu bekämpfen, die Staaten der Europäischen Union den Schulterschluss üben müssen. Nicht die Gangster dürfen Europa beherrschen, sondern die, die zum Kampf gegen das Verbrechen angetreten sind. (applaudissements) Mein Eindruck ist, dass immer mehr Menschen verstehen, dass man nicht Sozialist, Sozialdemokrat sein muss, um das soziale Europa gestalten zu können. Dass man als Christdemokrat feststehend auf dem Boden historischer Leistungen auch die europäische Zukunft gewinnen kann. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass in vielen Staaten Europas den Sozialisten und Sozialdemokraten die rote Karte gezeigt wird. Viele sind eigentlich damit beschäftigt den nächsten Boxenstop für die Sozialisten und Sozialdemokraten vorzubereiten. Das find ich auch gut so. Die Genossen in die Boxen und die Christdemokraten auf die Piste damit die Menschen ans Ziel kommen wie auch hier. (applaudissements)