Die Abgeordnetenkammer hat letzten Dienstag die Schaffung einer Spezialkommission beschlossen, um das administrative und politische Umfeld der sogenannten “Kralowetz-Affäre” eingehend zu analysieren und offen zu legen, wie es zu dieser Affäre kommen konnte. Kurz davor hatte die Ratskammer des Appellationshof in Luxemburg beschlossen, gegen einen ehemaligen führenden Beamten des Transportministeriums einen Strafprozess wegen Korruptionsverdacht einzuleiten. Der Gegenstand dieses Prozesses wird von den Arbeiten der Spezialkommission nicht berührt: das rechtsstaatliche Prinzip der Gewaltentrennung gebietet, dass Gesetzgeber und Regierung nicht in einen laufenden Gerichtsprozess eingreifen. Solange der besagte Prozess also nicht abgeschlossen ist, steht dem Parlament die Behandlung jener Tatbestände, mit denen ein Gericht befasst ist, nicht zu.
Die übergroße Mehrheit der Präsidentenkonferenz der Abgeordnetenkammer ist davon ausgegangen, dass das Parlament im Rahmen der beschriebenen Problematik eine politische Aufgabe zu erfüllen hat: der Gesetzgeber muss hier seine in der Verfassung verbriefte Kontrollfunktion wahrnehmen, die ihn dazu befähigt und verpflichtet, Unregelmäßigkeiten im Verwaltungsapparat zu überprüfen, gegebenenfalls die politische Verantwortung für solche Unregelmäßigkeiten zu bestimmen und Verbesserungsvorschläge zu formulieren. Genau dies wird die aufgrund einer Beschlussvorlage von CSV und DP eingesetzte Spezialkommission tun. Diese Auffassung der Mehrheitsparteien wird in diesem Fall von der LSAP und den Grünen geteilt. Das ADR war allerdings fundamental anderer Ansicht: nach dem Dafürhalten des Aktionskomitees hätte das Parlament einen Untersuchungsausschuss einsetzen müssen.
Ein solcher Ausschuss verfügt über die Befugnisse eines Untersuchungsrichters, Zeugen sagen unter Eid aus, Meineid wird nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs bestraft. Der einzige Unterschied zu einem gerichtlichen Strafprozess besteht darin, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss keine Strafe verhängen kann, sondern seine Erkenntnisse dem Staatsanwalt übermittelt, der weitere Schritte in die Wege leiten kann. Durch die Schaffung eines Untersuchungsausschusses hätte das Parlament also einen Parallelprozess in Gang gesetzt und die Tätigkeit der Judikative untergraben: eine derartige Vorgehensweise ist, wie bereits eingangs ausgeführt, rechtsstaatlich nicht vertretbar. Doch dies kümmert das ADR wenig.
Die schriftlichen und verbalen Ergüsse des ADR in dieser Sache, denen zufolge der Luxemburger Justiz das Vertrauen entzogen werden müsste, sind von einer Leichtsinnigkeit und einer unverhohlenen Verachtung rechtsstaatlicher Prinzipien geprägt, die an Parteiführer vom Schlage eines Le Pen, Haider oder Bossi erinnern.
All diesen Politikern und ihren Parteien entgeht die elementare Sorge um eine gewisse Ausdruckshygiene: was gesagt wird, muss sich lediglich von den Aussagen der traditionellen Parteien unterscheiden. Im Kontext der Kralowetz-Affäre schreckt das ADR nicht davor zurück, die Justiz als ein reines Machtverlängerungsinstrument der aktuellen und gewesenen Regierungsparteien zu bezeichnen. Das Komitee betrachtet die unabhängige luxemburgische Justiz als eine wesenhaft politische Veranstaltung, die den Zwecken der Mächtigen dient. Niemand, keine Partei und keine andere politische Gruppierung, hat sich in den letzten Jahrzehnten zu ähnlich gravierenden und verfassungsfeindlichen Tiraden verstiegen.
Der ADR-Ausfall im Zusammenhang mit der Transport-Spezialkommission ist nach den erfundenen “Valiss”-Vorwürfen der zweite unwiderlegbare Beweis dafür, dass es den Rentenpopulisten um nichts anderes geht, als den Weg in einen anderen Staat vorzuzeichnen. In einen Staat, in dem feiges Denunziantentum rechtsstaatliche Prinzipien ersetzt, und die Ehre von Menschen, von Politikern, Richtern und Beamten, auf dem Altar der vermeintlichen Volksgefälligkeit geopfert wird. Doch dieser andere Staat, den führende ADR-Politiker herbeizuführen trachten, wird solange nicht entstehen, wie die Abgeordneten noch den Eid auf die Verfassung leisten. Das haben jene des ADR übrigens auch getan…
Lucien Weiler Präsident der CSV-Fraktion