“Mit Vorsicht und Weitsicht in die Zukunft investieren” – Luxemburger Wort Interview mit dem CSV-Abgeordneten und Budgetberichterstatter Claude Wiseler – Luxemburger Wort: “Welche Aspekte prägen neben der Steuerreform im Wesentlichen den Staatshaushalt 2002?” Claude Wiseler: “Erst einmal bleibt hervorzuheben, dass der Haushalt für 2002 trotz der Steuerreform, die mit Mindereinnahmen für den Staat einhergeht, ausgeglichen ist und keine Neuverschuldung erfordert; ausserdem bleibt die Finanzkapazität des Staates intakt.
Eine der wichtigsten Charakteristiken ist mit Sicherheit das Investitionsvolumen, mit zwölf Prozent der Ausgaben das höchste in der Geschichte des Landes. Hier werden über direkte Investitionen bzw. durch die Speisung der Investitions-Fonds die Prioritäten definiert, mit deren Umsetzung die Zukunft des Landes vorbereitet wird.”
LW: Kann diese hohe Investitionsquote nicht auch dahingehend interpretiert werden, dass in manchen Feldern – Strassen -und Wohnungsbau, Schulinfrastrukturen – Nachholbedarf besteht? C. Wiseler: Sicherlich kann die Frage der Verteilung der Ausgaben aufgeworfen werden. Man sollte die wirtschaftliche Situation zum Ende der 80er Jahre jedoch nicht verkennen, als die Perspektive einer derart raschen Entwicklung nicht gegeben war. Ab Mitte der 90er Jahre wurde dann eine Reihe größerer Projekte in Angriff genommen, ohne dass mit der ökonomischen Entwicklung Schritt gehalten werden konnte – nicht zuletzt auf Grund der enorm langen Fristen, die hier zu Lande zwischen der Zustimmung zu einem Bauvorhaben und seiner Realisierung verstreichen.
LW: Ein Allheilmittel gegen die langen Fristen gibt es nicht? C. Wiseler: Nein, denn die vorgeschriebenen Prozeduren sind notwendig und verständlich. Es drängt sich meines Erachtens aber auf, dass sie einmal grundlegend durchforstet werden.
LW: In Ihrem Bericht weisen Sie auf die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Diversifizierung hin.
Trägt der Etatentwurf 2002 diesem Faktor Rechnung? C. Wiseler: Es sei daran erinnert, dass wir einen starken Finanzplatz wollen und auch dahingehend die Weichen gestellt haben, z.B. im legislativen Bereich. Klar ist aber auch, dass Luxemburg, wie im Übrigen jedes Land, darum bemüht sein muss, seine Wirtschaft zu diversifizieren. Dies geschieht im Budget beispielsweise durch zusätzliche Investitionen in die Forschungs- und Hochschulpolitik.
Dabei soll im Besonderen die Zusammenarbeit mit den Unternehmen gefördert und Synergien geschaffen werden. Ein anderes Beispiel ist der Mediensektor, wo in rezenter Vergangenheit erhebliche Bemühungen erfolgten, um die Attraktivität des Großherzogtums zu steigern.
Schließlich sollte das Steuerpaket nicht vergessen werden, das den Unternehmen ab dem 1. Januar 2002 neue Perspektiven eröffnet.
LW: Stichwort Nachhaltigkeit: Wo werden im Budget Akzente gesetzt, um diesem politischen Modewort einen Inhalt zu verleihen? C. Wiseler: Die nachhaltige Entwicklung ist eines der Grundelemente der heutigen Politik, das sich wie ein roter Faden durch die Ressorts ziehen soll. Es zielt darauf hinaus, dass die gegenwärtigen Entscheidungen den Alltag der kommenden Generationen nicht beeinträchtigen.
Die Umweltpolitik mit der Bezuschussung von alternativen Energiequellen bzw.
Energiesparmassnahmen, die Transportpolitik mit der großzügigen Speisung der Investitions-Fonds oder die Wohnungsbaupolitik sind konkrete Aspekte einer nachhaltigen Politik. Ein treffendes Beispiel bietet auch die Landesplanung, wo Innenminister Wolter die Neunutzung des “Terres Rouges”-Geländes zielstrebig und gewissenhaft vorantreibt.
LW: Welt- und europaweit schwächelt die Wirtschaft, nicht zuletzt infolge der Ereignisse des 11.
September. Liegt die Regierung richtig, wenn sie an den im Sommer definierten Eckdaten des Budgets festhält? C. Wiseler: Bei der Aufstellung des nächstjährigen Etats ging die Regierung von einem Wachstum von 5,3 Prozent aus. Mittlerweile wurde dieser Wert nach unten korrigiert; auch wird sich der prognostizierte Aufschwung wohl um ein Jahr verzögern. Ich denke aber, dass die Regierung richtig liegt, an den Eckdaten festzuhalten. Angesichts der Wachstumsangaben, die derzeit kursieren, ist es generell schwer, sich auf einen Wert festzulegen und daraufhin Prognosen aufzustellen.
Auch ist es für Luxemburg realistischer, mittelfristig zu planen; ab 2003 wird das Wachstum höher liegen, als wenn nur der Ist-Zustand in Betracht gezogen wird. Und vom Standpunkt der Ausgaben wäre es augenblicklich das falsche Signal, Einsparungen vorzunehmen. Indem das Ausgabenniveau – hauptsächlich bei öffentlichen Investitionen – beibehalten wird, erhält die Wirtschaft die nötige Sauerstoffzufuhr.
LW: Bleiben die Steuermaßnahmen denn aus der Warte des Staates auch jetzt verkraft- und vertretbar? C. Wiseler: Der Augenblick ist absolut opportun. Durch die zusätzlichen Steuerermäßigungen bleibt dem Konsumenten mehr Geld; die Kaufkraft bleibt erhalten und die wirtschaftliche Flaute wird abgefedert. Es zeigt sich alles in allem auch, dass die vorausschauende Budget- und Finanzpolitik der vergangenen 10, 15 Jahre richtig war.
LW: Zu welchen Punkten erwarten Sie sich Kritik aus den Reihen der Opposition? C. Wiseler: Von sozialistischer Seite wurde die Steuerpolitik ja bereits kritisiert – ohne dass dabei jedoch die Fundamente der Finanz- und Fiskalpolitik in der Kritik standen. Die zahlreichen Unterredungen, die ich in den vergangenen Wochen geführt habe, haben denn auch gezeigt, dass es an der budgetären Ausrichtung nicht viel auszusetzen gibt. Punktuelle Kritik wird es kommende Woche sicherlich geben, was aber letztlich Teil der politischen Auseinandersetzung ist.
LW: Und welche Botschaft wollen Sie Regierung und Parlament heute mit auf den Weg geben? C. Wiseler: Geld ausgeben, um in die Zukunft zu investieren, ist ein Teil einer vorsichtigen und weitsichtigen Budgetpolitik. Man darf nicht außer Acht lassen, dass Luxemburg als kleines Land besonders anfällig ist für Ereignisse der Weltkonjunktur und dass wirtschaftliches Wachstum keine Selbstverständlichkeit ist. Deshalb ist es wichtig, Reserven anzulegen und die Investitions-Fonds zu speisen. So können magere Zeiten ohne Einbrüche überbrückt werden.
Wesentlich ist, dass sich die Politik in Luxemburg der zweifachen Herausforderungen stellt: einerseits das jetzige Wachstum meistern und verstehen, damit umzugehen; andererseits wissen, dass es in diesem Rhythmus nicht unbedingt weitergehen muss, und im Moment einer wirtschaftlichen Verlangsamung gewappnet sein.
Das Gespräch führte Marc Schlammes Luxemburger Wort 4.12.2001