Gesellschaftspolitische Themen sind in. Neue Formen des Zusammenlebens und Euthanasie, das sind die zentralen Fragen, die in der Politik und weit darüber hinaus die Gemüter bewegen, die Kontroversen in Zeitungsspalten und vor laufender Kamera provozieren.
Doch Gesellschaftspolitik ist mehr. Viel mehr.
Wer eine wirklich umfassende gesellschaftspolitische Debatte starten möchte, muss sich auch anderen wichtigen Fragen unserer Zeit stellen. Zum Beispiel im Bereich der Biotechnologien. Das ist eine Domäne, die wie keine andere von neuen, wirklich bahnbrechenden Entdeckungen geprägt ist. Entdeckungen, bei denen es sozusagen ans Eingemachte geht, weil sie den Menschen direkt betreffen. Und genau diese Entdeckungen brauchen einen angepassten politischen und juristischen Rahmen.
Die Politik darf nicht tatenlos zusehen, wenn an Embryonen herumgeforscht und am menschlichen Erbgut gebastelt wird. Und damit wären wir bei einem Thema, das aktueller nicht sein könnte.
Auch in Luxemburg. Gemeint ist die europäische Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen – kurz Biopatent-Richtlinie genannt.
Die besagte Direktive, die von den Mitgliedsstaaten eigentlich bis zum 30. Juli 2000 hätte umgesetzt werden müssen, gewährleistet einen relativ breiten und industriefreundlichen Rechtsschutz für biotechnologische Erfindungen auf europäischer Ebene. Ausgeschlossen sind (zum Glück) Verfahren zum Klonen von Menschen sowie die Verwendung menschlicher Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken.
Die Richtlinie ist also kein Freifahrtschein. Und doch. In einem höchst sensiblen Bereich muss man den Anfängen wehren. Und um das zu tun, muss man “en connaissance de cause” handeln.
Gerade dort liegt das Problem.
Zu dem Zeitpunkt, da die Biopatent-Richtlinie ausgearbeitet wurde – vor fast vier Jahren – war der allgemeine Wissensstand ein ganz anderer als heute. Was damals als Zukunftsmusik galt, ist heute bereits eingetreten. Oder gar gängige Praxis. Mittlerweile wurde das menschliche Genom entschlüsselt. Ein großer Schritt für die Menschheit. Doch was, wenn das Wissen über die Bausteine des Lebens in die falschen Hände gerät? Kaum auszudenken.
Es bedarf also adäquater Schutzbestimmungen. Und eben solche Regelungen werden zu Recht von Kirchenverbänden und Umweltschutzorganisationen gefordert. Aus diesem Ruf nach möglichst großem Schutz ergibt sich auch die Forderung nach einer Überarbeitung der Biopatent-Richtlinie.
Es wird angemahnt, die Direktive vorerst nicht in nationales Recht umzusetzen. Übrigens haben Deutschland, Frankreich und andere Staaten das ebenfalls noch nicht getan.
Die warnende Haltung in Sachen Biopatente ist einleuchtend, und gibt auch denen zu denken, die sich in Luxemburg politisch für die besagte Richtlinie vor den Wählern verantworten müssen. Ein erster Schritt im Sinne verantwortungsbewussten Handelns in biotechnologischen Fragen war das Einschalten der nationalen Ethikkommission. Sie soll dem parlamentarischen Ethikausschuss, der sich mit der Biopatent-Richtlinie beschäftigt, beratend zur Seite stehen. Noch vor dem Sommer könnte ein Gutachten vorliegen.
Und wenn es dann Einwände geben sollte, vor allem ethischer Art, sollte man nicht auf einen gesetzgeberischen Kraftakt pochen. Nein, wenn es Einwände gibt, muss man diese auch ernst nehmen. Denn wehe dem, der die Büchse der Pandora aufmacht…..
Jean-Louis Schiltz (Lëtzebuerg Land : Zu Gast im Land)