Wenn mich jemand fragen würde, welche Partei ich mir wünsche, so würde ich ihm antworten, dass es eine Partei sein soll, die Brücken in der Gesellschaft baut, statt Gräben zu ziehen.
Zugegeben, das klingt geradezu banal. Wer aber diese Idee durchdenkt, findet im Brückenbau eine fruchtbare Metapher für ein politisches Urverständnis und einen hilfreichen Maßstab für die politische Praxis.
Familienministerin Marie-Josée Jacobs und das Parlament bereiten derzeit eine Orientierungsdebatte über die “exclusion sociale” vor. Kommunikationsminister François Biltgen warnt vor einem “digital divide”, wenn wir es nicht schaffen sollten, mehr Menschen an die Informationsgesellschaft anzuschließen als von ihr auszuschließen. Innenminister Michel Wolter weiß um die Grenzen des Ehrenamtes, gerade in Bezug auf die lokalen Hilfs- und Rettungsdienste. Hochschulministerin Erna Hennicot-Schoepges sieht die Notwendigkeit für unser Land, sich nicht von den Entwicklungen im IT- und Forschungsbereich abhängen zu lassen. Dafür ist die Schaffung von technisch-wissenschaftlichem Know-how Voraussetzung.
Gerade im kleinen Luxemburg, wo die Wirtschaft boomt, jährlich Tausende von Jobs entstehen und die Bevölkerung ständig wächst – im Jahr 2000 stieg die Einwohnerzahl auf 441.300, darunter 3.644 Personen, die in Luxemburg eine neue, zeitweilige oder dauerhafte Wohnstätte gefunden haben – müssen wir aufpassen, dass die Gesellschaft nicht auseinander fällt. Die Gräben, die sich auftun, dürfen uns nicht egal sein. Wir müssen daher Brücken bauen.
? Brücken zwischen den Generationen
Wir brauchen den Rentenkonsens. Vor allem, damit wir uns endlich mal um andere wichtige Zukunftsprobleme kümmern können. Und wir brauchen den Rentenfrieden. Doch den Frieden mit den Stehengelassenen bisheriger Rentenpolitik – vor allem Frauen – wird es nicht zum Nulltarif geben. Dabei können wir uns weder einen Reservenklau noch eine Rentenhypothek für die nachkommenden Generationen leisten. Und wir werden weiterhin eine gesetzliche Rentenversicherung auf hohem Niveau benötigen, weil nicht jeder groß privat vorsorgen kann – allen liberalen Unkenrufen zum Trotz! Die CSJ-Kampagne “Mir loosse kee sëtzen” hat aber auch gezeigt, dass wir Minderjährige als Rechtssubjekte ernst nehmen und auf die volle Umsetzung und Anwendung der UN- Kinderrechtskonvention drängen müssen. Doch neue Gesetze im Kinder- und Jugend(schutz)bereich wirken nur, wenn sie von neuen Mentalitäten getragen werden.
? Brücken zu den Nicht-Luxemburgern
49 Prozent der Neugeborenen hierzulande sind nicht-luxemburgischer Abstammung. In Zukunft werden es eher noch mehr werden. Ihnen den Zugang zur Luxemburger Nationalität zu erleichtern ist eine Sache, im Alltag der Pluralität gerecht zu werden und gut miteinander auszukommen eine andere, ebenso wichtige wie notwendige.
Der Vorschlag von Innenminister Michel Wolter, Menschen aus Drittstaaten ebenfalls zu den Kommunalwahlen zuzulassen, begrüßen wir ausdrücklich. In den kommenden Jahren brauchen wir weniger Integrationsformalismus (Ausländerkommissionen, Wahlbeteiligung) und mehr wirksame Instrumente, die Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenführen und integrieren: in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Freizeit. Die Förderung des “Lëtzebuergeschen” im Alltag gewinnt dabei zusehends an Bedeutung.
Die Ausländerpolitik ist ebenso wenig eine Einbahnstraße wie die Flüchtlingspolitik. Die Regularisierung der “sans-papiers” stellt eine wichtige Brücke für die betroffenen Familien dar. In der Flüchtlingsfrage ist das Parlament den Vorschlägen von Justizminister Luc Frieden gefolgt und hat so manchen Graben in der Diskussion geebnet. Es ist gut, dass die Angst vor “Überschwemmung” allmählich dem Realismus der Integrationsfähigkeit weicht.
? Brücken in die Zukunft:
Die Informationsgesellschaft zieht alles und jeden in ihren Bann. Auch hier müssen alle mitkommen können. Wie in anderen Bereichen gilt es, die Informationsgesellschaft an die Menschen und nicht die Menschen an die Informationsmaschinen anzupassen. Der Zugang zu öffentlichen Computerpools muss flächendeckend ermöglicht werden.
In die Zukunft ausgerichtet ist auch die Hochschulpolitik, die wir in Luxemburg nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen entwickeln müssen. Ein Land mit mehr Studenten aus dem In- und Ausland wird ein neues Gesicht bekommen. Wer Brücken in die Zukunft schlagen will, wird mehr in Köpfe und Können als in Maschinen und Beton investieren müssen.
? Brücken zwischen allen Landesteilen
Eine gleichgewichtige Landesplanung bleibt die Voraussetzung für sozialen Zusammenhalt. Ein Blick auf die Landkarte der Einkommensverteilung genügt: Schlusslichter in der 98-er Einkommensskala des CEPS waren Esch/Alzette, Clerf/Vianden und Wiltz. Die Saarautobahn, die Nordstraße und die neu genutzten Industriebrachen werden bestehenden Schieflagen entgegenwirken. Doch sind wir noch nicht am Ende des Tunnels angelangt. Gerade die Industriebrachen in der Minetteregion haben gezeigt, dass dem Staat eine Initiativrolle in Sachen Revitalisierung nicht genutzter Wirtschaftsflächen, Dezentralisierung und regionale Schwerpunktbestimmung zukommt.
? Brücken in der Bürgergesellschaft
Ehrenamtliche Tätigkeit, Freiwilligen- und Bürgerarbeit baut Brücken zwischen den Bürgern. Die beherzten Akteure der Nicht-Regierungsorganisationen (ONGs) sind neue, fordernde Partner in der politischen Arena. Sie können, sollen, müssen beim Brückenbau mithelfen, ob in der Frauen- und Gleichstellungspolitik, der Bildungspolitik oder in der Entwicklungs- und Ausländerpolitik. Aber auch in der Wirtschaftspolitik und im Verbraucherschutz.
? Brücken weit über Europa hinaus
Wir müssen die Brücken zu den Menschen in anderen Ländern und Erdteilen weiterbauen. Großzügige Entwicklungshilfe und die Teilnahme an Missionen zur Friedenssicherung in anderen Regionen der Welt sind hierfür ein starker Ausdruck. Wünschenswert ist es, dass auch menschliche Brücken entstehen. Im “global village” sollte jeder Jugendliche aus Luxemburg durch Auslandsaufenthalte und internationalen Austausch die Möglichkeit erhalten, andere, außereuropäische Kulturen kennen zu lernen.
Gesellschaftliche Integration und sozialen Zusammenhalt gibt es nicht zum Nulltarif. Sie erfordern nicht nur finanzielle Kosten, sondern auch politischen Einsatz. Keine Partei hat ein Monopol auf das Thema Integration. Einige Parteien aber strafen es als politischen Ladenhüter ab, sie propagieren Inseln der Gruppenegoismen oder wollen politisches Kapital aus den gesellschaftlichen Gräben und Frontenstellungen schlagen. Bei allen Forderungen, die in nächster Zeit – nicht nur an Rententischen – erhoben werden, müssen wir uns die Frage stellen, ob sie bestehende Gräben verwischen, vertiefen oder überwinden helfen.
Die CSJ wird die CSV dabei unterstützen, wo immer sie Brücken baut.
Charel Schmit CSJ-Nationalpräsident