Erna Hennicot-Schoepges: “Glaubwürdigkeit und Kohärenz”
In der Wahrnehmung vieler Bürger reduziert sich Politik zusehends auf plakative, möglichst medienwirksame Kurzaussagen.
Das eigentliche Wesen der Politik rückt dabei in den Hintergrund. Fragen wie die Zukunftsgestaltung der Gesellschaft, die Organisation des Zusammenlebens in ihr und die Definition der dazu notwendigen Werte und Normen werden zusehends zweitrangig. Die Wahrnehmung unseres politischen Systems gerät jedoch in eine besorgniserregende Schieflage, wenn einige wenige Modebegriffe und deren telegene Präsentation wichtiger werden als die Darstellung von politischen Inhalten.
Das Benutzen von einigen einprägsamen politischen Schlagwörtern hat sicherlich im Rahmen der (partei)politischen Ueberzeugungsarbeit eine gewisse Daseinsberechtigung. Doch dies ist nur ein kleiner Teil der politischen Arbeit. Politik ist vor allem die Notwendigkeit zu verantwortungsbewussten Entscheidungen. Politik bedeutet verbindliche Festlegungen vorzunehmen, die, obwohl sie bei einem Teil der Bevölkerung möglicherweise unpopulär sind, doch zur Sicherung der Zukunft erfolgen müssen.
Das Risiko bei Entscheidungen möglicherweise Popularitätsverluste hinzunehmen, gehört zur politischen Verantwortung. Es ist aber auch gleichzeitig ein Teil der Herausforderung, vor die sich Parteien und Politiker gestellt sehen, denn auch unpopuläre Maßnahmen müssen im Dialog erläutert werden. Die Bereitschaft zu diesem Risiko trägt wesentlich zur Glaubwürdigkeit der Politik und ihrer Akteure bei und ist mitausschlaggebend für deren Akzeptanz. Die Reduzierung von politischen Stellungnahmen und Forderungen auf einige Begriffe, deren Unverbindlichkeit derart ist, dass sich niemand an ihnen stößt und dass sich niemand durch ihren Gebrauch in seinem Besitzstand bedroht fühlt, gefährdet diese Akzeptanz.
Wer als Politiker in ein Amt gewählt wird, kommt an Entscheidungen nicht vorbei. Das Verantwortungsbewusstsein und die Glaubwürdigkeit jedes Politikers spiegelt sich in seiner Entscheidungsfähigkeit wieder. Ernsthafte politische Arbeit bedeutet – auch bei möglicher Kritik und Ablehnung – zu kontroversen Entscheidungen zu stehen. Die Ueberzeugungsarbeit der Parteien, die Selbstpräsentation ihrer Vertreter kann daher nicht zugunsten einiger griffiger Politparolen völlig von den eigentlichen politischen Fragestellungen getrennt werden. Eine solche Trennung stellt eine Augenwischerei dar, auf die ein böses Erwachen folgt.
Die Leidtragenden dabei sind an erster Stelle die Bürger. Sie sehen sich plötzlich mit Entscheidungen konfrontiert, die sie als negativ empfinden; deren Notwendigkeit ihnen jedoch erst ab einem bestimmten Moment berichtet und dargelegt wird. Nicht zu Unrecht können sie den Zeitpunkt, wo ihnen sozusagen reiner Wein eingeschenkt wird, als reichlich spät empfinden. Plötzlich ist von Notwendigkeiten und Zwängen die Rede, wo es vorher mittels Allerweltsparolen jedem Recht gemacht werden konnte. Dass bei einem solchen Verhalten von politischen Akteuren viele Bürger das Bewusstsein entwickeln, getäuscht zu werden, liegt auf der Hand.
Leidtragender ist ebenfalls die Politik. Sie erleidet einen Glaubwürdigkeitsverlust, der den Nährboden für Politikverdrossenheit bereitet. Neben einem Entscheidungsbewusstsein, das mögliche Kritik und Ablehnung konstruktiv einzubinden weiss, gehört es daher auch zur politischen Verantwortung seine Vorstellungen über die politische Zukunftsgestaltung von Anfang an deutlich und offen darzulegen.
Es ist in der Verantwortung der Parteien, zu jedem Zeitpunkt eine klare Sprache zu benutzen, ihre Ziele deutlich darzulegen und die Wege dorthin möglichst genau zu beschreiben. Die Kohärenz zwischen Forderungen und Entscheidungen muss erkennbar bleiben.
In der Verantwortung der Bürger, die sich bewusst sind, dass am Erhalt und am Ausbau unserer demokratischen, pluralistischen und partizipativen Gesellschaft ständig gearbeitet werden muss, liegt es, die dementsprechende Kontrollfunktion auszuüben. Sie haben das Recht, politische Inhalte vor dem Hintergrund früherer Aussagen zu prüfen.
Wer das als Angriff empfinden würde, stände wenig glaubwürdig da.
Erna Hennicot-Schoepges CSV-Parteipräsidentin