Ein Artikel aus der Zeitung “Oberösterreichische Nachrichten” über die Luxemburger Ratspräsidentschaft und die Hauptaufgaben.
Kaum hat man sich an ein Gesicht gewöhnt und einen Namen gemerkt, ist schon wieder ein anderer da: Seit Jahresbeginn ist Jean-Claude Juncker der oberste Chef der EU. Der luxemburgische Regierungschef wird in den nächsten sechs Monaten aber nicht nur die Geschicke der EU leiten, er ist zugleich für zwei Jahre Präsident der Euro-Finanzministergruppe.
Das winzige Großherzogtum Luxemburg gehörte zu den Gründungsmitgliedern der EU und Jean-Claude Juncker bringt dementsprechend viel Europa-Erfahrung mit. Aber mehr noch: Der 50-Jährige feiert im kommenden Frühjahr sein zehntes Amtsjubiläum und ist damit der dienstälteste Regierungschef in der EU. Der sprachgewandte Juncker ist allgemein beliebt, weil er Kompromisse schließen kann, auch wenn er manchmal mit seinem nuschelnden Tonfall etwas knurrig wirkt.
Die Flutkatastrophe in Südasien hat Juncker eine Menge zusätzlicher Arbeit bereitet. Unter anderem muss der Christdemokrat sich um die Koordinierung der EU-Hilfe für die Opfer der Flutkatastrophe kümmern. Am Freitag hat Juncker seinen ersten öffentlichen Auftritt. Beim Sondergipfel der Entwicklungshilfeminister der 25 EU-Staaten, sollen die Einzelheiten für den langfristigen Wiederaufbau festgelegt werden.
Doch Junckers Hauptaufgabe werden die heiklen Finanzfragen sein. Als neuer Ratsvorsitzender will er im Frühjahr den Stabilitätspakt reformieren, der im Vorjahr für heftigen Streit zwischen der EU-Kommission und den Defizitsündern Deutschland und Frankreich gesorgt hatte. “Was wir brauchen, ist ein Pakt, der in den fetten Jahren stärker greift und in mageren Zeiten den Regierungen mehr Spielraum gibt”, will Juncker künftig auch “den EU-Nettobeitrag eines Landes in Rechnung stellen”.
Besonderes Fingerspitzengefühl wird, der aus einfachen Verhältnissen stammende Jurist, auch für die EU-Haushaltsplanung für die Jahre bis 2013 benötigen, wo er bis Juni einen Kompromiss zwischen Geber- und Empfängerländern finden muss. Für die nächste Runde der EU-Erweiterung mit Bulgarien, Rumänien und Kroatien, wird Juncker ebenfalls noch viel verhandeln müssen.
In Brüssel wird vermutet, dass Juncker die nächsten sechs Monate vor allem als Empfehlung für höhere Weihen nutzen möchte. Er gilt als aussichtsreicher Kandidat für das neue Amt des EU-Präsidenten, den die künftige EU-Verfassung vorsieht.
Aus der Zeitung “Oberösterreichische Nachrichten” vom 04.01.2005