Ehrenamtliches Engagement: eine gesellschaftlich wertvolle Arbeit

Interview mit Familienministerin Marie-Josee Jacobs

forum: Frau Jacobs, Sie sind die zuständige Ministerin für ehrenamtliche Arbeit. Warum glaubt die Politik, ehrenamtliches Engagement kanalisieren zu müssen!

Marie-Josee Jacobs: Das Ehrenamt nimmt in unserer Gesellschaft wichtige soziale Aufgaben wahr. Aufgrund der 2001 im Rahmen des Internationalen Jahres des Ehrenamtes vom Familienministerium organisierten Aktivitäten wurde ersichtlich, dass dem Ehrenamt in Luxemburg die nötigen Rahmenbedingungen für eine von allen Parteien gewünschte Entwicklung fehlten. Ferner war festzustellen, dass zahlreiche unserer ausländischen Mitbürger nur begrenzt Zugang zu Informationen betreffend das luxemburgische Vereinsleben hatten.

Aus diesen Gründen hat die Regierung 2002 den Conseil superieur du benevolat und 2003 die Agence du benevolat ins Leben gerufen. Der Oberste Rat ist ein die Regierung in Fragen des Ehrenamtes beratendes unabhängiges Gremium, und die Agentur ist eine Einrichtung für ehrenamtlich tätige Vereinigungen und am Ehrenamt interessierte Privatleute. Ende dieses Jahres dürfte auch die neu gestaltete Homepage www.benevolat.lu online geschaltet werden, mit deren Hil; fe sich ehrenamtliche Helfer, die einen bestimmten Wirkungskreis suchen, über das Internet an interessierte Vereinigungen wenden können und umgekehrt. Der Homepage kommt somit die Aufgabe zu, eine Art "interaktives Arbeitsamt des Ehrenamtes" zu sein.

All diese Initiativen tragen dazu bei, das Ehrenamt zu fördern, die ehrenamtlichen Vereinigungen und Ehrenämtler zu unterstützen und diejenigen, welche sich noch nicht für das Ehrenamt interessieren, dafür zu gewinnen.

forum: Ihr Ministerium hat sich ausdrücklich die Aufgabe gestellt, das Ehrenamt zu fördern und zu koordinieren. Haben Sie aus diesem Grund die Agence du benivolat gegründet!

M.-J.Jacobs: Wir haben einen Wandel in der ehrenamtlichen Tätigkeit festgestellt. Die Tendenz zum "traditionellen" ehrenamtlichen Engagement ("einmal Feuerwehrmann, immer Feuerwehrmann") ist rückläufig. Der Trend geht hin zum "punktuellen" ehrenamtlichen Engagement, d.h. die Menschen bringen sich in gezielte, zeitlich befristete Projekte oder Aktionen ein und legen sich nicht mehr gerne für ein ganzes Leben ehrenamtlich fest.

Die Einrichtung der Agence du b6neVolat im Jahre 2003 ermöglicht es den Menschen, über neue Kontakte den Weg zur ehrenamtlichen Arbeit zu finden. Diese Agentur beschäftigt auf Basis einer Konvention mit dem Ministerium für Familie und Integration zwei Mitarbeiter, deren Mission es ist, die ehrenamtlichen Vereinigungen und Helfer mit Aktionen in den verschiedensten Bereichen zu unterstützen. Die Agentur organisiert Ausbildungen für die Ehrenämtler und Sensibilisierungskampagnen für die Öffentlichkeit, diverse Veranstaltungen für das Ehrenamt wie z.B. die Bourse du benevolat, die Journ€e internationale du benevolat sowie zahlreiche Radiosendungen und ist den Ehrenämtlern organisatorisch bei deren Arbeit behilflich. So hat die Agence du benevolat z. B. einen Versanddienst organisiert, an den die Vereinigungen beim Verschicken einer großen Zahl von Rundschreiben appellieren können.

forum: Gleicht es nicht einem Widerspruch, dass Menschen dafür bezahlt werden, andere Menschen zu unterstützen, die sich ehrenamtlich, also kostenlos, für eine Sache einsetzen?

M.-J.Jacobs: Ich sehe darin keinen Widerspruch. Die Herausforderungen an unsere Gesellschaft, und somit auch an das Ehrenamt, werden zunehmend komplexer. Zu deren Bewältigung sind die Ehrenämtler auf die Hilfe von festen Strukturen und somit auf festangestelltes Personal angewiesen. Diese Zusammenarbeit mit festangestelltem Personal, welches sich um die Koordination und die strukturelle Organisation kümmert, erlaubt es den Ehrenämtlern, ihren eigentlichen Aufgaben nachzugehen. Als Beispiel kann ich die Ferienkolonien erwähnen, deren Organisation von den Vereinen übernommen wird, welche jedoch für die Durchführung der Aktivitäten immer stärker auf die Unterstützung der Ehren-ämtler angewiesen sind. Zudem erfordert die zunehmende Komplexität der Aufgaben von den Ehrenämtlern eine regelmäßige Fortbildung, welche nur durch geschultes, festangestelltes Personal angeboten werden kann. Ich möchte hier auf die von der Agentur angebotenen Kurse hinweisen, in welchen u.a. Rhetorik oder juristische Grundlagen des Vereinswesens vermittelt werden.

Das Angebot im Vereinswesen ist auch immer schwieriger zu überschauen. Wo früher drei oder vier Vereine in einer Gemeinschaft tätig waren, sind es heute eine große Anzahl. Eine professionelle Einrichtung wie die Agence du benevolat ermöglicht es dem Einzelnen, der ehrenamtlich tätig werden möchte, gezielt einen seinen Vorstellungen entsprechenden Verein zu finden.

forum: Wie sehen Sie den Stellenwert des Ehrenamts in Luxemburg?

M.-J.Jacobs:
Die ehrenamtliche Tätigkeit erlaubt es dem Einzelnen, seinem Bürgerinn gerecht zu werden. Das Ehrenamt in Luxemburg ist für mich der Ausdruck der Generosität und der Kohäsion unserer Gesellschaft. Es hat einen hohen Stellenwert in Luxemburg, denn es trägt in seinen vielen Formen seit langem zur Verbesserung der Lebensqualität bei. Das Ehrenamt hilft, das Verantwortungsbewusstsein, die Eigeninitiative und die Kreativität der Bürger zu fördern.

Ohne die unzähligen Helfer in vielen Bereichen könnte unsere Gesellschaft nicht so funktionieren, wie dies heute der Fall ist. Ich denke nur an das Rettungs- und Ambulanzwesen oder das Feuerwehrwesen sowie viele andere Bereiche, die auf das Ehrenamt angewiesen sind.

Das Ehrenamt ist jedoch insbesondere auch ein integrativer Faktor, da sich viele Vereinigungen gerade auf diesem Weg um die Integration unserer ausländischen Mitbürger bemühen. Aus diesem Grund haben die Mitarbeiter der Abteilung Jugend meines Ministeriums eine mehrsprachige Kampagne gestartet, die sich die Förderung des Ehrenamts aller jugendlichen Mitbürger unseres Landes zum Ziel gesetzt hat.

forum: Der "Luxemburger" engagiert sich gerne ehrenamtlich. Wie erklären Sie dieses hohe Engagement^ Sind die Einwohner unseres Landes unausgelastet oder einfach nur hilfsbereit?


M.-J. Jacobs:
Das Ehrenamt hat in Luxemburg weit reichende Wurzeln. In vielen Familien reicht das ehrenamtliche Engagement ein oder sogar zwei Generationen zurück.

Meiner Meinung nach ist dieses Engagement auf die Hilfsbereitschaft der Einwohner Luxemburgs zurückzuführen, auf den Wunsch, etwas für die Gemeinschaft zu tun, ihrer Gesellschaft Impulse zu verleihen und sich dabei selbst zu verwirklichen. Dies zeigt sich in vielen Bereichen unserer Gesellschaft wie Gesundheit, Jugend, Kultur, Politik, Religion, Rettungswesen, Senioren, Sozialarbeit, Sport, Tourismus, Umwelt, um nur einige zu erwähnen.

Den Statistiken nach zu urteilen, fühlen sich gesellschaftlich stark engagierte Leute stärker zu ehrenamtlichen Tätigkeiten hingezogen als andere. Zusätzlich möchte ich aber hinzufügen, dass eine ehrenamtliche Tätigkeit einerseits zwar viel Zeit, Einsatzwillen und Wissen erfordert, andererseits den ehrenamtlichen Helfern aber auch große Zufriedenheit bereitet.

forum: Wie sieht es mit "Angebot" und "Nachfrage" ausi- In welchen Bereichen gesellschaftlichen Engagements gibt es genug Ehrenamtliche und wo werden ehrenamtliche Mitarbeiter händeringend gesucht?

M.-J. Jacobs: Laut Umfrage vom CEPS sind in Luxemburg rund ein Viertel der Bürger ehrenamtlich tätig. Dies entspricht einem hohen Prozentsatz und bezieht sich durchwegs auf alle Altersgruppen. Es stimmt also nicht, dass Jugendliche nicht engagiert sind. Wir müssen das Engagement aber auch differenziert betrachten. Manche Bereiche wie Sport, Kultur, Umwelt ziehen die Menschen stärker an als andere Bereiche. Auch tun sich manchmal traditionelle Vereine schwer, die sprachlichen und kulturellen Barrieren der Jugendlichen zu überwinden.

Manche Tätigkeitsfelder wie z. B. die Informatik, die auch im Ehrenamt überall benötigt wird, sind so schnelllebig, dass die Menschen, die in ihrer Freizeit ehrenamtlich aktiv sind, nicht immer mit den Entwicklungen Schritt halten können und sich letztendlich nicht genug Interessenten finden.

Die Tendenz zum "punktuellen" ehrenamtlichen Engagement bringt natürlich das traditionelle Ehrenamt in einigen Bereichen in Bedrängnis. So haben heutzutage Feuerwehrkorps, Ambulanz- und Rettungsdienste mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen. Glücklicherweise haben die Verantwortlichen diese Entwicklung erkannt und bemühen sich mit interessanten Angeboten die Jugend zu gewinnen.

Ein anderes Problem stellt die ehrenamtliche Mitarbeit in den Vereinsvorständen dar. Da es sich hier um ein Engagement handelt, welches sich über das ganze Jahr erstreckt, tun sich einige Vereine schwer, Vorstandsmitglieder zu finden.

In anderen Bereichen – ich denke da z. B. an die Telefonseelsorge oder die Betreuung von Sterbenden – sind die Anforderungen so hoch, dass freiwillige Helfer nur mit permanenter Weiterbildung ihre Arbeit leisten können. Nachwuchs ist daher nicht immer einfach zu finden. Dennoch ist für mich das Ehrenamt eine der großen Ressourcen unserer Gesellschaft. Mit seiner Hilfe wird in vielen Bereichen eine gesellschaftlich wertvolle Arbeit geleistet, welche über den Rahmen der vom Staat finanzierten und übernommenen Aufgaben hinausgeht.

forum: Auch Politiker und hohe Beamte engagieren sich ehrenamtlich in Verwaltungsräten von Vereinigungen, wie z. B. Nichtregierungsorganisationen oder anderen gesellschaftspolitischen Vereinen. Läuft man bei einer derartigen Entwicklung nicht Gefahr, dass hier Nebenschauplätze eröffnet werden, d. h. man sich weniger für die Sache der Vereinigung einsetzt als vielmehr seine beruflichen Interessen mit Hilfe der Vereinigung durchsetzen möchte?

M.-J.Jacobs: Ich setze hier auf das Verantwortungsbewusstsein der Politiker und Beamten, die sich auf diese Weise engagieren und bin überzeugt davon, dass die Verantwortlichen der im Ehrenamt aktiven Vereinigungen den nötigen Scharfblick und die erforderliche Weitsicht haben, um über die Interessen ihrer Vereinigungen zu wachen und die nötigen Entscheidungen zu treffen.

Man muss unterscheiden zwischen beruflicher Mission und ehrenamtlichem Engagement, welches man als Bürger eingehen möchte. Das Risiko besteht jedoch, dass Leute versuchen, berufliche Ziele über ein Engagement bei Vereinen zu erreichen. Es wäre für mich jedoch inakzeptabel, wenn das Anliegen einer ehrenamtlichen Vereinigung zu fremden Zwecken missbraucht würde.

forum, 16. Oktober 2007