Die Lage in der Haftanstalt sei komplexer als je zuvor, sagt Justizminister Luc Frieden. Dennoch sei das Gefängnis relativ sicher
Minister Luc Frieden im Télécran-Interview mit Maryse Lanners, 21. März 2007
Herr Minister, nach dem Ausbruch am 20. Februar kündigten Sie eine Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen im Gefängnis an. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Sicherheitsmaßnahmen dürfen nicht nur thematisiert werden, wenn es zu einem Ausbruch kommt. In meiner neunjährigen Amtszeit habe ich die Sicherheit konsequent verstärkt. Bereits vor dem Ausbruch wurde auch beschlossen, 150 neue Kameras zu installieren sowie zwei Höfe mit Anti-Hubschrauberdraht abzusichern. Eine Generalüberholung des Stacheldrahts steht an. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Der Bautenminister muss dies umsetzen. Die Ausschreibungsprozeduren sind langwierig.
Vor zwei Wochen haben offenbar erneut Gefangene einen Ausbruch versucht. Sie seien von Dachdeckern auf dem Dach entdeckt worden, sagte der DP-Abgeordnete Xavier Bettel im Parlament. Wie sicher ist das Gefängnis eigentlich?
Ein Abschiebehäftling ist am 5. März über einen Zaun im Innenbereich gestiegen, konnte aber nicht ausbrechen. Unser Gefängnis ist relativ sicher. In den 23 Jahren seines Bestehens gab es nur sieben Ausbrüche. Im Ausland sind es wesentlich mehr. Trotzdem muss es eine der Aufgaben des Gefängnisses sein, Ausbrüche zu verhindern. Man muss aber bedenken, dass kein Gefangener freiwillig dort sitzt. Daher gehören Zwischenfälle, Aufstände und Ausbrüche zu einem Gefängnis. Dies trifft besonders auf Sehrassig zu, wo Gefangene 66 verschiedener Nationalitäten sitzen, was einmalig in Europa ist.
Gefangene telefonieren mit Handys, es gibt offenbar Drogen zuhauf – und dies seit Jahren. Reicht es denn zu sagen, das gibt es in jedem Gefängnis?
Das sind Zustände, gegen die man permanent vorgehen muss. Dass ich auf die Lage im Ausland hinweise, ist für mich keine Entschuldigung, nichts zu tun. Ich verbringe täglich mindestens eine Stunde mit dem Dossier Gefängnis. Bei der Bekämpfung der Drogen haben wir Erfolge erzielt. Es wurden beachtliche Mengen sichergestellt bei Gefangenen und bei Besuchern. Dies geschah mit Hilfe einer Spezialeinheit im Gefängnis und der Polizei, die regelmäßig Kontrollen durchführen.
Im Dezember 2004 wurde eine ausländische Firma mit der Einrichtung eines Störsenders gegen Mobiltelefone beauftragt. Bis heute hat sie diesen Auftrag nicht erfüllt. Entweder sind die Sender zu stark und verursachen Störungen am Flughafen, oder zu schwach und damit wirkungslos. Ich bin jedoch weiterhin fest entschlossen, die Mobilkommunikation von Gefangenen zu unterbinden. Aber ich bin kein Techniker und ich kann die Störsender nicht selbst anbringen. Übrigens gibt es auch in ausländischen Gefängnissen keine Störsender.
Es gibt noch weitere Probleme: Minderjährige im Gefängnis, abgelehnte Asylbewerber. Dann die Benachteiligung der Frauen, die kein Recht auf offenen Strafvollzug haben. Ein Givenich für Frauen fehlt. Sie haben bereits Vorjahren erklärt, dieser Missstand werde behoben. Warum ist bis heute nichts geschehen?
Erstens habe ich noch nie einen Minderjährigen ins Gefängnis gesetzt. Das läuft übers Jugendgericht…
Das hat auch niemand behauptet…
Aber Sie haben auch die Minderjährigen erwähnt. Auch in meinen Augen gehören sie nicht dorthin. Es ist Aufgabe des Familien- und des Bautenministers, eine alternative Struktur zu bauen. Ich weiß, dass die beiden Minister seit Jahren eifrig daran arbeiten, aber immer wieder tauchten Probleme und Widerstände auf. Momentan sind drei Jugendliche in Schrassig. Die illegalen Immigranten sitzen in der Haftanstalt, weil es keiner Regierung bis jetzt gelungen ist, ein “Centre de Retention” zu bauen. Die Regierung ist sich bewusst, dass diese Leute aus Sehrassig weg müssen. Aber der Justizminister allein kann das nicht tun.
Und der offene Strafvollzug für Frauen?
Luc Frieden: Es gibt nur sehr wenig Frauen im Gefängnis. Derzeit sind es 37. Davon kämen nur ein paar für den halbfreien Strafvollzug in Frage. Weil wir keine Struktur für so wenige Personen gefunden haben, habe ich mich für die so genannte dänische Lösung entschlossen. Wir werden in Givenich ein “regime mixte” einführen, wobei ein Pavillon für Frauen bestimmt ist.
Gibt es einen Zeitplan?
Ich will das noch in dieser Legislaturperiode tun. Zuvor muss ein Pavillon hergerichtet und die Frage der Wärterinnen geklärt werden.
Der Prozess um den Brand im Asylantentrakt P 2 offenbarte, dass die Brandschutzvorkehrungen nicht optimal waren. Wie sicher ist das Gefängnis für die Gefangenen?
Luc Frieden: Die Sicherheit wird vom “Service de la sécurité dans la fonction publique” überprüft. Es gibt ein Brandschutzsystem. Dies hat man mir bestätigt. Es entspricht den Regeln. Die Matratzen waren schwer brennbar. Ich kann mich nur auf das berufen, was die zuständigen Experten mir sagen.
Die Komplexität des Strafvollzugs ist riesig
Nach dem Brand im Januar 2006 hatten Sie die Sicherheitskräfte für ihre gute Arbeit beglückwünscht, ohne ein Wort der Anteilnahme für den Toten und die Verletzten zu finden. Diese Haltung hat viele Menschen schockiert. Was sagen Sie denen?
Luc Frieden: Ich hatte nie die Tendenz, öffentlich über meine Gefühle zu reden. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der Betrieb läuft – trotz der gewaltigen Schwierigkeiten – und zu gewährleisten, dass die Leute, die dort in meinem Auftrag arbeiten, ihren Job korrekt erledigen.
Es ist immer ein Drama, wenn jemand stirbt. Andererseits muss man die Verantwortung der Personen sehen, die viele Unschuldige in Gefahr gebracht hatten. Daher ist meine Traurigkeit auch heute noch verbunden mit einer großen Wut über das, was diese Leute getan haben.
Haben Sie als Haushalts- und Justizminister eigentlich genug Zeit, um sich mit dem Gefängnis zu befassen?
Luc Frieden: Ich habe viel Arbeit und versuche, sie gewissenhaft zu tun. Das Gefängnis bleibt eine enorme Belastung, unabhängig davon, wie viel Zeit man dafür hat. Die Komplexität des Strafvollzugs ist riesig. Es gibt heute 680 Gefangene mit vielen verschiedenen Nationalitäten in diesem Gefängnis, das für 600 Insassen konzipiert wurde. Als ich Minister wurde, hatten wir lediglich 368 Insassen in Schrassig. 2004 waren es erst 450. Die hohe Zahl der Gefangenen ist das Resultat einer viel stärkeren Sicherheitspolitik, die ich in die Wege geleitet habe. Dazu kommen neue Arten importierter Kriminalität, wie der afrikanische Drogenhandel, durch den 200 zusätzliche Gefangene nach Schrassig kamen. Die Lage ist heute viel komplexer als unter meinen Vorgängern. Das Gefängnis ist eine Riesenbelastung für jeden. Da geht man nicht frohgemut abends nach Hause. Aber zur Funktion des Justizministers gehören eben auch schwierige und unangenehme Aufgaben.
Sie werden viel für ihre Gefängnispolitik kritisiert. Gibt es Dinge, die Sie auch selbst bedauern?
Es gibt viel, auf das ich stolz bin. Vor allem die Verbesserung der schulischen, medizinischen und psychologischen Betreuung der Gefangenen, sowie die Verdoppelung der Zahl der Gefängniswärter. Ich möchte auch erwähnen, dass das Gefängnis in meiner Amtszeit erweitert wurde, es wurden 60 Millionen Euro in Sehrassig und Givenich investiert. Der ordentliche Haushalt hat sich verdoppelt. Es gibt aber auch viel, das mich nicht zufrieden stellt: Dass wir es nicht geschafft haben, die Gefangenen so unterzubringen, dass die Konflikte kleiner wurden. Dass noch kein Bauplatz für ein drittes Gefängnis gefunden wurde. Und dass wir die Gefangenen nicht besser auf die Freiheit vorbereiten können. Es stört mich auch, dass es trotz aller Kontrollen noch immer Drogen im Gefängnis gibt. An diesen Dingen muss man weiter arbeiten. Probleme im Gefängnis aber wird es immer geben.