Von Entlassungen und Wettbewerbsfähigkeit

Im LCGB-Organ “Soziale Fortschrëtt” plädiert Michel Wolter für einen neu ausgerichteten Industriestandort der durch Forschungsleistungen neue innovative Produkte anbietet. Neue Arbeitsplätze können so geschaffen werden

Seit einigen Wochen häufen sich die Hiobsbotschaften aus der Industrie. Wenn innerhalb kurzer Zeit rund tausend industrielle Arbeitsplätze verschwinden oder ihre Abschaffung zumindest angekündigt wird, kommen vielerlei Meinungen auf. Eine davon lautet, Luxemburg wäre im internationalen Kontext nicht mehr wettbewerbsfähig. Dem muβ nicht unbedingt so sein.

Die Produktion von CDs ist nicht nur in Luxemburg unrentabel geworden. In ganz Europa ist es nicht mehr möglich, statt 20 Millionen Scheiben 250 Millionen herzustellen, zum gleichen Preis, versteht sich. Das funktioniert in Ost- und Südostasien. In Europa funktioniert es nicht mehr, diese Zeiten sind vorbei. Gleiches gilt für andere Industriezweige. Europa kann ganz einfach nicht mit den Produktionsmöglichkeiten anderer Kontinente mithalten. Das ist kein klassisches Problem von Wettbewerbsfähigkeit: es ist vielmehr ein Problem internationaler Arbeitsteilung, wie sie im Zeitalter der Globalisierung stattfindet.

Wettbewerb nur möglich zwischen gleich aufgestellten Konkurrenten

Wettbewerb kann nur zwischen mehr oder weniger gleich aufgestellten Konkurrenten existieren. Wie lange werden schon keine billigen Werbe-T-Shirts in Europa produziert? Wie viele von den elektronischen Geräten, die vor gut drei Monaten unter luxemburgischen Weihnachtsbäumen lagen, sind “made in” China, Taiwan, Malaysia, Thailand oder Indonesien? Auf diesen Gebieten gibt es keinen Produktionswettbewerb zwischen Kontinenten mehr. Massenartikel, die billig sein müssen, sind kein Zukunftssektor für uns.

Wir müssen in Luxemburg den Weg einer Industriepolitik beschreiten, die auf jene Sektoren setzt, die eine europäische Zukunft haben. Umwelt- und Biotechnologien, Nanotechnologie (wobei es um vielseitig verwendbare Kleinstbauteile geht) sind Bereiche, die in enger und sinnvoller Verbindung mit der Forschung neue Arbeitsplätze und Märkte erschließen können. Hierfür brauchen wir geeignete Standorte, qualifizierte Fachkräfte, und eine dynamische Vermarktung. Dies sind die Merkmale heutiger und zukünftiger Wettbewerbsfähigkeit. Wenn wir zusätzlich noch das Potenzial der Großregion nutzen – die Universitäten und Forschungseinrichtungen, die Infrastrukturen, die möglichen Standorte – dann erschließt sich in zukunftsträchtigen Industrienischen durchaus eine positive Perspektive für unser Land.

Es ist notwendig, den industriellen Teil der luxemburgischen Wirtschaft zu konsolidieren und ihm neue Dimensionen zu eröffnen. Wir werden allerdings nie wieder ein Industrieland werden wie früher. Rund 90% unseres Bruttoinlandsprodukts werden im Dienstleistungssektor erwirtschaftet. Die luxemburgische Volkswirtschaft ist eine Dienstleistungswirtschaft geworden – daran wird sich auch nichts mehr ändern. Doch auch so bleibt ausreichend Platz und Spielraum für eine leistungsfähige, moderne, nachhaltige Industrie, und zwar eine Industrie, die wettbewerbsfähig sein wird, wenn sie mit qualitativ hochwertigen Angeboten im Markt agiert.

Es werden jetzt Arbeitsplätze in der Industrie abgebaut. Eine neu ausgerichtete Industrie wird jedoch auch wieder Arbeitsplätze schaffen. Wenn wir die industriellen Weichen jetzt richtig stellen, zusammen mit der Universität und einer Neuorientierung vor allem des Südens, dann kommen wir in Sachen Beschäftigung auch wieder auf Kurs.

Michel Wolter
CSV-Fraktionspräsident

Quelle: Soziale Fortschrëtt, März 2006