Die Globalisierung lässt die Ärmsten außen vor

Prof. Dr. – Ing. Marcel Oberweis

Seit einigen Jahrzehnten wird die Globalisierung als der Wachstumstreiber „par excellence“ angesehen, mittels welcher der Wohlstand weltweit erhöht werden soll. Dies mag für die reichen Industrieländer und für wenige aufstrebende Schwellenländer der Fall sein – Hunderte von Millionen Menschen konnten der Armut entrinnen. Aber die große Mehrheit der Menschen hat nicht von den Segnungen der Globalisierung und dem weltumspannenden Handel mit riesigem Potenzial profitiert. Sie verblieben in der Armutsfalle und im Elend, fühlen sich abgehängt und sehen der Zukunft mit geringer Zuversicht entgegen. Dass Afrikas Anteil am Welthandel bei zwei Prozent liegt, beweist die Ungerechtigkeit.

Darüber hinaus die rezente beklemmende Nachricht: Während Millionen Menschen nicht wissen, ob sie mit leerem Bauch zu Bett gehen müssen, gibt das Forschungsinstitut  Sipri bekannt, dass sich nach Jahren sinkender Militärausgaben die weltweiten Ausgaben für die Rüstung um 0,4 % auf 1.570 Milliarden Euro erhöht haben – 10 mal mehr als für die weltweiten Ausgaben an Entwicklungszusammenarbeit.

Es muss der Gerechtigkeit das Wort geredet werden

Bei näherer Betrachtung der bisherigen Erfolge lassen sich jedoch besonders eklatante und bedenkliche Ungerechtigkeiten erkennen, die so nicht weiter toleriert werden können. Ich möchte hier die USA zitieren, steigerte doch das reichste Prozent der Einkommenspyramide seinen Anteil am Gesamteinkommen innerhalb der Zeitspanne von 1980 bis 2015 von acht Prozent auf über 18 Prozent, die reichsten zehn Prozent erhöhten ihren Anteil von 33 Prozent auf 48 Prozent.

Ähnliche Entwicklungen lassen sich in vielen reichen Ländern und nunmehr auch in den Schwellenländern beobachten. Laut der NGO OXFAM sollen die drei südafrikanischen Milliardäre genau so viel Reichtum besitzen wie die ärmsten 50 % der Bevölkerung.

Die Weltgemeinschaft kann sich aber auf nicht Dauer nicht erlauben, dass 30 % der reichsten Länder 86 % des allumfassenden Verbrauchs für sich beanspruchen, derweil 20 % der ärmsten Länder mit 1,3 % abgespeist werden.

Zieht man den Gini-Koeffizienten in Betracht, dann erkennt man die sich ständig erhöhende Ungleichheit der Einkommen in vielen Industrienationen. Demzufolge bedeutet die Globalisierung für einen geringen Teil der Weltbevölkerung einen Segen, für 700 Millionen Menschen, davon 232 Millionen in Afrika,  verbleiben jedoch nur die Brosamen – sie leben mit weniger als 2 $ pro Tag.

Ein weiterer eklatanter Missstand: Hinsichtlich der Ernährungsproblematik werden weltweit genügend Lebensmittel für die etwa 7,5 Milliarden Menschen produziert, davon dient jedoch fast die Hälfte nicht der Ernährung. Einer von neun Menschen geht jeden Abend hungrig zu Bett – dies laut einem Bericht der FAO im Jahr 2015. Dies unterstreicht eindeutig: Das Welthungerproblem liegt keineswegs in der Erzeugung, sondern in der ungerechten Verwertung.

Die Lage ist besonders schlimm in den ländlichen Regionen der Entwicklungsländer – hier leben drei Viertel aller Hungernden. Millionen Kinder müssen schwere und gefährliche Arbeiten verrichten und erhalten keinen Schulunterricht und Ausbildung, sie können somit nicht zur Verbesserung der Lage ihrer Heimat beitragen. Fast 20 Millionen Umweltflüchtlinge  sind in Afrika ständig auf der Suche nach einer Wasserstelle. Die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung ist jünger als 20 Jahre – dies dürfte reichen, unseren Blick auf die kommende Migration zu schärfen.

Dort wo aber Millionen armer Menschen verzweifelt vergebens nach etwas Glück suchen, staut sich eine explosive Kraft auf, deren Wucht in den entfernten Winkeln unserer Erde zu spüren sein wird.

Das an sich größte Problem bei der Umsetzung der gerechten Entwicklung liegt in der mangelnden Bereitschaft der reichen Länder, ihre Produktionsmethoden und ihre Verbrauchsgewohnheiten so zu verändern, dass der weltweite Raubbau an der Natur verringert und der Schutz der Biodiversität zur obersten Leitplanke auserkoren werden.

Wenn der derzeitige Raubbau unseres Planeten noch zwei oder drei Jahrzehnte wie bisher anhält, werden wir die Lebensgrundlagen so verändert haben, dass ein Zurückrudern keinen Sinn mehr ergibt. Ein Mehr an Gerechtigkeit und Lebensqualität für alle Menschen muss die Mantra werden.

Diese Fakten rechtfertigen die aufkommende Unzufriedenheit von Hunderten Millionen Menschen und sie erkennen in der Globalisierung eher ein Hemmnis denn ein Fortschritt zur Verbesserung der Lage. Für die gesellschaftliche Akzeptanz der Globalisierung ist es jedoch unabdingbar, dass die Vorteile für jeden einzelnen Mitmenschen spürbar sind.

Den „Marshallplan mit Afrika“ endlich in die Realität umsetzen

Der Kontinent Afrika liegt vor den südlichen Toren Europas und wir täten gut daran, unseren Blick diesem zuzuwenden. Durch die vernetzte faire Entwicklungszusammenarbeit auf den Gebieten u.a. schulische Ausbildung, Energieversorgung, Wasserversorgung, Ernährungslage, Bau von Infrastrukturen und Sozial- und Medizinwesen werden die Missstände langsam aber sicher behoben. Die Perspektivlosigkeit der Menschen, der Mangel an Arbeitsplätzen und die nicht vorhandenen Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung müssen der Vergangenheit angehören.

Wenn Erfolge durch die nachhaltige und strategisch sinnvolle wirtschaftliche Entwicklung verbucht werden, dann werden die Flüchtlingswellen aus dem armen Süden hin zum reichen Norden versiegen.

Afrika zählt, dies ist sattsam bekannt, zu den großen Verlierern der Globalisierungspolitik – Afrika wird zum Prüfstein für unsere Glaubwürdigkeit. Die Globalisierung der Märkte muss mit der Globalisierung der sozialen Gerechtigkeit einhergehen, nur so wird Frieden auf der Welt dauerhaft zu erreichen sein. Als Voraussetzung gilt: Alle Länder am weltweiten Handel teilnehmen lassen und die Menschen am technischen Fortschritt sowie der Verfügbarkeit von Informationen und Ressourcen  beteiligen.

Durch die unterschiedlichen Freihandelsabkommen werden die Lebensgrundlagen von Millionen kleinbäuerlichen Familienbetriebe in Afrika bedroht und die finanzielle Lage verschlimmert sich zusehends. Ihre landwirtschaftlichen Produkte sind gegenüber den aus dem reichen Norden importierten und hoch subventionierten Produkten nicht mehr konkurrenzfähig. Es ist für mich nicht nachzuvollziehen, dass die Europäische Union ihre Märkte durch hohe Importzölle schützt, die Entwicklungsländer der Subsahara jedoch genötigt werden, ihre Steuersätze auf weniger als 10 % zu verringern. Die Reichen verhindern so die Entwicklung in diesen Ländern und veranlassen somit die Migration der Ärmsten.

Hier besteht dringender Handlungsbedarf in Richtung mehr Entwicklungszusammenarbeit. Der Aufruf zum „Marshallplan für Afrika“, mittels welchem Milliarden Euro an die Entwicklungsländer überwiesen werden sollen, um die maroden Wirtschaftsstrukturen aufzubauen, ist jedoch im Ansatz falsch. Es bedarf vielmehr des „Marshallplan mit Afrika“ – welche den Menschen vor Ort die oft erbärmliche Not lindert und ihnen eine Lebensperspektive gibt.

Das Ziel des „Marshallplan für Afrika“ beinhaltet den Bau von Eisenbahnen und Straßen, die Errichtung einer verlässlichen Energieversorgung und der gerechten  Wasserversorgung sowie der Verbesserung der Ernährungslage. Ohne klar erkennbare Verbesserungen in der Politik werden keine finanziellen Mittel seitens der Investoren fließen.

Ebenso muss dafür Sorge getragen werden, dass die  nationalen Steueraufkommen gerecht verwaltet werden und nicht nur den Bewohnern der Hauptstädte zugutekommen. Die Bewohner der ländlichen Regionen werden sonst abgehängt. Dann wird der soziale Druck in den Dorfgemeinschaften derart steigen, dass Menschen, die nicht emigrieren wollen, von der Familie oder vom Dorf dazu gezwungen, um in der Fremde die erhofften Finanztransfers zu erwirtschaften.

Mit dem „Marshallplan mit Afrika“ wird das riesige Potenzial Afrika gerecht in das weltweite Handelssystem eingebunden. Das bisherige eindimensionale System, welches nur den reichen Ländern einen Mehrwert erbringt, muss abgelöst werden. Die Entwicklungsländer und ihre Menschen müssen ebenfalls die Vorteile des weltumspannenden Handels genießen können.

Fazit

Es kann nicht oft genug wiederholt werden, ohne unser verstärktes Engagement werden die Probleme in Afrika nicht gelöst und die Weltgemeinschaft muss sich auf schwierige Zeiten einstellen. Wenn alle Menschen die Vorteile der Globalisierung genießen und der gerechte internationale Austausch neuen Wohlstand schafft, dann ist das friedliche Miteinander möglich.

Dies verlangt jedoch, dass alle Menschen die Menschenrechte genießen können und ihre Menschenwürde respektiert wird. Insbesondere die Ärmsten müssen wir auf die unterste Sprosse der sozialen Leiter emporhieven und ihnen dann behilflich sein, weitere zu erklimmen. Wir sollen ihnen als Partner die benötigte solidarische Hilfe im Aufbau eines Wirtschaftsmodells anbieten, ein Modell, das allen Afrikanern zugutekommt.