27. Oktober 2016: Die Lebensmittelverschwendung – ethisch nicht vertretbar

Marcel Oberweis

Jährlich landen 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel auf den Müllhalden, während gleichzeitig weltweit 865 Millionen Menschen Hunger leiden. Ein Drittel von dem, was weltweit an Lebensmitteln auf den Agrarflächen produziert wird, geht demnach „verloren“, entweder durch Beschädigung bei der Herstellung, beim Transport oder durch ihr Verderben in den Lagern, den Läden und den Haushalten. In den Entwicklungsländern verderben bis zur Hälfte aller Lebensmittel auf dem Weg vom Acker bis zum Teller u.a. mangelnde Transportwege und fehlende Vermarktungsmöglichkeiten.

Es ist der hohe Wohlstand in den reichen Industrieländern sowie den aufstrebenden Schwellenländern einerseits und der unverantwortliche Umgang mit den Lebensmitteln andererseits, die als hauptsächliche Ursachen für die Lebensmittelverschwendung gelten.

Der gesellschaftliche Gesamtschaden, der durch diese unfassbare Vergeudung entsteht, wird auf jährlich etwa 2.600 Milliarden $ geschätzt. Damit könnten alle hungernden Menschen dieses Planeten im Überfluss versorgt werden. Es ist demzufolge nicht vertretbar, wenn genießbare Lebensmittel auf den Müllhalden landen.

Laut der FAO-Studie „Global food and food waste“ liegt die jährliche pro Kopf- Verschwendung in der Europäischen Union, über die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet, zwischen 280 bis 300 kg Lebensmitteln. Des Weiteren wird geschätzt, dass jeder einzelne EU-Bürger jährlich zwischen 95 bis 115 kg Essen in die Mülltonne wirft. In Luxemburg beträgt die jährlich weggeworfene Menge Lebensmittel etwa 123 kg pro Einwohner, dies entspricht in etwa einem Wert von 210 Millionen Euro.

Gemäß einer von der Europäischen Union finanzierten Studie gehen 42 Prozent aller weggeworfenen Lebensmittel auf das Konto der privaten Haushalte. 39 Prozent landen bei den Herstellern im Müll, 14 Prozent in der Gastronomie und fünf Prozent bei den Einzelhändlern. In den Ländern der Subsahara und Südostasien werden jährlich lediglich 6 bis 11 kg Lebensmittel pro Kopf weggeworfen.

Die Ursachen für das ethisch nicht vertretbare Verhalten

Bei der Definition des Mindesthaltbarkeitsdatums liegen ebenfalls viele Irrtümer vor, denn dieses gibt nicht an, wann ein Produkt verfällt, sondern, wie lange es mindestens haltbar ist. Viele Lebensmittel könnten, vorausgesetzt sie werden ordnungsgemäß gelagert, noch Tage und Wochen nach dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums bedenkenlos verbraucht werden. Die Verbraucher sind verunsichert und sind der irrigen Meinung, dass es gesundheitsgefährdend sei, die Lebensmittel noch zu verbrauchen.

Neben dem überschrittenen Mindesthaltbarkeitsdatum sind auch die beschädigte Verpackung oder das lädierte Äußeres schon Grund genug für die frühzeitige Entsorgung. Viele Kartoffelbauern müssen bereits bis zu 50 Prozent ihrer Kartoffeln auf dem Feld aussortieren, da sie nicht den vom Handel und den Verbrauchern gewünschten Standards in Form oder Aussehen entsprechen. Mit ähnlich negativen Einstellungen seitens der Kunden sehen sich die Gemüse- und Obstbauern konfrontiert.

In der vernetzten Welt werden die Wertschöpfungsketten immer länger. Das bedeutet, dass zwischen Produzenten und Verbrauchern immer mehr Zwischenhändler, Logistiker, Verpackungs- und Lagerungsspezialisten eingebunden sind. Es muss demzufolge zu einer verbesserten Abstimmung zwischen dem Angebot und der  Nachfrage entlang der genannten Lieferkette kommen.

Das Verhalten hinsichtlich der Vernichtung von Lebensmitteln wirkt sich ebenfalls dramatisch auf unsere Umwelt aus. Jedes Lebensmittel braucht für seine Herstellung kostbare Ressourcen: Wasser und Dünger, wertvoller Ackerboden, Energie für die Ernte, Verarbeitung und Transportkosten – Ressourcen, die mit jedem weggeworfenen Lebensmittel sinnlos verschwendet werden. Die landwirtschaftlichen Flächen werden umsonst mit Millionen Litern Wasser bewässert und oft mit Pestiziden und Düngern belastet. Riesige Landstriche werden verwüstet und Wälder umsonst gerodet. Insgesamt beläuft sich der Schaden für die Umwelt auf etwa jährlich 600 Milliarden Euro und die nachgelagerten sozialen Schäden verursachen zusätzliche jährliche Kosten im Wert von rund 800 Milliarden Euro. Einige Beispiel zur Illustration: Etwa 700 l Wasser werden benötigt, um  ein kg Äpfel zu ernten und etwa 1.000 l Wasser bei der Produktion von einem kg Brot. Um ein kg Rindfleisch auf den Markt zu bringen, werden 15.000 l Wasser aufgewendet.

Viele Millionen Tonnen Lebensmittel, die im Abfalleimer landen, stammen nicht aus der lokalen oder regionalen Produktion, sondern werden über weite Transportstrecken mit hohen Treibhausgasemissionen zu den Verbrauchern befördert. Die beschriebene gigantische Lebensmittelverschwendung bedeutet, laut der UNEP die unnötige Belastung der Umwelt durch die Treibhausgase in Höhe von jährlich 3,3 Milliarden Tonnen – dies mit steigender Tendenz.

Falls sich ein Nahrungsüberschuss  einstellt, dann sollte dieser in den Kompost- oder den Biogasanlagen verarbeitet werden. Die anfallenden Energien verringern z.T. den Verbrauch an fossilen Energieträgern und das Produkt aus dem Fermenter kann auf den landwirtschaftlichen Flächen ausgetragen werden. Da jedoch für den Abtransport der nicht in den Konsum gelangenden Lebensmittel teure Energien benötigt und unnötige Treibhausgasemissionen hervorgerufen werden, sollen diese möglichst nahe am Ort der Produktion verarbeitet werden.

Zu dieser riesigen Menge an „entsorgten“ Nahrungsmitteln aus der Land- und Obstwirtschaft fallen ebenfalls jährlich 38 Millionen Tonnen an Fischen und Meerestieren (etwa 40 Prozent der weltweiten Fangmenge) an, die als Rückwurf vernichtet werden. Dies zerstört auf lange Sicht den Lebensraum Ozean. Wie kann man akzeptieren, dass diese Lebewesen wie Müll behandelt werden? Ein Lichtblick ist indes das neue Fischereigesetz der Europäischen Union, laut welcher der Rückwurf bis zum Jahr 2019 nicht mehr toleriert wird.

Schlussgedanken

Es ist mir wohl bewusst, dass keiner von den hungrigen Menschen unmittelbar satt wird, wenn wir dem Umgang mit Lebensmitteln eine höhere Bedeutung beimessen. Aber aus Respekt vor den Mitmenschen müssen wir sorgsam mit den Lebensmitteln umgehen, denn unser nicht ethisches Verhalten trägt zur Verknappung der Lebensmittel  bei und erhöht deren Preise. Es kann ebenfalls nicht mehr toleriert werden, dass die angebotenen heimischen Lebensmittel auf den lokalen und regionalen Märkten der Entwicklungsländer keinen Kunden finden, nur weil die aus den reichen Ländern dorthin exportierten Überflussmengen den Markt überfluten und im Gefolge den Kleinbauern ihre Existenzgrundlage zerstören.

Die Europäische Union übernimmt  diesbezüglich eine Vorreiterrolle, indem sie sich das Ziel gesetzt hat, den Handel mit den Entwicklungsländern auf eine faire Stufe zu heben und die Menge der anfallenden Lebensmittelabfälle in den Mitgliedsländern auf die Hälfte bis zum Jahr 2020  zu verringern. Nur wenn alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette ihre Pflicht erfüllen und den Lebensressourcen mit Respekt begegnen, können die angestrebten Ziele erreicht werden.

In dieser gesamtgesellschaftlichen Diskussion kommt man jedoch nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass die ersten wichtigen Schritte in den Familien, in den Kindergärten, in den Schulen und in den öffentlichen Kantinen durchgeführt werden müssen. Nur wer die globalen Zusammenhänge in Bezug auf die Ernährung der Weltbevölkerung und die Lebensmittelvernichtung versteht, ist genügend motiviert, sein Verbrauchsverhalten zu überdenken.