Das Wachstum der Megastädte zeigt katastrophale Folgen

Das Wachstum der Megastädte zeigt katastrophale Folgen.

Prof. Dr.-Ing. Marcel Oberweis

Um die Zeitenwende lebte, laut den Vereinten Nationen, etwa 300 Millionen Menschen und zu Beginn der Moderne etwa 500 Millionen Menschen auf dem Planeten. Mit der Nutzung der Kohle wuchs die Weltbevölkerung durch den technischen Fortschritt beständig sodass die erste Milliarde Menschen um das Jahr 1815 gezählt wurde. Zu Beginn des 20 Jahrhunderts waren es bereits zwei Milliarden Menschen und es leben derzeit 7,4 Milliarden auf der Erde.

Um das Jahr 1800 bevölkerten 35 Millionen Menschen (drei Prozent der Weltbevölkerung) die Städte, um das Jahr 1900 waren es 165 Millionen (zehn Prozent) und im Jahr 1950 bereits 740 Millionen (29 Prozent). Derzeit wohnen rund 54 Prozent (3,6 Milliarden Menschen) der Weltbevölkerung in den Städten.

Laut den Prognosen werden 9,6 Milliarden Menschen im Jahr 2050 leben, davon 6,4 Milliarden in den Städten. Zwei von drei Menschen werden dann in den städtischen Gebieten – den Megastädten – leben. Bis zum Jahr 2030, so die Aussagen der Vereinten Nationen, werden 64 Prozent in Asien und 56 Prozent in Afrika in den Städten leben. Im Jahr 2050 werden, wenn der Trend anhält, zwei Drittel aller Menschen in den Städten und den Megastädten leben.

Unter dem Begriff Megastadt versteht man dicht besiedelte städtische Zentren mit mehr als zehn Millionen Einwohnern. Diese sind weit mehr als einfach nur enorm große Städte, sie sind vor allem ungeheuer dynamisch und sehr komplex. Die ökologischen, die wirtschaftlichen, die sozialen und die politischen Prozesse überlagern sich, sie bedingen sich dabei gleichzeitig und verstärken sich gegenseitig.

Der Prozess des weltweit überproportionalen Wachstums der Megastädte war in der Mehrzahl der Industrieländer Europas und Nordamerika Mitte des 20. Jahrhunderts abgeschlossen. Heute stellen wir die Verringerung der Einwohnerzahlen in deren Megastädten, außer in Tokyo, fest. Das Wachstum der Megastädte findet heute in den Schwellen- und Entwicklungsländern statt. Es liegen jedoch wesentliche Unterschiede zwischen den Megastädten in den Industrieländern und in den Entwicklungsländern – China, Indien, Indonesien und Nigeria – vor.

Im Jahr 2015 gab es 28 Megastädte und davon nur zwei in Europa: Paris und London. Im Jahr 2030 wird mit insgesamt 41 Megastädten gerechnet. Folgende Zahlen unterstreichen den Trend der Verstädterung: Tokio inklusiv des Großraumes mit 38 Millionen Einwohnern, Mumbai mit 28 Millionen, Lagos mit 24,5 Millionen, Shanghai mit 23,5  Millionen, Jakarta mit 21,2 Millionen, Sao Paulo mit 20,8 Millionen, Beijing mit 20 Millionen, Dhaka mit 19 Millionen und Mexiko-Stadt mit 19 Millionen.

Die Verstädterung stellt die entscheidende globale Herausforderung des 21. Jahrhunderts dar. Ist die Wachstumsdynamik der mittleren Städte in vielen Weltregionen bereits hoch, so bergen doch die Megastädte in den Entwicklungsländern aufgrund ihrer Größe eine Fülle von Umwelt- und Gesundheitsproblemen sowie ein enormes Konfliktpotenzial. Die Megastädte der Gegenwart entwickeln sich zu Brennpunkten sozialer, infrastruktureller und wirtschaftlicher Probleme ungeahnter Ausmaße.

Die Vereinten Nationen betonen deshalb, dass die Megastadtentwicklung unbedingt mit dem Wachstum der Bevölkerung Schritt halten muss. Dringender Handlungsbedarf im Wohnungsbau, bei den Infrastrukturen, dem Verkehr, der Energieversorgung, der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung, der Gesundheitsfürsorge und dem Bildungswesen ist verlangt.

In den Schwellen- und Entwicklungsländern wächst die Stadtbevölkerung überaus stark, derweil die Landbevölkerung schrumpft. Leben heute 3,4 Milliarden Menschen in Dörfern und kleinen Siedlungen, so wird sich diese Zahl auf etwa 3,1 Milliarden im Jahr 2050 verringern. Diese urbane Wende wird von tief greifenden sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Faktoren angetrieben.

Am Beispiel von Afrika wird dies erläutert: Der Anteil der in den Städten lebenden Menschen an der Gesamtbevölkerung wird von  37 Prozent auf 53 Prozent im Jahr 2030 anwachsen – die meisten Menschen davon in den Elendsvierteln.

Die Menschen verspüren die ländliche Armut, die gravierenden Umweltproblemen, die schlechte Ernährungslage, das Landgrabbing und die fehlende Wasserversorgung – die Flucht in die Städte wird zur Mantra. Die Landflucht führt jedoch zur Schwächung der Jahrhunderte alten gewachsenen sozialen Strukturen im ländlichen Raum, zum Verblassen des überlieferten Umweltwissens und zu unsicheren Grundbesitzverhältnissen. Die zurückbleibenden Bewohner des ländlichen Raumes werden die Leidtragenden der Landflucht.

Die besonderen Kennzeichen der  Megastädte des 21. Jahrhunderts sind das unkontrollierte Wachstum und die ausufernde Slumlandschaften. Es fehlt an Kapital und fortschrittlicher Substanz. Es fehlen die Freiheit, die politische Emanzipation, der wirtschaftliche Aufschwung und die soziale Gerechtigkeit. Die Lebensqualität der Bewohner sowohl in den betuchten Gegenden wie auch in den Slums ist erschreckend gering.

In den mit Unrat und sozialen Konflikten „überladenen Vororten“ wohnen Millionen Menschen ohne angemessenen Zugang zu Trinkwasser, zu sanitären Einrichtungen, zu Bildung und Nahrung. Wohnen die Reichen dieser Länder in abgeriegelten, gut überwachten Gemeinschaften, so leben die armen Massen in den Elendsvierteln mit einer grassierenden Kriminalität. Es kann nicht genug im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit hervorgehoben werden, dass die Abwesenheit von elementaren wirtschaftlichen und politischen Grundlagen für das geordnete Wachstum die Flucht in die reichen Länder des Nordens weiter anheizen.

Ein weiteres Problem, mit dem sich die Megastädte schwer tun, ist die Beseitigung der anfallenden Müllmengen. In den meisten Fällen stehen weder gesicherte Deponien noch adäquate Verbrennungsanlagen zur Verfügung, sodass der Abfall in den Slums liegen bleibt, resp. über die Abwasserkanäle in die Flüsse und das Meer gelangt. Die hohe Bevölkerungsdichte und die unkontrollierte Flächenexpansion rufen außerdem die erhöhte Erosion hervor.

 Hohe Herausforderungen mit weltweiter Tragweite

Die Megastädte tragen zum globalen Klimawandel bei, herrschen doch hohe Schadstoffbelastungen der Luft, der Gewässer und der Böden aufgrund der Bevölkerungskonzentrationen, der völlig überlasteten Infrastrukturen und der unzureichenden Basisversorgung vor. Die hohe Bevölkerungsdichte in den Megastädten ruft die unkontrollierte krakenhafte Flächenexpansion hervor, immer stärker „fressen“ sie sich in das Umland hinein. Wächst die Nahrungsmittelproduktion nicht parallel im Umland mit, so bleiben Verteilungskonflikte nicht aus und vor allem wird sich die Überbeanspruchung des Wassers als das Damoklesschwert erweisen.

Für die Städteplaner, Soziologen, Geographen, Architekten und Ingenieure stellen sich gewaltige Probleme, für welche eine multidimensionale Lösung gesucht werden muss. Wie sollen denn die zukünftigen Städte und vor allem die Megastädte entworfen und gebaut werden, um eine ausreichende Lebensqualität für deren Bewohner zu gewährleisten. Auf welchen Energien soll die Versorgung beruhen und wie sollen die Wasser- und Abwasserentsorgung funktionieren? Woher sollen die vielen Arbeitsplätze kommen und wie sollen die Millionen Menschen transportiert werden?

Durch die hohe interne Verdichtung und externe Vernetzung der Städte ergeben sich jedoch auch Chancen für Innovationsstrategien und die Förderung nachhaltiger Wirtschaftsformen und Lebensstile, die nicht nur die Lebensverhältnisse verbessern, sondern auch eine Ausstrahlung auf die umliegende Regionen entwickeln. Die Megastädte sind somit die Schlüsselelemente einer global nachhaltigen Entwicklung, dies sowohl in den Schwellen- und den Entwicklungsländern wie in den Industrieländer.

Die Megastädteentwicklung nachhaltiger gestalten, bedeutet demzufolge das Aufsuchen einer langfristigen Friedenssicherung. Die gegenwärtige Verstädterung und die mit ihr einhergehenden sozioökonomischen Veränderungen sollen nicht zu einer Hypothek, sondern einer Chance für zukünftige Generationen werden.

Das Engagement aller Menschen auf dem Planeten ist hier eingefordert und der Aussage von Immanuel Kant: „Wenn die Gerechtigkeit untergeht, hat es keinen Wert mehr, dass Menschen auf Erden leben.“ kann ich nur beipflichten.