Die Energiewende einläuten – eine intelligente Querschnittsaufgabe

Prof. Dr.-Ing. Marcel Oberweis

Die langfristige und sichere Energieversorgung rückt immer stärker in den Mittelpunkt der politischen Diskussion. Laut den rezenten Aussagen der Internationalen Energieagentur (IEA) wächst der Verbrauch der fossilen Energien beständig, die weltweite Nachfrage wird sich um 60 Prozent bis zum Jahr 2030 erhöhen. Es darf ebenfalls nicht übersehen werden, dies angesichts der nahenden UN-Umweltkonferenz in Lima im Dezember 2014, dass sich die weltweite CO2-Emission – für 70 Prozent am Treibhausgaseffekt verantwortlich – in den kommenden vier Jahrzehnten beständig erhöht, auch wenn China und die USA nunmehr gewillt sind, ihre Emissionen zu drosseln.

Es steht mittlerweile ohne Zweifel fest, dass fast 90 Prozent der Treibhausgasemissonen durch die Menschen verursacht werden. Der aufkommende Klimawandel trifft mit Wucht vor allem jene Menschen, die fast keinen Beitrag zu diesen Emissionen beitragen und beeinflusst auf dramatische Weise die natürliche Vielfalt.

Seit der Rio-Konferenz im Jahr 1992 bekennt sich die Europäische Union zur Verringerung der Treibhausgasemissonen. Sie hat, anlässlich des Energie- und Klimagipfels im Oktober 2014, angekündigt, diese Emissionen um 80 bis 95 Prozent bis zum Jahr 2050 zu verringern. Mit dem im November 2014 vorgestellten Bericht hat der Weltklimarat die Menschheit zum schnellen Handeln im Kampf gegen den Klimawandel gemahnt. „Wenn wir weitermachen wie bisher, werden uns die Möglichkeiten, den Temperaturanstieg zu begrenzen, in den nächsten Jahrzehnten entgleiten”, mahnte der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon an.

Es möge erinnert werden, dass durch die Verbrennung der fossilen Energieträger etwa 36 Milliarden t CO2 in die Atmosphäre im Jahr 2013 eingebracht wurden und sich die CO2-Konzentration auf mittlerweile 400 ppm gegenüber den 275 ppm zu Beginn des Industriezeitalters erhöht hat. Eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf unter zwei Grad C ist nur dann möglich, wenn die Treibhausgasemissionen weltweit um 90 Prozent, je nach Region, bis zum Jahr 2050 gegenüber dem Jahr 2010 verringert werden.

Der Weltklimarat gibt zusätzlich zu bedenken, dass nur noch 1.000 Milliarden t CO2äq bis zu Jahr 2050 in die Atmosphäre eingeleitet werden dürfen. Es besteht demnach nur noch ein Zeitfenster von zwei bis drei Jahrzehnten, in dem der Klimawandel zu akzeptablen Kosten gebremst werden kann. Dies verlangt jedoch den umgehenden Wechsel hin zu einer verstärkten Nutzung der erneuerbaren Energien sowie den Einsatz der intelligenten Technologien, die den Energieverbrauch um das Vielfache reduzieren. Zusätzlich forderte der Rat eindringlich, den Großteil der noch vorhandenen Vorräte an fossilen Energieträgern ungenutzt Boden zu belassen. Andernfalls wird sich die Erderwärmung über die Zwei Grad C Grenze erhöhen mit nicht geahnten Gefahren für die Menschheit und die Umwelt.

Darf ich hier auf die rezenten Daten der amerikanischen Wetterbehörde NOAA hinweisen, welche belegen, dass der vergangene Oktober als der wärmste je gemessene Oktobermonat eingeschrieben wurde – um 0,74 Grad wärmer als der Durchschnitt aller Oktobermonate seit dem Jahr 1900. „Hoffentlich beenden die Daten die albernen Behauptungen, der Klimawandel habe aufgehört oder mache eine Pause“ kommentiert der amerikanische Klimaforscher Michael Mann die Fakten.1) Leider ignorieren die Klimaleugner diesen Tatbestand, weil er nicht ihr Weltbild passt.

Bedingt durch den Klimawandel erhöht sich der Meeresspiegel und versinken Inseln in den Ozeanen, welche ihrerseits durch die erhöhte Einlagerung von CO2 einer zunehmenden Versauerung unterworfen sind. Dies stellt eine erhebliche Bedrohung für die maritime Biodiversität dar und im Gefolge für Hunderte Millionen Menschen, die direkt vom Fischfang leben. Die gravierende Vergrößerung der Wüsten, das Schmelzen der Gletscher sowie die Häufung der extremen Wetterereignisse sind weitere Folgen dieses Wandels. Die reichen Industrieländer und die aufstrebenden Schwellenländer verfügen über die nötigen finanziellen Mittel sowie die technischen Möglichkeiten, um die schlimmsten Auswirkungen in den Griff zu bekommen. Die Menschen in den Entwicklungsländen hingegen können sich jedoch nicht wehren, ihr Elend erhöht sich und die Flüchtlingströme schwellen an.

Die langfristigen Perspektiven der Energie- und Klimapolitik

Die EU-Abhängigkeit von Energieeinfuhren hat sich von knapp 40 Prozent des  Bruttoenergieverbrauchs in den 1980er-Jahren auf 53,4 Prozent im Jahr 2012 erhöht. Aufgrund der ambitiösen Energie- und Klimapolitik verringert sich die Abhängigkeitsquote leicht, nachdem sie noch 54,7 Prozent im Jahr 2008 betrug. Die höchsten Energieabhängigkeiten wurden beim Erdöl mit 88,2 Prozent und beim Erdgas mit 65,8 Prozent im Jahr 2012 verzeichnet.

Die EU-Bürger bezahlen mehr als 500 Milliarden Euro für ihren fossilen Energieverbrauch, deshalb macht es Sinn die rationelle Energieverwendung und die Nutzung der erneuerbaren Energien vermehrt zu unterstützen. Wenn die Europäische Union das angepeilte Energieeffizienzziel von 40 Prozent erreicht, dann verringern sich die Erdgasimporte um etwa 40 Prozent und die Erdölimporte um 19 Prozent gegenüber dem Jahr 2010. Außerdem soll der CO2-Ausstoß um mindestens 40 Prozent verringert und der Anteil der erneuerbaren Energien auf 27 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs bis zum Jahr 2030 erhöht werden. Betrug die CO2-Emission der Europäischen Union etwa 4,3 Milliarden t im Jahr 1990, so verringerte sich dieser Betrag auf 3,7 Milliarden t im Jahr 2012 und soll nur 2,6 Milliarden t im Jahr 2030 betragen.

Auch wenn zurzeit das Erdöl auf dem Weltmarkt „verhökert“ wird, sollte bedacht werden, dass sich die Reserven dieses Energieträgers beständig verringern. Da sich die größten Reserven in den Anrainerstaaten des Persischen Golfes, der Kaspischen Region und Russland befinden, sollen die angestrebte Energiewende und der Drang nach mehr Energieunabhängigkeit die energiepolitischen Bemühungen der Europäischen Union beflügeln. Mit ihrer Vision 2020 möchte die EU der Verschwendung der begrenzten fossilen Energieträger und der Umweltzerstörung Einhalt gebieten.

Die vorstehenden Tatbestände drängen uns, mittel- bis langfristig einen neuen Weg in der Energieversorgung zu beschreiten, dies gemäß der Losung: „Weg von den Fossilen, hin zu den Erneuerbaren“. Der zukünftige EU-Energiebinnenmarkt beruht auf einem vernetzten System mit vielen dezentral einspeisenden Produktionseinheiten kleiner und mittlerer elektrischer Leistung. Diese Anlagen ermöglichen die sichere, umweltfreundliche und preiswerte Energieversorgung, beruhend auf der Sonnenergie, der Windkraft, der Wasserkraft und der Biomasse. Zusätzlich müssen wir die Errichtung von grenzüberschreitenden Übertragungsleitungen und von Speicheranlagen vorantreiben.

Den Aussagen der IEA zufolge, wird die Europäische Union enorme Investitionen im europäischen Elektrizitätsmarkt tätigen müssen, um die Sicherheit der Versorgung zu gewährleisten. Es kann aber nicht geleugnet werden, dass wir mittelfristig den Einsatz der Erdgas-, der Kohle- und der Kernkraftwerke benötigen. Die Agentur sieht den Bedarf an 740.000 MW zusätzlichen Energieerzeugungskapazitäten in der Europäischen Union und die Errichtung von einer Million km neue Übertragungsleitungen vor. Die 2.000 Milliarden Euro hohen Investitionen innerhalb der kommenden Jahrzehnten, die für diesen Umbau hin zur Energiewende veranschlagt werden, mögen gewaltig erscheinen, aber unser Nichtstun würde nur die Abhängigkeit von politisch instabilen Weltregionen erhöhen.

Schlussgedanken

Luxemburg muss, ähnlich den 27 EU-Staaten alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Energieeffizienz in den unterschiedlichen Bereichen der Wirtschaft zu erhöhen und demgemäß die Energiekosten zu verringern. Zusätzlich müssen wir den Mut aufbringen, eingetretene Pfade zu verlassen und u.a. der sanften Mobilität gegenüber dem Individualverkehr den Vorrang sowie den erneuerbaren Energien einen höheren Stellenwert zuordnen. Angesichts der hohen Pro-Kopf-Treibhausgasemissionen, 23 t im Jahr 2012, müssen umgehend mutige Schritte, vor allem im Tanktourismus, unternommen werden.

Laut der KOM(2014) 689 der Europäischen Kommission wird verlangt, dass verstärkte Maßnahmen in Luxemburg ergriffen werden müssen, um die vorgegeben Ziele zu erreichen. Leider übertreffen die prognostizierten Emissionen für das Jahr 2020 die Werte des Referenzjahres 2005 um 23 Prozente. Die EU-Kommission verlangt demzufolge, dass erhebliche Reduktionen der Treibhausgasemissionen durch eine höhere Besteuerung von Kraftstoffen im Verkehrssektor sowie durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs erreicht werden können. Dies wäre zugleich mit mehr Wachstum und weiteren Vorteilen im Bereich der Klimapolitik verbunden u. a. der Verringerung der Verkehrsüberlastung, die ebenfalls mit erheblichen Kosten einhergeht.2)

Die Energiewende ist demzufolge kein Selbstläufer, sie ist „must“. Die Vernetzung der Krisen in der Produktion, im Wachstum, im Verbrauch und im Biodiversitätsverlust, überlagert vom Klimawandel zwingt uns zum Handeln. Es ist unsere Pflicht, mittelfristig das fossil-nukleare Zeitalter zu beenden und die Transformation der Energiesysteme mit der nötigen Kraft voranzutreiben.

Die Richtlinien bezüglich der Energieverwendung in den Gebäuden und Häusern werden mittelfristig die nötigen Einsparungen hervorrufen. Hinsichtlich der Nutzung der erneuerbaren Energien steht noch viel Potenzial an, beträgt doch deren Anteil am Energieverbrauch nur 4,32 Prozent im Jahr 2013 gegenüber 13 Prozent in der Europäischen Union. Luxemburg hat sich das Ziel von 11 Prozent für das Jahr 2020 vorgegeben, davon 5 Prozent durch die Nutzung von Agrarkraftstoffen. Hier muss kritisch hinterfragt werden, wo denn die vielfach angedeuteten Projekte hinsichtlich der Nutzung der Windkraft und der Biomasse verblieben sind?

Dieses wirtschaftlich-soziale-umweltfreundliche Projekt hat sicher noch Gegner, aber langfristig stellt es die einzige Option dar – es ist eine intelligente Querschnittsaufgabe, wo sich alle beteiligen müssen. Die auf der Nachhaltigkeit beruhende Entwicklung kann nur dann Erfolg aufweisen, wenn den kommenden Generationen die Lebens- und Entwicklungschancen durch unser heutiges Fehlverhalten nicht verbaut werden. In dem anstehenden Prozess der nachhaltigen Energiewende müssen wir unser Verhalten ändern oder unsere Umwelt wird sich morgen noch schneller verändern. Falls dies uns nicht gelingt, dann werden sowohl die Menschheit als auch die Biodiversität nicht überleben.

Quellenhinweise:

  • Der Ozean wärmt die Welt (Christoopher Schrader – sz vom 22. November 2014)
  • COM BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT FORTSCHRITTE BEI DER ERREICHUNG DER ZIELE VON KYOTO UND VON EUROPA 2020

(gemäß Artikel 21 der Verordnung (EU) Nr. 525/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über ein System für die Überwachung von Treibhausgasemissionen sowie für die Berichterstattung über diese Emissionen und über andere klimaschutzrelevante Informationen auf Ebene der Mitgliedstaaten und der Union und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 280/2004/EG)