Die Logik der Welt

Den CSV-Fraktiounssekretär Frank Engel “zu Gast im Land”

Es scheint, als würde Kosovo früher oder später ein unabhängiger Staat. Und wenn er das denn wird, scheint es ebenfalls so, als ob er schnell offizielle Anerkennung fände. Die so genannte internationale Gemeinschaft ist auf dem Weg, wieder einmal einen neuen Staat zu schaffen. Das hat sie lange nicht mehr getan. Und jene, die sich selbst als Staaten geschaffen haben, erkennt sie im Regelfall nicht an. Die Logik der Welt ist schwer zu verstehen. 

Im Bericht des UN-Sondergesandten an Generalsekretär Ban steht zu lesen, Kosovo solle in eine „international überwachte“, eine Art begleitete Unabhängigkeit geführt werden, und dies wohl bis Jahresende 2007. Und: es wird sich niemals mit Albanien zusammenschließen dürfen. Die Welt ordnet demnach an, dass die Albaner in zwei verschiedenen Staaten zu leben haben. Nachdem es noch eine Weile dauern wird, bis der eine und der andere albanische Staat EU-Mitglieder werden, sind demnach die Perspektiven des albanischen Volkes, in absehbarer Zukunft auf Grenzen und andere trennende Elemente verzichten zu können, beschränkt. Interessanterweise findet sich auch weder im Kosovo, noch in Albanien eine Mehrheit in Umfragen, die eine solche staatliche Einheit befürworten würde. Es sieht alles danach aus, als ob nächstes Jahr zwei Sorten Albanien existieren werden, eines unter dem Namen Albanien, und ein zweites, mit quasi identischer Flagge, Nationalhymne und so weiter, als Republik Kosovo. Fast 95 Prozent der Einwohner Kosovos sind Albaner.

Einmal davon abgesehen, dass es ein singulärer Vorgang ist, einem souveränen Staat – Serbien – 15 Prozent seiner Fläche und 20 Prozent seiner Bevölkerung durch internationalen Beschluss abzunehmen (weil wir doch das Prinzip der Unantastbarkeit von Grenzen achten, oder?) wirft ein unabhängiger Kosovo einige peinliche Fragen auf. Eine betrifft zum Beispiel die Zukunft des bosnischen Staatsgebildes, das nach wie vor nicht sonderlich tragfähig ist, und dessen serbischer Föderationsbestandteil wohl sehr viel lieber ein Teil Serbiens als ein Teil Bosniens wäre. Serbien riskiert, das nach einer Auslösung Kosovos aus seinem Hoheitsgebiet sehr ähnlich zu sehen. Wir werden dann konkret am Verhalten der Serben, innerhalb und außerhalb der Republik Serbien, erleben, wie weise die internationale Gemeinschaft auf dem Balkan gehandelt hat. 

Die andere Frage, die sich stellt, lautet: wenn man die Albaner per Beschluss auf zwei Staaten aufteilt, die sich nicht einmal vereinigen dürfen – was soll dann noch das so genannte Ein-China-Prinzip, nachdem alle außer 24 Staaten dieser Erde Taiwan als Teil Chinas betrachten (was es nicht ist!) und ihm die wohl verdiente und juristisch überhaupt nicht zu kontestierende Souveränität und Anerkennung verweigern? Natürlich ist Albanien nicht China, und die Druckmittel der Pekinger Machthaber ungleich größer als die der Regierenden von Tirana. Dennoch: objektiv und absolut wird es nach einer Unabhängigkeit des Kosovo kein Argument auf Gottes Erdboden mehr geben, mit dem Taiwan seine Unabhängigkeit als Republik Taiwan streitig gemacht werden könnte. Keines.

Sowie es bald ein Albanien und einen Kosovo geben wird, die beide von Albanern bevölkert sind, sollte es auch ein China und ein Taiwan geben, die von Chinesen bevölkert sind. Oder? Wenn die Welt eine Logik hat, wird es so sein müssen. Warten wir also ab, ob eine solche Logik sich bestätigt. 23 Millionen Taiwanesen, die genau so legitim ihren Staat haben wollen, wie die Kosovaren, hätten nichts weniger verdient.

Frank Engel