Keine drei Grad mehr: Weichen richtig stellen

Das aktuelle Energieversorgungssystem verstößt durch die Verschwendung einmaliger Ressourcen und durch die langfristig wirksamen Veränderungen des Klimas in grober Weise gegen die Generationengerechtigkeit. Von Marcel Oberweis, CSV-Abgeordneter

Der neueste Entwurf des IPCC-Berichtes, der in diesen Tagen in Paris zur Debatte stand, führt uns die dramatischen Folgen unseres falschen Handelns in Sachen Energienutzung vor Augen. Die Ergebnisse müssten die Welt aufhorchen lassen, doch anstatt jetzt Abhilfe und Umkehr zu geloben, verfallen viele ins Nymby-Syndrom (nicht bei mir und nicht mit mir). Wissenschaftler bestätigen, dass die Durchschnittstemperatur der Erde bis 2100 um 3°C ansteigen wird. Die direkten Folgen werden die Industrieländer beschäftigen, sie werden jedoch die Ärmsten der Erde, die Menschen in den Entwicklungsländern viel stärker treffen.

Als besonders verheerend werden sich das Schmelzen der Gletscher und der Eisfelder in der Antarktis sowie das Auftauen des Permafrostes erweisen. Der ansteigende Meeresspiegel wird nicht nur die Küstenbewohner “belästigen”, sondern durch deren Migration werden sich Spannungen um Ressourcen und Land nicht vermeiden lassen.

Der ungebremste Energiehunger der Industrieländer und der Schwellenländer erhöht die Emissionen an Treibhausgasen in einem erschreckenden Maß, und die Wissenschaftler befürchten, dass das von den Menschen angeworfene Schwungrad der Umweltzerstörung nicht mehr zum Halten gebracht werden kann. “Ich hoffe, dass der vorliegende Bericht die Menschen und die Regierungen schockieren wird und sie endlich beginnen, ernste Schritte der Besserung einzuleiten”, so Präsident Rajendra Pachauri vom IPCC.

Der Bericht von Sir Nicholas Stern, früherer Weltbankexperte, führte vor Augen, dass der Klimawandel weltweit die wirtschaftliche Entwicklung bedroht. Der Mensch wird als die Hauptursache des schleichenden Klimawandels dargestellt. Nach seinen Berechnungen zehrt der Klimawandel bis zu 20 Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes auf, immerhin 5 500 Milliarden Euro. Die Nachhaltigkeitsdiskussion hat demzufolge internationalen Charakter und zwingt uns zu einer globalen Sichtweise der Sachlage. Es bedarf deshalb auch weltweiter Lösungsansätze.

In Anbetracht der umweltrelevanten Probleme durch die Emissionen von treibhausfördernden Gasen, hat sich die Europäische Kommission für die effiziente Energienutzung und die Energieeinsparung sowie die breite Nutzung der erneuerbaren Energien und der nachwachsenden Rohstoffe (u.a. Photovoltaik und Windenergieanlagen, Biomassekraftwerke sowie Kleinwasserkraftwerke) ausgesprochen.

Wir sind Zeugen der Zerstörung von natürlichen Lebensräumen sowie der Ausrottung vieler Pflanzen- und Tierarten. Kann es denn angehen, dass wenige Generationen die in Jahrmillionen angesammelten fossilen Bodenschätze durch ineffiziente Nutzung aufbrauchen und ihren Nachkommen unüberschaubare Probleme in Bezug auf das Klima hinterlassen. Es ist günstiger und auch billiger, über ein mittelfristiges Zeitfenster aus den fossilen Energieträgern auszusteigen.

Angesichts der wachsenden Abhängigkeit von Energieimporten hat die Europäische Kommission Alarm geschlagen und ein mittelfristiges Programm aufgelegt. Die Energieimportabhängigkeit wird von 46,4 Prozent im Jahre 1995 auf 65 Prozent im Jahre 2020 ansteigen, für Erdgas wird diese auf fast 70 Prozent und für Erdöl sogar auf 86 Prozent anwachsen. Schuld ist der wachsende Verbrauch von Erdöl, Erdgas und Kohle bei gleichzeitiger Verringerung der eigenen europäischen Reserven. Sollte uns nicht die prekäre Erdgasversorgung aus Russland vor Augen führen, wie abhängig wir mittlerweile geworden sind? Hier blind in den Tag hinein leben, dürfte für die Energiewirtschaft Europas fatale Folgen haben, ähnliche Überlegungen gelten übrigens auch für die Erdölversorgung.

Im Januar 2007 hat die Europäische Kommission einen Gang höher geschaltet und möchte einerseits die Treibhausgasemissionen um 20 Prozent bis 2020 senken und andererseits den Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix auf 20 Prozent bis 2010 anheben, den Anteil der Biokraftstoffe auf zehn Prozent. Angesichts der Automobilflotte auf Europas Straßen ist es ebenfalls wichtig, den Verkehrssektor in diesen Prozess miteinzubinden, möchte man doch dessen Treibhausgasemissionen drastisch senken, dies durch das angepeilte Ziel: 120 g CO 2 pro Kilometer. Leider blockieren die Automobilhersteller diesen kühnen Schritt, müssten nicht die Käufer den Aufstand proben und viel stärker nach umweltfreundlicheren Autos verlangen? Warum denn bis 2012 warten, Europa muss der Vorreiter der neuen industriellen Umweltrevolution werden.

“Wir stehen vor Umweltproblemen, die das Leben von Millionen Menschen beeinflussen und den Weltfrieden gefährden. Der Klimawandel, dessen Folgen in erster Linie die Entwicklungsländer tragen, ist dafür ein Beispiel. Die Industrieländer müssen sich ihrer Verpflichtung zur Umwelt- und Entwicklungszusammenarbeit als einer Investition in ihre eigene Zukunft bewusst werden. Die Linderung der Armut ist ohne Umweltpolitik nicht möglich. Umweltschutz und Armutsbekämpfung intelligent verknüpfen, dies ist unsere Aufgabe”, so der Tenor von Klaus Töpfer, früherer Direktor des UN-Umweltprogramms.

Die menschlichen Eingriffe in die Erdatmosphäre müssen angesichts der nachhaltigen Entwicklung des Planeten stärker in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt werden. Damit diese Aufgabe von Erfolg gekrönt wird, bedarf es der gemeinsamen europäischen Energie- und Umweltpolitik. Mit 27 Zungen reden, ist in diesem Zusammenhang verheerend und kontraproduktiv. So wie die Europäische Union in Sachen Kioto-Protokoll ein Wegweiser ist, so wird sie auch in Sachen effizienter Energieverbrauch und Nutzung der erneuerbaren Energien und nachwachsenden Rohstoffen den Weg zeigen. Der nachsorgende Umweltschutz hat ausgedient, es heißt nun, dem vorsorgenden Umweltschutz das Wort zu reden, die Vermeidung der Umweltzerstörungen jeder Art stellt aus ökologischer und aus wirtschaftlicher Sicht den richtigen Weg dar.

Die vor uns liegenden Aufgaben sind wohl von globaler Tragweite, aber bei angemessener Anstrengung und Erklärung an die Mitbürger werden wir den Temperaturanstieg auf +2 °C bis 2100 beschränken, +3 °C kann nicht angehen. Es leuchtet ein, dass sich die Entwicklung der nachhaltigen Lebensweise stärker in das Dreieck der umweltschützerischen, der wirtschaftlichen und der sozialen Belange einbinden muss. Die auszurichtende Politik sollte sich umfassend auf die Generationenverantwortung, das Integrationsprinzip und das Partizipationsprinzip berufen. Schaffen wir dies nicht, dann dürfte sich die Menschheit auf ein überaus gefährliches Abenteuer mit offenem Ende einlassen.

* Dr.-Ing. Marcel Oberweis ist Abgeordneter der CSV-Fraktion.

Quelle: Wort, 13. Februar 2007