Einmal Lissabon und zurück

Fraktionssekretär Frank Engel zu Gast im Land
Einmal Lissabon und zurück

Es war im Jahre 2000, als die europäischen Staats- und Regierungschefs in der portugiesischen Hauptstadt ein Programm beschlossen, mit dem bis zum Jahr 2010 ein großes Ziel erreicht werden sollte: die Wandlung der europäischen Volkswirtschaft zum weltweit wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum. Unter Luxemburger Ratspräsidentschaft 2005 wurde die bis dahin alles andere als berauschende Umsetzung der Lissabon-Agenda “renationalisiert”. Luxemburg hat seinen nationalen Umsetzungsplan dieser Agenda kürzlich in Brüssel hinterlegt. Nun wollen wir also, in Gesellschaft sämtlicher anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wettbewerbsfähiger werden. Oder?

Dass Wettbewerbsfähigkeit nicht von Brüssel verordnet und binnen zehn Jahren vervielfältigt werden kann, hat sich schnell herausgestellt. Ob sie im Rahmen einer auf nationale Besonderheiten abgestimmten gemeinsamen Anstrengung der EU-Mitgliedstaaten nun doch noch derart verstärkt werden kann, dass die Union in der globalen Wirtschaft den Trend bestimmen kann, muss sich erst noch zeigen.

Die Europäer, alle Europäer eigentlich, sind den Wohlfahrtsstaat gewohnt. Ob nun soziale Marktwirtschaft rheinischer Prägung oder das von Per Albin Hansson im Schweden der 30er Jahre ersonnene Modell des “Volksheims”, ob “république solidaire” oder “welfare state”, ob gar “Lëtzebuerger Modell” – das wohlfahrtsstaatliche Konzept besteht aus dem Streben nach gesicherter Beschäftigung für alle, starken Gewerkschaften, die umfassende Tarifverträge verhandeln, leistungsfähigen Sozialsystemen und einem ausgeprägten sozialen Dialog, auf dem die großen sozioökonomischen Entscheidungen basieren. So weit, so gut. Leider beinhaltet er aber auch ein Element, das im globalen Wettbewerb kaum von Vorteil sein kann: die “erworbenen Rechte”, den quasi unantastbaren sozialen Besitzstand.

Wir sind in der Welt nicht besser, weil wir uns für besser halten. Wir leisten nicht mehr, weil wir früher nach Hause gehen und eher in Rente. Wir produzieren nicht mehr, weil wir ein verbrieftes Recht auf drei Kaffeepausen während der Arbeitszeit und auf sechs Wochen Urlaub im Jahr haben. All dieses ist angenehm. Aber um gegen die Arbeits- und Leistungsmoral der aufstrebenden Wirtschaftsräume unserer Erde anzukommen, reicht es nicht.

Natürlich kann man in Schanghai sonntags um 22 Uhr shoppen. Natürlich findet man in Hanoi samstagnachmittags eine geöffnete Apotheke – in Paris um 19 Uhr samstags übrigens auch – und am Montagmorgen einen ebenso geöffneten Metzgerladen. Und selbstverständlich gibt’s in Bombay auch morgens um vier noch etwas zu essen. Kleine Beispiele nur, aber Beispiele, die zeigen, was wo geht. Was geht bei uns?

Wettbewerbsfähigkeit ist in erster Linie Leistungsbereitschaft. Der Wille zur Leistung auch. Wenn die Hälfte aller Luxemburger Gymnasialabgänger Grundschullehrer werden wollen, wenn in unserer Privatwirtschaft eines Tages nur noch Grenzgänger arbeiten werden, wenn wir Möbel Martin, Ikea und Ryanair zwar nicht wollen, uns aber doch vorzugsweise bei ihnen bedienen, dann trägt das nicht zur Wettbewerbsfähigkeit des Landes bei. Auch Lissabon hilft da wenig. Die beste politische Intention ersetzt nicht die Leistungsbereitschaft einer Bevölkerung. Aber auch diese kann politisch gefördert werden.

Konsequente Politik, konsequente Anreize und konsequente Kommunikation zum Steigern der Leistungsbereitschaft – eigenartigerweise fehlt genau dieses Element in der Strategie von Lissabon.

Frank Engel, “Zu Gast im Land”, 2.Dezember 2005