“Der Verrat, das Vertrauen und die Koalition”

Interview mam Premierminister Jean-Claude Juncker aus dem “Luxemburger Wort” vum 20. Juli 2013:

Staatsminister Jean-Claude Juncker gibt sich entschlossen und zuversichtlich, was die vorgezogenen Neuwahlen vom 20. Oktober anbelangt. Er hofft auf einen sachlichen Wahlkampf, bei dem die wichtigen Themen, die wirklichen Probleme des Landes im Mittelpunkt stehen. Die CSV werde keinen einseitigen Wahlkampf gegen die LSAP führen, so der Premier mit Nachdruck.

Herr Staatsminister, mit etwas zeitlichem Abstand betrachtet, hätten Sie aus heutiger Sicht anders auf die Srel-Affäre reagiert?

Ich habe Punkt für Punkt zu allen Vorwürfen des Untersuchungsausschusses Stellung bezogen. Ich habe Antworten gegeben, aber ich habe keine Antworten auf meine Reaktion erhalten. Ich bin deshalb sehr froh, dass sehr viele Bürger die Parlamentsdebatte verfolgt und sich selbst eine Meinung gebildet haben. Ich habe eine Reihe von Fehlern zugegeben, etwa, dass ich keine disziplinarischen Maßnahmen gegen den ehemaligen Chef des Geheimdienstes ergriffen habe, mit der Absicht, Schaden vom Geheimdienst abzuwenden. Ich muss mir auch vorwerfen, dass ich nicht oft genug nachgehakt habe, dies weil ich Vertrauen in die Beamten hatte. Ich möchte übrigens nach wie vor nicht in einem Klima von Misstrauen mit der hohen Beamtenschaft zusammenarbeiten.

Wenige Tage nach der Srel-Debatte, im Anschluss an einen Ministerrat, haben Sie von unterschiedlichen Gefühlen in unterschiedlichen “Gefühlsabteilungen” gesprochen, und dass Sie diese erst analysieren wollten, bevor Sie sich dazu äußern. Sind Ihre Gefühle heute spruchreif?

Ich bin enttäuscht und tief verletzt. Meine Enttäuschung ist weniger politischer, als vielmehr menschlicher Natur. Ich konnte nie, auch nicht in den letzten sechs Monaten, einen Hinweis auf einen Vertrauensmangel der sozialistischen Minister in die Person des Staatsministers feststellen. Ganz im Gegenteil. Die CSV hat kein Problem mit der LSAP darüber, dass es zu Neuwahlen kommt. Die Reißleine musste gezogen werden, damit war auch die CSV einverstanden. Dass aber die Sozialisten die Reißleine aufgrund vermeintlicher Verfehlungen des Staatsministers gezogen haben, ist für mich aus menschlicher Sicht die bitterste Enttäuschung, die ich je erlebt habe. Das war der Verrat einer langen Freundschaft, eines kollektiven und solidarischen Regierens. Ich habe mit der sozialistischen Partei über Jahre vertrauensvoll zusammengearbeitet. Die Sozialisten kennen mich nicht nur als Staatsminister. Sie wissen, dass ich auf alle möglichen Probleme eingegangen bin, die sie selbst in ihrem Leben hatten. Ich denke da z. B. an die eigentlich von niemandem gewünschte und erwartete massive Verteidigung von Arbeitsminister Nicolas Schmit, als er in tiefen persönlichen Schwierigkeiten steckte, die die LSAP, wenn es sich um einen CSV-Minister gehandelt hätte, wahrscheinlich als Verfehlung bezeichnet hätte. All das hat mich nicht als Staatsminister getroffen, sondern als Mensch. Ich bin nicht nur Staatsminister, ich bin auch Mensch. Ich muss mich darauf verlassen können, dass mir geglaubt wird, anstatt dass mir das, was die Wahrheit ist, als Lüge ausgelegt wird.

Die Ereignisse haben Sie demnach tief getroffen, das Vertrauen scheint angekratzt. Ist es überhaupt noch denkbar, dass Sie und Ihre Partei, falls die Wahlarithmetik dies zulässt, noch einmal eine Regierungskoalition mit der LSAP eingehen?

Der Wähler wird am 20. Oktober die Karten neu mischen. Ich stelle allerdings fest, dass es scheinbar einen informellen Entscheidungsreflex gibt, dass man alles unternehmen muss, um die CSV von der Regierungsverantwortung auszuschließen. Die anderen Parteien geben dies mehr oder weniger offen zu. Diese Uberlegung ist allerdings recht oberflächlich, weil LSAP, DP und Grüne bei den Wahlen 2009 zusammen nicht genügend Stimmen erhalten hatten, um eine Regierung gegen die CSV auf die Beine zu stellen. Ich schließe nicht aus, dass sie diesmal eine Koalition gegen die CSV bilden werden, auch wenn die CSV stärkste Partei bleibt. Der LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider hat ja bereits klar zu erkennen gegeben, dass er Premierminister werden möchte. Wenn die LSAP nicht Junior-Partner werden will, schließt sie von vornherein eine Koalition mit der CSV aus. Schneider stellt also seine persönlichen Ambitionen über die notwendige politische Stabilität. Es ist nämlich unsinnig zu glauben, dass eine Dreierkoalition stabiler sei, als ein Regierungsbündnis aus zwei Parteien. Angesichts der großen Herausforderungen braucht das Land aber Stabilität.

Sie bekamen Zuspruch und Unterstützung von vielen Menschen. Unter ihnen war auch der wohl bekannteste Anwalt Luxemburgs, Gaston Vogel. Hat Sie das überrascht?

Ich war überrascht über diese Geste. Wir haben uns immer respektiert, obschon er mit mir in vielen Punkten nicht einverstanden war und ich auch in vielen Punkten nicht mit ihm. Es war dennoch eine Geste, weil sie losgelöst war von aktuellen Prözessen. Zudem hat sie positiv auf meinen seelischen Zustand gewirkt. (lacht)

Weil der Wahlkampf sehr kurz sein wird, wird sich wahrscheinlich noch stärker als sonst auf einzelne Persönlichkeiten fokussiert. Läuft am Ende alles auf ein Duell Juncker-Schneider hinaus?

Es wäre eine Beleidigung für die anderen Parteien, wenn man die Wahlauseinandersetzungen äuf die Premierminister Jean-Claude Juncker Kandidaten Juncker und Schneider reduzieren würde. Es wäre zudem falsch, eine Partei auf eine Persönlichkeit zu beschränken. Der Spitzenkandidat ist gewissermaßen die Summe der Bausteine, die alle anderen Kandidaten einbringen. Auch wenn in diesem Wahlkampf sicherlich die politischen Köpfe im Vordergrund stehen werden, so will ich mich aber nicht auf Personen bezogene Grabenkämpfe einlassen. Ich weigere mich auch, einen Wahlkampf einseitig gegen die LSAP zu führen. Im Gegensatz dazu muss ich feststellen, dass der LSAP-Spitzenkandidat sich darauf festgelegt hat, den Wahlkampf gegen den Premierminister und die CSV zu führen. Es reicht allerdings nicht aus, “keck zu sein”, wie Fraktionschef Lucien Lux dies formuliert hat. Auf internationaler Bühne kommt man allein mit “Keckheit” nicht weiter. Ich bewundere allerdings das Selbstvertrauen von Etienne Schneider, der im Januar nach nur elfmonatiger Regierungserfahrung in einem Interview betont hat, dass er Premierminister werden will. Ich habe seinerzeit als frisch gebackenes Regierungsmitglied nicht einmal im Traum daran gedacht.

Die CSV wird ihr Wahlprogramm erst im September präsentieren. Können Sie uns jetzt schon die Schwerpunkte verraten?

Die Parteigremien feilen zur Zeit am Wahlprogramm. Es wird auf der Linie dessen liegen, was wir in den vergangenen Jahren geleistet haben und es wird mehr als nur einen oberflächlichen Einblick in die generelle Zukunftsperspektive bieten. Ich verrate aber nicht zu viel, wenn ich sage, dass die Ankurbelung der Wirtschaft, der Sozialbereich sowie die öffentlichen Finanzen eine herausragende Rolle spielen werden. Wir stehen zu dem, was wir in den letzten neun Jahren zusammen mit der LSAP bewerkstelligt haben. Die LSAP und deren Spitzenkandidat gehen hingegen bereits auf Distanz und kritisieren z.B. jetzt den Entschluss, die Mehrwertsteuer im Zuge einer allgemeinen Steuerreform anzuheben oder die Entscheidung, das Bankgeheimnis zugunsten des automatischen Informationsaustauschs aufzuheben. Das finde ich wirklich “keck”.

Den Fall gesetzt, es gelingt den drei Parteien, die CSV in die Opposition zu drängen, wie sieht dann Ihre persönliche Zukunft aus?

Wenn die CSV die Wahlen gewinnt und trotzdem in die Opposition gedrängt wird, weil LSAP, DP und Grünen mordikus eine Dreierkoalition anstreben, oder wenn die CSV die Wahlen verlieren sollte oder wenn mein persönliches Resultat zu wünschen übrig lässt, dann werde ich ganz klar das Abgeordnetenmandat annehmen. Ich lege mich in dieser Frage bereits jetzt fest, im Gegensatz zu einigen Kandidaten von anderen Parteien.

Sie standen in den letzten Monaten gewaltig unter Druck, trotzdem mussten die politischen Geschäfte weitergeführt werden. Wie haben Sie diese extreme Belastung ausgehalten?

Wenn man Staatsminister ist, darf man zu keinem Moment vergessen, dass man in einer Pflicht steht, die über die eigene Person hinausgeht. Man darf sich nicht von der eigenen Stimmung, von Niedergeschlagenheit oder Traurigkeit – und solche Momente hatte ich – treiben lassen, sondern man muss, auch wenn das altmodisch klingt, immer wieder der eigenen Überzeugung treu bleiben. Man muss wissen, dass man nicht für sich selbst, sondern auch und vor allem für die andern da ist. Es ist eine Antriebskraft, sich in der Pflicht zu fühlen, auch und vor allem in Europa – denn dort spielt die Musik – und im eigenen Land die Dinge so zu orientieren, dass trotz widriger politischer Verhältnisse, das Land nicht aus der Spur gerät. Außerdem – und das hat mir immer wieder Mut gemacht – habe ich festgestellt, dass man einen Unterschied machen muss zwischen der medialen Welt, deren Spiegelung auf die Wirklichkeit man nicht überschätzen darf, und der tatsächlich existierenden Welt. Ich bekam täglich und Gott sei Dank mehr als mehrfach Vertrauensbeweise von Menschen, die mir trotz aller Widrigkeiten gesagt haben, dass sie der Meinung seien, dass ich mich bemühe, meine Sache gut zu machen. Ohne den Zuspruch der Menschen hätte ich das nicht durchgestanden.

Source: Luxemburger Wort (20/07/2013)  –  DANI SCHUMACHER, MICHELE GANTENBEIN UND CLAUDE FEYEREISEN